Maitag

Herr: es ist Zeit. Der Winter war sehr groß.
Wir leben lange schon in tiefem Schatten,
Und werden all den Schnee nicht los.

So wirf doch einen Blick auf den Kalender,
Wär es nicht Zeit für südlichere Tage?
Verzeih wenn ich dich nerve mit der Frage,
Doch setz dem schlechten Wetter mal ein Ende.

Was jetzt nicht grünen kann, grünt nimmermehr,
Wer jetzt noch bleich ist, wird es lange bleiben,
Das gilt für Menschen, Beeren und Tomaten;
Sogar die Vogelscheuche fröstelt dort im Garten.
Herr, es ist Zeit für Licht. Wir warten.

(jetzt Ihr.)

Frühlingsanfang

Frühlingsanfang bei Stoikern. Das Kind wartet, dass der Sand auftaut. Bis dahin gibt es Eiskuchen. Und die Amsel auf dem Balkon lässt sich einschneien, reglos.

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„Tummetott spricht zu ihnen. Wichtelworte raunt er ihnen zu: ‚Viele Winter und viele Sommer sah ich kommen und gehn. Geduld nur, Geduld! Der Frühling ist nah.'“ (Astrid Lindgren: Tomte Tummetott. Ü: Silke von Hacht.)

Wir Gipfelstürmer

Als Nuno und ich um kurz nach 8 an die Bushaltestelle vor dem Haus kommen, stehen und sitzen da schon eine ganze Reihe Nachbarn, die sich, ungewöhnlich für den Wesenszug der Menschen dieser Region, ungewöhnlich vor allem aber für die Uhrzeit, alle unterhalten. „Der kommt wohl auch nicht“, brummen sie, „angeblich ist ein Bus weiter unten liegengeblieben“ und „ein Lieferwagen hat ihm die Vorfahrt genommen, vielleicht.“ In der Nacht hat es wieder geschneit und es schneit immer noch, Nuno kickt kleine Schneebälle herum, leckt sich die Flocken von den Lippen und ist vergnügt, die Erwachsenen sind eher verärgert. Inzwischen ist die Abfahrtszeit des 8 Uhr 15-Busses deutlich verstrichen. Da es der Endpunkt der Linie ist und die Fahrer hier stets fünf bis acht Minuten Pause haben, ist auch das ungewöhnlich. „Der letzte ist auch nicht gekommen, der davor wohl auch nicht.“ Bei der Infozentrale der städtischen Verkehrsbetriebe geht niemand ans Telefon, aber dass ich telefoniere, bringt die Smartphonebesitzer auf Ideen, sie googlen Verbindungen anderer Linien, die noch erreichbar sein könnten von hier oben aus, und dann bilden sich kleine Gehgemeinschaften in Richtung anderer möglicher Buslinien. Nuno und ich schließen uns zunächst ebenfalls einem Grüppchen an, erkennen aber bald, dass wir diesen Bus – wenn er denn fährt – auf vierjährigen Beinen in Schneeschuhen auch nicht erreichen werden, und außerdem gehen wir im Verhältnis zur Kita in die völlig falsche Richtung. Wir versuchen es Richtung Innenstadt, um dort unsere Umsteigeverbindung zu erwischen.
Der Weg durch Schnee ist nicht unangenehm, wenn man beim Laufen Spuren und feuchte Schneebälle machen kann, ist die Strecke ohne größeres Murren zu schaffen, nur fast in Sichtweite der Haltestelle muss ich den kleinen Schneewanderer ein bisschen Huckepack nehmen. Nach etwas mehr als einer halben Stunde sind wir in der Stadt – und haben den Bus zur Kita knapp verpasst. Eine weitere halbe Stunde zu warten ist dann nicht mehr ganz so lustig, aber auch die Zeit geht um, und diese Linie scheint ganz regulär und pünktlich zu fahren.
Was mit der Linie 9 sei, frage ich die Busfahrerin, ob die heute gar nicht fahre?
„Nein“, erklärt sie knapp, „wegen des starken Schneefalls werden Höhenlagen heute nicht angefahren.“ Starker Schneefall! Höhenlagen! Auch Sie werden nun sofort ein Bild von der Zugspitze im Kopf haben, 3 Meter Neuschnee über Nacht, eingeschneite Gemsen, nur kleine Glöckchen an den Hörnerspitzen verraten noch ihren Standort. Wenn nicht Zugspitze, dann doch zumindest das Bergpanorama irgendeines idyllischen, aber eben im Winter durch Lawinen abgeschnittenen Skiortes in den Alpen, wo Heidi in ihrer Berghütte ein Loch in die Eisblumen an der Scheibe kratzt, aber auch draußen nur Schnee, der das Fenster vollständig zugeweht hat. „Du kannst heute nicht zur Schule“, sagt der Almöhi, „im Frühjahr wieder.“ Nur sagt er das natürlich im Dialekt.
So ist die Natur, und es ist doch eigentlich toll, dass man auch als moderner Stadtmensch die Jahreszeiten noch auf diese Art merkt.
Auch ich behaupte ja gerne, dass ich nun „auf dem Berg“ wohne. Aber mich dürfen Sie da nicht zu ernst nehmen, ich komme nämlich aus einer Gegend, wo man in der Fahrstunde das Anfahren am Berg am Deich oder an der Schleusenbrücke lernt. Vor diesem Hintergrund ist jeder Hügel ein Gipfel, jede Kurve eine Serpentine und jedes in dieser Höhe, fast an der Baumgrenze anzutreffende Kaninchen ein Murmeltier. Und das geht offenbar nicht nur mir so, die städtischen Verkehrsbetriebe scheinen das ähnlich zu empfinden. Wegen des starken Schneefalls werden Höhenlagen heute nicht angefahren. Sie dürfen angemessen beeindruckt sein. Es sind nämlich bestimmt 5 cm Schnee, vertikal gemessen, horizontal noch deutlich mehr, und es handelt sich um die äußerste Höhenlage in einer Kleinstadt in Niedersachsen. In dem Bundesland, das seine Flachheit im Namen trägt. Ahoi und Glück auf, wie wir in den Bergen sagen.

Jahreszeiten

Das mit den Jahreszeiten ist gar nicht so einfach, vor allem nicht, wenn man erst zwei und der letzte Herbst ein halbes Leben her ist. Im Kindergarten sind die Jahreszeiten zwar immer wieder und in liebevoller Ausgestaltung Thema, jetzt zum Beispiel werden Kastanienketten gefädelt, die Kinder erzählen Igelgeschichten und basteln Igel mit Ahorn-Nasen, sie feiern Erntedank, machen eine Kartoffelwoche, bemalen Laternen und lernen Martinslieder. Es ist auch nicht so, dass Zweijährige die Veränderungen in der Natur nicht bemerken würden, und entsprechend sang Baby B ein Laternelied (ein Musterbeispiel des Textefalschverstehen, übrigens) „der Jäger in dem grünen Wald… mit der Tür geknallt… piff puff“ und beschwerte sich dann nicht etwa über die Türen im Wald, sondern fragte kritisch nach, „warum grüner Wald? Warum nicht rot?“ Auch haben wir natürlich morgens regelmäßig Diskussionen darüber, ob er Sandalen anziehen darf (nein) und ob er wirklich einen Schal tragen soll (ja), und thematisieren somit täglich, wie das mit dem Wetter ist. Und dennoch ist diese Sache mit Wetterlage über längere Phasen und wie das mit den Jahreszeiten zusammenhängt nicht ganz zu verstehen.
Heute früh etwa ging Baby B mit seinen neuen Winterschuhen los, stand dann vor der Haustür im ihn umwehenden Laub und bemerkte überaus zufrieden: „Guck, Mami, Wind! Und ich hab neue Windschuhe!“
Und heute Nachmittag ließ er sich einen Luftballon aufblasen, der noch vom Wahlkampf kam; der Slogan „mein Herz schlägt grün“ war in Farbe und Form des Ballons umgesetzt. Nachdenklich drehte er den Herzballon in der Hand. „Der ist der Herbs, Mami? Der ist der Herbs, der macht die Blätter bunter, wirft die Äpfel runter?“

(Unerfreulicher Nachtrag: Leider ist der Herbs 2011 etwas später am 26. Oktober geplatzt, als ein Kleinkind mit ihm hingefallen ist.)