I need a Doctor*

Ich verbringe etwa vier Stunden in der Telefon-Warteschleife eines Krankenhauses. Die Musik (was man so Musik nennt) ist so belanglos, dass ich sie weder zuordnen noch einen halben Tag später nachsingen kann. Klassische Fahrstuhlmusik, von „bitte haben Sie noch etwas Geduld“-Ansagen unterbrochen. Bei unserer hochgeschätzten HNO-Ärztin ist die Wartschleifenmusik dagegen so penetrant und schrill, dass man fast Masche vermuten möchte: Wer bis da noch keinen Tinnitus hatte, bekommt ihn mit dem gebeutelten Ohr am Hörer.
Die vier Stunden Gedudel bringen mich auf eine Idee. Es gibt doch farbliche Leitsysteme, olfaktorische Orientierungshilfen – warum nutzen denn die Fachärzte oder die einzelnen Abteilungen der Poliklinik nicht die für sie passende Wartemusik? Jedem Facharzt sein Lied! Kardiologen schöpfen aus einem Überangebot, das schon langweilig ist. Zahnärzte könnten „Mackie Messer“ wählen, der geneigte Proktologe „Der alte Mann“ (es geht um den Refrain, ansonsten eignet es sich freilich auch für die Geriatrie). Für die Pulmologie drängt sich, so leid es mir tut, „Atemlos durch die Nacht“ auf. Der Orthopäde findet in „With a banjo on my knee“ seinen All-Time-Hit, allerdings hat hieran auch der Plastische Chirurg Interesse angemeldet, man wird sich einigen können. Wer überhaupt keinen passenden Song findet (Pankreas-Lieder, aus dem Stegreif?), kann natürlich auf „Heal the World!“ zurückgreifen. Ein One-Hit-Wonder bleibt der Transplantationschirurgie: „Last Christmas…“
Wenn ich das nächste Mal in der Warteschleife hänge, werde ich das Konzept noch verfeinern und dann der geneigten Klinikleitung vorlegen. Und so lange noch etwas Musik: „Waiting for forever„.

(Mitspielen?)

– – – –

(*Eminem. Musste ich googlen.)

Krippenspiel im Wassermannzeitalter

Der Kinderchor bereitet das Krippensingspiel für Heiligabend vor. Alle Kinder sitzen im Stuhlkreis und die Chorleiterin erklärt, dass sich alle Kinder verkleiden dürfen – als Hirten, Engel oder Könige, wie sie wollen. „Wer weiß denn schon, was er sein möchte“, fragt sie in die Runde. Nuno meldet sich sofort und wird als erstes Kind drangenommen. Wie ein sehr kleines und braves Schulkind aus den 50er Jahren steht er von seinem Stuhl auf, stellt sich in die Mitte vom Stuhlkreis und erklärt: „Ich gehe Weihnachten als  Krake. Aber wenn jemand anders ein Hirte sein will, kann ich ein Schaf mitbringen.“
Dann setzt er sich wieder hin, die Chorleiterin ist einen Moment still, dann lächelt sie und fragt das nächste Kind, was es sein möchte. In die vorher schweigende Gruppe ist Bewegung gekommen, und der nächste kleine Junge schließt sich Nuno an: „Als Krokodil.“ Die zahlenmäßig überlegenen kleinen Mädchen retten die traditionelle Vorstellung von einem Krippenspiel, weil sie eine nach der anderen „Engel!“ piepsen. Wir Eltern freuen uns derweil auf ein Bethlehem mit sehr vielen kleinen Engeln und einer andächtigen Krake samt Krokodil an der Krippe.

Drang ihr Bild ins Herz mir ein [Soundtrack]

Die Elterngeneration reagiert auf den Namen unseres Töchterleins fast durchweg mit „Martha, Martha, du entschwandest“, spricht von „unsterblichen Melodien“ und summt etwas an. Nämlich eine Arie aus der Oper Martha von Flotow.
Diese:

Und da unsere Martha ja eine „Talönerin“ ist, wie Nuno sagt, auch noch in ihrer Vatersprache:

Tatsächlich haben wir zu allen in Erwägung gezogenen Namen Lieder gesucht, aber dazu später mehr. Heute belasse ich bei diesen Versen:
Ach so mild und so rein 
Drang ihr Bild ins Herz mir ein…

Ein hellblaues Radio mit Saiten

Zwei Stunden lang sitzt Nuno im Gitarrenladen auf einem Verstärker und spielt auf der selbstausgesuchten hellblauen Ukulele, während der Lieblingsitaliener größere und PS-stärkere Instrumente ausprobiert. Zwei Stunden Hingabe und danach der mit großem Augenaufschlag formulierte Wunsch, sich die „kleine Gitarre“ noch zum anstehenden Geburtstag wünschen zu dürfen. Wir nehmen das gute Stück gleich mit, und Nuno ist selig. Er spielt und singt seitdem fast ununterbrochen, und besonders freut er sich, dass es seine kleine Gitarre ist. Anders als bei den Instrumenten der Großen darf er hier nicht nur mal zupfen, sondern – solange er sie gut behandelt – auch alles andere. Einzeltöne („Unterschiede spielen“, wie er sagt), Schrammeln, die Ukulele ein- und auspacken, mit oder ohne Plektron spielen, mit oder ohne Gesang. Und das beste: Er darf auch an den sonst verbotenen Wirbeln drehen: „Das ist meine kleine Gitarre. Darum darf ich an den Schrauben drehen, bist ein neues Lied kommt.“

Heile Welt der Kinderlieder und Märchen: Darum lieb ich (4)

Nach Wolf-Splatter und Ziegen-Dramen aller Arten kommen wir nun in ruhigere Gewässer. Bei heiteren Liedern im Reihenstil (die „Vogelhochzeit“ beispielsweise funktioniert  so) stellen sich ganz andere Fragen: Wie kann man das fortsetzen?
Einer der Favoriten ist zur Zeit „Grün, grün, grün sind alle meine Kleider / grün, grün, grün ist alles was ich hab. / Darum lieb ich alles, was so grün ist / weil mein Schatz ein Jäger, Jäger ist.“ (Da ist er schon wieder, der Jäger, schießt hier aber nicht in der Gegend herum und schneidet auch niemandem den Bauch auf.) Weiß ist der Bäcker, Bunt der Maler, Schwarz der Schornsteinfeger, alles wie gehabt. Andere Farben passen wir aber an (Weiß ist manchmal auch der Arzt, und Blau soll der Färbermeister sein? Eher der Polizist), andere werden erweitert: Rot ist natürlich der Feuerwehrmann,  Gelb ist der Briefträger. „Orange!“ will das Kind, gut, naheliegend, weil man Schatz ein Müllmann ist. Rosa ist auch kein Problem, weil mein Schatz Balletttänzerin ist. „Jetzt Braun!“ Welcher Beruf trägt Braun? Weil mein Schatz ein UPS-Bote ist, hm, wie aus dem Kinderleben gegriffen. Weil mein Schatz ein Fußballprofi bei St. Pauli ist? Weil mein Schatz ein Mediengestalter mit Hornbrille ist? Weil mein Schatz ein Neonazi ist? Ich bin nicht überzeugt, dem Kind ist es egal, er will weiter, nächste Strophe: „Jetzt sing Lila!“ Lila, natürlich. „Lila, lila, lila, sind alle meine Farben, lila, lila, lila ist alles was ich hab. Darum lieb ich alles, was so lila ist, weil mein Schatz ein… katholischer Priester ist.“ Oha. Schnell weiter mit – petrol?

Heile Welt der Kinderlieder und Märchen: Trullala (2)

Weiter mit martialischen Liedern. „Auf der schwäbschen Eisenbahne“ ist vielleicht eher Volks- als Kinderlied, ziert aber immerhin den Titel unseres schönen Kinderliederbuches und wird als besonderes Feature vom Lieblingsitaliener im Originaldialekt gesungen. „Sing die schippsche Eisenbahne mal auf Schwäbisch, bitte.“ Dialektales Liedgut erfordert natürlich vertiefte Texterklärung, wo fährt der Bauer hin? Was macht er mit der Ziege? Warum ist das nicht gut für die Ziege? Wir erklären tapfer, trullala, die Illustration aus dem Tomi-Ungerer-Liederbuch zeige ich ihm aber nicht, denn den abgerissenen Ziegenkopf der Ungerer-Zeichnung habe ich selbst seit Jahrzehnten ab dem ersten Akkord vor Augen, und man muss es ja nicht gezielt auf Albträume anlegen. Trullala. Stunden später sitzt Baby B auf dem Boden, schiebt Legosteine hin und her und singt zufrieden vor sich hin: „Da war ein blöder Jäger, der war Bauer, der kauft sich eine Ziege, die bindet er hinten dran, dann hat er geraucht, dann war die Ziege tot, weil sie keine Luft gekriegt hat, sie war tot, die Ziege war mausetot, lalala, das war ein blöder Bauer, lalala.“
(Was viele nicht wissen: Die schippsche Eisenbahne ist eine der frühesten dokumentierten Anti-Rauch-Kampagnen. Trullala.)