Baby B. isst gut und schläft schlecht, so kann man das wohl zusammenfassen. Gestern Abend wollte er wie wir Pellkartoffeln essen und hat dann bei meinem Patenkind auf dem Teller Rührei mit Krabben und Schnittlauch entdeckt. „Da!“, sagte er, „da! da! da! daaa!“ Er kann sehr nachdrücklich „da!“ sagen, und er meint das auch genau so. Also: „Da! Ich will das auch essen! Jetzt! Alles!“
Ich habe ihm ein bisschen Rührei pur auf den Löffel getan, Baby B. hat probiert und für gut befunden. Für sehr gut. „Mjam. Mmmam. Da!“ Krabben fand er ebenfalls sehr lecker – das ein odere andere seiner Gene kommt eben von der Nordsee, Argentinien hin oder her -, und so haben wir Ei und Fisch zusammen eingeführt, köstlich.
Es war auch sonst ein aufregender Tag, und als wir nach einem üppigen Abendbrot wieder zu Hause waren, war Baby B. eigentlich stehend k.o., schnell ins Bett, und das erste Mal Einschlafen klappte auch prompt. Die letzten Wochen war die erste Nachthälte dann immer völlig problemlos gewesen, aber an Durchschlafen bis Mittternacht war gestern nicht zu denken. Nicht einmal an überhaupt Schlafen. Das Bäuchlein war voll, die Erbsen vom Mittagessen kullterten um die Krabben vom Abend, das Ei machte sich neben den Kartoffeln breit, und all die Nananen drängelten sich zwischen Brot und Möhren. Und Baby B. wachte auf, weinte, beruhigte sich noch einmal, ließ sich dann aber nicht hinlegen, sondern fing in Nähe des eigenen Bettlakens sofort wieder an zu brüllen.
Ich legte mich wieder mit ihm hin, er weinte. Ich streichelte ihn, er weinte. Ich sang, er weinte. Ich lag ganz still neben ihm und imitierte Schlaf-Atem, er weinte. Ich hielt ihn im Arm, er weinte. Er weinte fordernd, er weinte unglücklich, er weinte dicke Tränen, er schluchzte, er versuchte einzuschlafen, er heulte wieder auf. Er drückte sich durch, er wälzte sich hin und her, er legte sich auf mich, er warf sich weg von mir, er hatte die Hand in meinem Mund, er weinte. Ich machte beruhigende Geräusche, ich machte gar keine Geräusche, ich streichelte sein Haar, ich streichelte seinen Bauch, ich schubberte seinen Rücken, ich sang leise, ich schimpfte, ich ließ ihn los, ich hielt ihn fest, er weinte. Ich stand wieder mit ihm auf, ging im dunklen Zimmer auf und ab, ich trug ihn im Arm wie ein Baby, ich trug in an der Schulter, er weinte, er pupste. Da endlich erinnerte ich mich, dass wir ihn als bauchwehgeplagtes Neugeborenes und auch die vielen Wochen danach meist nur im Fliegergriff getragen und beruhigt hatten, also nahm ich mein gute 10 Kilo schweres Babykind, das in seinen Schlafsack gewickelt war, probehalber in den Fliegergriff. Er stand über, meine Oberarme taten schon nach anderthalb Bahnen durchs Schlafzimmer weh, aber er war ruhig. Zwei Schritte im Fliegergriff, und das Baby ist ruhig. Kein Weinen, kein Schluchzen, kein Winden und Kämpfen, nur gelegentliches Pupsen.
Während ich so am Fußende des Bettes auf und ab wanderte, das leichte Brennen in Oberarm und Unterarm und Schulter ignorierte und mich freute, dass der gute alte Fliegergriff noch funktionierte – dass überhaupt etwas noch funktionierte – stellte ich mir vor, diesen Griff als letzte rettende Maßnahme immer weiter und weiter anzuwenden. Wenn wir richtig in der Trotzphase angekommen sind, trage ich ihn im Fliegergriff vom Süßigkeitenregal des Supermarktes weg, und er hört auf zu schreien und zu treten. Wenn er nicht in die Schule gehen will, trage ich ihn im Fliegergriff in die 2b, und er greift besänftigt nach seinem Matheheft. Und wenn dann aus diesem runden Babykörper überall so lange Enden herausgewachsen sind, seine Stimme kiekst und Bartstoppeln und Pickel durch die weiche, glatte Babyhaut brechen, wenn er Schuhgröße 45 trägt und Liebeskummer hat und seine Mutter ihn nicht versteht, ihn nie, nie, nie verstanden hat, wie er mir türenschlagend vorwirft, wenn ich ihn bloß in Ruhe lassen soll, ich hätte ja sowieso keine Ahnung! Dann, so stellte ich mir vor, nehme ich ihn in den Fliegergriff, was nicht so einfach ist, weil er länger ist als ich, ich muss ziemlich balancieren, aber im Fliegergriff ruht die ganze in seinem Bauch zusammengeballte Wut auf meiner rechten Hand, und der Körper wird weich und nachgiebig und die Tränen versiegen, und alles ist gut.