Die neuesten Entwicklungen entbehren nicht einer gewissen Komik.
Sommersprossen
Die neuesten Entwicklungen entbehren nicht einer gewissen Komik.
Tag 35, Sonntag, 21. März 2010: Herbstanfang und Tagesende, Blick aus E.s Kinderzimmerfenster Richtung Villa Crespo.
„Morgen fahre ich aufs Land“, schloss ich gestern, und das Land hieß San Antonio de Areco, eine Kleinstadt im Norden der Provinz Buenos Aires, 112 km von der Hauptstadt entfernt und attraktiv wegen der traditionellen Bauweise aus der Postkolonialzeit und den noch gepflegten Gebräuchen des Landlebens. Heute würde ich Gauchos sehen, Pferde, bestimmt auch eine Parrilla, auf der halbe Ziegen gebraten werden, einen Fluss und und eben Land. Ein bisschen hab ich mich schon auf schöne Bilder von Gauchos mit Hut und Folklorepaspeln an der Hose, von Pferden und Mate im Schatten gefreut. Aber, wie ich ebenfalls gestern sagte, ist das Pläneschmieden manchmal für die Katz. H. und J. haben heute früh vor der Abfahrt noch die Wettervorhersage konsultiert, und die sagte zum heutigen Herbstanfang Regen und Gewitter in der Provinz voraus. Noch während wir telefonierten, um uns darüber abzustimmen, wie ernst wir das nehmen, donnerte es auch hier im Zentrum. Ob es regnet, kann ich oft schlecht hören, weil in meinem Innenhof auch die Klimaanlagen der riesigen Wohnblocks rauschen und tropfen. Der Regen des letzten Monats hat uns vielleicht zu vorsichtig gemacht, dachten wird, aber eine Landpartie im Regen, um nach langer Fahrt mit zwei Kindern die leeren Weiden vom Auto aus anzugucken, oder den Schlamm („was Du da bei Regen siehst, ist Schlamm, sonst nichts“, sagten sie mir), ist weniger romantisch als einfach eine schlechte Idee.
Also haben wir den Ausflug abgeblasen und uns Alternativen mit Indoor-Anteil überlegt. Plan B ist ebenfalls ins Wasser gefallen, die Feria de Mataderos beginnt nämlich dieses Jahr erst im April. Feria de Mataderos ist quasi die städtische Variante des Gaucho-Ausflugs, nämlich ein alter Viehmarkt mit normalen Kram-und-Kruschtständen, aber eben auch noch ländlicher Parrilla mit halber Kuh auf dem Grill, mit Folklore und auch lebenden Tieren im Randviertel Mataderos, wo früher die Schlachthöfe waren und wo, wenn ich das richtig lokalisiere, auch die grausame und viel vom Nationalcharakter reflektierende Erzählung aus den jungen Jahren der Republik spielt, „El matadero“ von Esteban Echeverría (1838).
Plan C war dann ein einfacher, wir sind an die Costanera Norte gefahren, den Küstenstreifen am Rio de la Plata, wo am Stadtrand eine ganze Reihe sauberer Spielplätze angelegt wurde. Dort haben wir gebuddelt und gerutscht und den braunen Fluss angeguckt, bis es wie angekündigt heftig zu regnen begann. Die ganze Ecke sah etwas nach Nordsee aus, das schlammige Wasser, der bedeckte Himmel, Schiffe am Horizont, die Möwen – allerdings waren die Möwen gar keine Möwen, sie klangen nur von fern so, aus der Nähe waren es Schwärme kleiner grüner Papageien. Hach, Papageien! Und direkt in der Nachbarschaft der innerstädtische Flughafen, weshalb man bei den landenden Flugzeugen fast die Schrauben der ausgefahrenen Fahrwerke zählen kann.
Mit einsetzendem Regen sind wir dann zu J.s Bruder in die Provinz gefahren und haben am traditionellen Familien-Asado am Sonntag teilgenommen. Die Männer kümmern sich um den Grill, der vor der Küche im noch überdachten Bereich ist, die Frauen bereiten Salate zu (Blattsalat, Tomate und Zwiebel, Möhrensalat) und decken den Tisch. Erst isst man Choripan, das ist aufgeschnitte dicke und kurze Bratwurst auf mitgeröstetem Brot, oder andere Würste, auch Morcilla, Blutwurst von fast flüssiger Konsistenz. Danach kommt das eigentliche Fleisch, Rind vor allem, aber auch etwas Schwein und Hühnerbeine vom Grill, wer möchte. Dazu Rotwein, und drei Generationen plus wir Gäste zusammen an einer langen Tafel. Nach dem Essen Cafecito, dann wurde abgewaschen oder herumgespielt, sich unterhalten, Siesta gehalten, von der Großmutter wurden in Fett gebackene Süßigkeiten zubereitet, später gibt es noch Mate, und zwischendurch geht immer mal jemand an die Fliegengitter der Küchentür und seufzt, dass es immer noch regnet, und wie, und wie gut, dass wir nach San Antonio gefahren sind. Ein perfekter Familien-Regensonntag.
(Hier fehlt immer noch das Foto von der Parrilla)