Qualitätsverlust

Erstaunlich ist der plötzliche und massive Qualitätsverlust eines Reisebrotes bei Wiedereintritt in die heimische Sphäre.

Morgens vor Beginn der Reise ist es ziemlich okay, selbst wenn die zugeklappte Brotvariante nicht die favorisierte ist.
Während der Fahrt ist es großartig, lecker, verlockend, aber auch wert, gut eingeteilt und noch einige Stationen aufgehoben, um dann mit noch mehr Genuss auf dem Umsteigebahnhof oder der öden Strecke zwischen den großen Städten verzehrt zu werden.
Sobald aber das Ziel erreicht und die Wohnungstür durchschritten ist, verliert das Reisebrot mit sofortiger Wirkung und irreversibel Form, Konsistenz, Geschmack und überhaupt jeglichen Reiz.

Der abrupte Qualitätsverfall tritt auch ein, wenn man das Brot weder selbst belegt noch den Tag über begleitet hat. Meine Omi hatte immer ein oder zwei Reisebrote zu viel, und bei uns angekommen schlug sie dann vor, wir Kinder könnten ja zum Abendessen ihre ‚Hasenbrote‘ haben. Wir waren nicht begeistert.

Gleiches gilt auch für Bibliotheks-Abendbrot, das zu Hause vergessen und am Abend dort wiedergefunden wird. Aufgeklappt, mit mehr Käse belegt und im Ofen überbacken wird es akzeptabel. Leidlich.

Die Damenwelt fordert Romantik

Meine Ururur…großtante Wilhelmine (den genauen Verwandtschaftsgrad muss ich mal im Stammbaum nachzählen) war Schriftstellerin und hat außer hinreißenden Büchern über den „modernen Theetisch“ beispielsweise auch Theaterstücke zur moralischen Erziehung der Jugend verfasst, und einen historischen Roman, den ich nun, 147 Jahre später, in einem Antiquariat gefunden und gekauft habe. Der Besitz treibt mich in Gewissenskonflikte, denn ich brenne zwar darauf, ihn genauer zu betrachten – dies ist aber nur möglich, wenn ich ihn beschädige. Dieses Buch lag oder stand anderthalb Jahrhunderte ungelesen in irgendeinem Regal, in einer Kiste, in einem Bücherschrank, seine Seiten sind noch nicht aufgeschnitten. Besonders gut erhalten ist es zwar nicht, der überstehende Rand der Bögen ist geknittert und eingerissen, aber trotzdem scheue ich mich, das Messer anzusetzen. 210 Seiten Roman, ein Vorwort, nach dem auf dem Titel gedruckten Zitat aus Schillers „Wallensteins Lager“ auch ein selbstverfasstes Gedicht auf Stralsund vorweg. Und, ich bin entzückt, im Anhang Werbung: Ein „Verzeichniß neuer gediegener Unterhaltungsschriften, nebst Kritiken, welche im Verlage von A. Vogel und Comp. in Berlin erschienen, durch jede Buchhandlung zu beziehen und in jeder guten Leihbibliothek vorräthig sind“. „In demselben Verlage sind ferner erschienen“ Werke wie „Ein neuer Wahlmodus für Preußen von Baron von Schimmelmann. Rittmeister a.D., Preis 5 Sgr.“ oder „Kaiser Friederich II. Dramatie in fünf Aufzügen“ zum Preis von „1 Thlr.“
Meine historische Tante hat also einen Roman geschrieben, einen historischen, „Die Belagerung von Stralsund. Ein geschichtliches Erinnerungsbild, zunächst den Bewohnern Pommerns hochachtungsvoll gewidmet von der Verfasserin.“
Den einen Bogen des Vorwortes habe ich nun doch vorsichtig aufgeschnitten und freue mich sehr über diese einführenden Worte.
Voilà. Einleitende Gedanken zur Gattungsfrage des Historischen Romans, veröffentlicht 1861 von Wilhelmine von Sydow, aus Fraktur in ein Weblog übertragen von Percanta.


Vorwort

Während es für den Autor stets eine schwierige Aufgabe bleibt, der Lesewelt einen neuen Unterhaltungsstoff: „R o m a n“ genannt, zu bieten, dem bei der Verschiedenheit der Mode, der herschenden Geschmacksrichtungen, der Urtheilsfähigkeit der Leser, ja selbst der Frage: „lebt der Verfasser an irgend einem dunklen Orte in stiller Abgeschiedenheit? oder am großen Markte der Literatur, beschirmt von ihren ersten Leitern und Wortführern?“ meist ein zweifelhafter, nur selten glänzender Erfolg zu Theil wird, – so ist es der „h i s t o r i s c h e R o m a n,“ der seinem Schöpfer, sobald er ihn in’s Auge faßt, auf lockendem Grunde eine doppelte Klippenwand zeigt, die glücklich zu überschiffen, sein Pensum wird. Der Kenner fordert strenge unverfälschte Wahrheit, nicht darnach fragend, ob die bestaubten Chroniken, aus denen der Verfasser seinen Stoff zieht, in ihrer schwerfälligen, dabei aphoristischen Kürze, die ihm nur Namen und Daten und lose durch einander gewürfelte Ereignisse bietet, hinreichenden Charakter und Zusammenhang findet, um seinem Bilde Leben und Abwechslung zu verleihen.
Die Damenwelt fordert Romantik, süße anziehende Verhältnisse, leicht und blühend geschürzt, spannend verwickelt und glänzend gelöst, ohne daß die Chronik für alle diese Elemente ihm ein Körnchen bietet.
Der Cavalier, der Militair, der Civilist dieses oder jenes Standes, wenn er ja ein Buch zur Hand nimmt, fordert Kriegsscenen, Intrigue, Witz, Abendteuer, Welt=, Hof= und Genrebilder, Roués, Loretten, politisches und industrielles Leben, Alles in den heißesten Farben gehalten, und dem Feinschmecker von Leser so Appetit=reizend aufgetischt, daß die früh abgestumpften Geschmacksnerven gleich bei dem ersten Bissen alle Delicen der Welt heraus fühlen müssen, soll er das Buch genießbar und des Weiterlesens würdig finden; während die Chronik von dem Allen schweigt – und es dem Verfasser überläßt, mit der Sonde seiner Gedanken in ihre Tiefen zu fahren und aus dürren Einzelnheiten seine Gestaltungen zu errathen und zu formen, diese Einzelnheiten gegen einander zu halten, zu verschmelzen, die Aufmerksamkeit der Seele auf die hie und da durchblitzenden Geistesfunken zu lenken, die Zeit der Handlung zu beachten, und aus dem Allen endlich seien Charaktere zu erkennen, sie festzuhalten, und die Hinzuziehung der äußeren Hülfsmittel: „S t a f f a g e“ genannt, ein Lebensbild herzustellen, das ihm selbst klar und lieb wird, indeß es die Leser jeder Gattung nach Möglichkeit befriedigt.
„Die Belagerung von Stralsund“ schien mir einer solchen Bearbeitung würdig. Der Heldenmuth seiner Bürger, ihr einzig dastehender Triumph: die kriegerischen Pläne eines Wallenstein durchkreuzt zu haben, einen Lambert Steinwig und andere edle Patrioten an der Spitze; Wallensteins eigenes Auftreten; das leuchtende Heranschreiten Gustav Adolphs und anderer Heroen des dreißigjährigen Krieges; mancher lohnende Einblick in die pommersche Geschichte, die wir für die unterthaltende Darstellung noch wenig ausgebeutet finden; die Hofhaltung des vierzehnten Bogislaw, jenes letzten Herzogs von Pommern, mit welchem der Stamm seiner Selbstherrscher erlosch; die Rückblicke in die frühere Zeit und Herrlichkeit dieser Herrscher, welche ich zunächst in die Erinnerungen der Herzoglichen Witwe Sophie Hedwig von Braunschweig legte; ich hoffe, sie werden den Lesern willkommen sein, indem sie ihren Bücherschränken zugleich ein Stück reine unverfälschte vaterländische Geschichte bieten, umkränzt mit allerlei duftendem Rosen=, Myrthen= und Cypressengeflecht, das ich nur theilweise zur Staffage rechnen darf, da ich blos ein paar einzelne, die Geschichte nicht um ein Haar verletzende Phantasie=Gebilde in meine Darstellung webte, und nebst ausgezeichneten historischen Quellen, die mir durch fremde Güte wie durch eigene Anschauung zuflossen, selbst so glücklich war, einige pommersche und rügensche Familien=Chroniken zu erhalten, welche mir über die Barnekow’sche, von Gagern’sche und andere Familien alles Licht gaben, was ich für meine Darstellung brauchte. Wer an dem Steingischen Hause zu Stralsund Interesse genug nahm, um es bis an sein leider zu früh eingetretenes Erlöschen zu verfolgen, findet das Nähere auf dem Grabsteine des edlen Consuls in der St. Nicolaikirche zu Stralsund verzeichnet. Möge mein Erstreben erfüllet werden ….. mein Buch eine freundliche Würdigung finden!
Erfurt, im Februar 1861.

Die Verfasserin.

Rehe hinterm Deich

„Gestern hat Papi beim Frühstück das Reh freundlich von der Terrasse aus dem Garten hinauskomplimentiert. Sie haben uns von unseren (Papis!) vielen Tulpen nicht eine gelassen. Es muß aber auch schön sein, in so zartes knackiges Grün hineinzubeißen – und sie essen sehr manierlich.“

[Lieblingsmails. Danke, Mutti.]

Semantik

„Was heißt aufheben„, fragt mich Percanto.
Kommt drauf an, sage ich: guardar, salvar, also aufbewahren. Oder vom Boden aufheben, hochnehmen, also levantar.
Percanto schüttelt den Kopf.
Hm, was noch?
Neutralizar, compensar: ausgleichen, das kann auch sein. Wofür brauchst Du es denn? In welchem Kontext?
„Das ergibt alles keinen Sinn“, meint Percanto. „Hier steht: ‚Möchten Sie die Mitgliedschaft aufheben‘. Aber ich will sie doch löschen. Nicht aufbewahren.“
Ah, doch, das geht auch. Anular. Außer Kraft setzen, derogar.
Zwischen annulieren und aufbewahren passt allerdings eine ganze Menge Semantik.

Rauchergesetze wirken

In Percantos Kindergarten spielen einige Kinder gelegentlich, dass sie rauchen, zum Beispiel Buntstifte, Bauklötze oder gezwirbelte Wollreste. Neulich fehlten zwei Kinder im Bauraum, und als Percanto sie draußen wieder fand, zeigten sie auf die Wollkordeln zwischen ihren Fingern und erklärten: „Wir sind nur kurz vor die Tür gegangen, um zu rauchen.“