40 Tage ohne

Aschermittwoch. Weder habe ich Fasching gefeiert und müsste jetzt angewidert und verkatert die fast leeren Flaschen wegräumen und ein „nie wieder (bis Ostern)“ murmeln, noch habe dich den Drang, die Passionszeit durch Kasteiung mitzuerleiden. Aber Anlässe sind Anlässe, und was Giardino vormacht, klingt nach einer Idee. Früher habe ich „auf“ Süßigkeiten gefastet – auch eine Fasten-Mogelpackung, denn als Kind habe ich Süßigkeiten gar nicht so sehr gemocht, der Verzicht fiel leicht; außerdem habe ich alles, was ich geschenkt bekam in den 7 Wochen, gesammelt und gehortet und hatte am Ende des Fastens den puren Überfluss. Die letzten Jahre kein Bedürfnis nach Fasten. Einmal fiel die Passionszeit mit der frühen Stillzeit zusammen, da hatte ich sowieso schon viele Monate auf alles mögliche verzichtet und machte gerade so weiter, in einem anderen Jahr das Gefühl, das Leben nimmt sich eh schon seinen Teil, da brauche ich nichts mehr zusätzlich wegzusperren. Wenn der Gedanke ans Fasten überhaupt kam, war er nach einem kleinen Stirnrunzeln wieder weg. Dieses Jahr aber doch: Internetfasten. Nicht um mich zu kasteien, sondern aus dem Bedürnis nach mehr Konzentration und Fokus. Auf Mails etc. kann und werde ich natürlich nicht verzichten, auch sonst will ich es nicht ganz so radikal betreiben wie Giardino, die Blogs bleiben. Aber die Zeitfresser fliegen raus, die Ablenker und kleinen Störfeuer. Kein Facebook, kein Twitter, das vor allem. Es geht nicht um die Leute dort, sondern darum, mich nicht zu verzetteln, und automatisiertes Suchtverhalten – mal kurz gucken – abzugewöhnen. Und mich besser auf das zu besinnen, was mir eigentlich wichtig ist. In dem Sinne steht der Moment des Entzugs vielleicht doch ganz gut in der traditionellen Fastenzeit.

Effizienz

Warum Väter die effizienteren Eltern sind. Eine Fallstudie.

Wenn ein Kitakind Geburtstag hat, steht auch ein Kitakindergeburtstag an. Das heißt: Ich gehe mit dem Kind in die Stadt, um eine größere Backform zu kaufen (die kleine Backform ergibt nicht genug Kuchenstücke für 15 Kinder) und erstehe dabei auch noch Ausstecherle, ein „B“ und eine „2“. Außerdem alle Zutaten für Kuchen und Kekse, Smarties und Gummibärchen, Zartbitterguss und laktosefreie Milch, weil ein Kind aus der Gruppe laktoseintolerant ist und doch mit den anderen vom gemeinsamen Kuchen essen soll.
Den Sonntag verbringen Mutter und Kind mit Kekse backen – wie man halt mit fast Zweijährigen Kekse backt, wir kneten, naja, gemeinsam Teig („meiner!“), die Küche ist voller Mehl, die Dielenritzen voller Zuckerstreusel, das Kind voller Teig und die Mutter voller Brandblasen („heiß, Schätzchen, vorsichtig, heiß, mein Herz“, und dann das Blech mit bloßen Händen aus dem Ofen ziehen), aber schließlich ist auch der Tisch voller Bs und Zweier.
Am Abend vor seinem Geburtstag backe ich für uns zu Hause einen Kirsch-Mandel-Baiser-Kuchen, alleine, als das noch einjährige Kind schläft. Die neue Backform kommt am Wochenende zum Einsatz: Ein großer Marmorkuchen für den Kindergarten, laktosefrei, darum auch mit Gummibärchen statt mit Smarties beklebt. Mein back- und kochbegeistertes Kind sitzt still auf dem Küchenstuhl, schlägt zwar die Eier auf, mag aber sonst nichts machen, mag nichts probieren, wird immer blasser und matter. Er, der sich sonst über jeden Maschinenlärm freut, mag auch nicht rühren: „Laut, Mami.“ Noch bevor der Kuchen im Ofen steht, ist klar: Das Kind ist krank.
Also haben wir Kekse und Kuchen und ein krankes Geburtstagskind, die Kita-Feier wird erstmal verschoben. Das Kind bleibt krank und zu Hause, der Kuchen bleibt in Alufolie gewickelt und ebenfalls zu Hause, ich sage alle Termine ab und bleibe auch zu Hause.
Eine Woche nach dem Geburtstag kann er wieder in der Kita gehen. Die Erzieherinnen wollen nachfeiern, also gehen das genesende Kind und ich neue laktosefreie Milch kaufen und neue Mandelblättchen für einen neuen Kuchen. Gummibärchenkuchen mache ich nicht wieder, als Kitakuchen backe ich nur noch etwas, was wir auch selbst essen mögen.
Am Tag vor der Kitafeier holt der Vater das Kind ab, das passt gut, so kann ich alleine backen. Effizient! Oder?
„Wenn die morgen seinen Geburtstag feiern“, fragt sein Vater, „soll ich dann ein paar Sachen für die Kita besorgen, Gummibärchen und noch irgendwas zu essen?“
So sieht effiziente Geburtstagsplanung aus.
(Es ist klar, dass ich gleich trotzdem zwei Sorten Teig für echten Geburtstagskuchen anrühre, nicht wahr?)

*beeep*

Es gibt so ein paar Kosenamen, die möchte man ja nicht haben. Nicht hören, vor allem nicht vom Liebsten, aber eigentlich noch weniger benutzen. Kein Problem, sollte man meinen. Es ist schließlich meine Entscheidung, was ich sage und was nicht. Schnuckiputz. Purzelchen. Schnuffi. Bärchen. Geht nicht, geht gar nicht, geht überhaupt gar nicht (jedenfalls nicht, wenn der Angesprochene größer als 1 Meter ist.) Dann gibt es ja noch solche Benamsungen, die Körperfunktionen enthalten. Hasipupsi etwa. Nicht nur gruselig, sondern auch völlig unverständlich. (PUPSI? Was soll man sich da als heimischen Dialog vorstellen? „Pupsi?“ – „Ja, Kotzi?“ – „Essen ist fertig, Rotzi.“ Kotzi.)
Aber ehrlich gesagt, Schatz ist zwar semantisch in Ordnung, ansonsten aber nicht viel besser. Puh. Schahaaatz? Öde. Es muss doch noch was anderes geben zwischen Herr Meier und Hasipupsi. Das alles kommt jedenfalls für mich nicht in Frage, sowas kommt mir nicht über die Lippen.
Oh frommer Wunsch.
Heute rief mein Sohn, der kleine Papagei, nach meinem Freund: „Guckma! Schaaatzi, guckma!“
Erwischt.
Als nächstes werde ich wohl in den unmöglichsten Situationen von meinem Kind hören, was ich eigentlich so für Flüche benutze. Peinlicher kann es aber kaum werden.

Mütterliche Kernkompetenz

Das Kind hat Haare. Zunächst ganz kurze, glatte, fast schwarze Babyhaare. Dann längere, glatte, mittelbraune Babyhaare, die sich um zwei imposante, gegenläufige Wirbel am Hinterkopf drehten. Dann längere, lockige, mittelbraune Babyhaare, die hinten die schönsten Kringel formten und vorne platt und unmotiviert in die Stirn hingen. Nach einem Jahr andächtigem Wachsen und zwei Tagen mit Haarspängchen, weil das Kind nichts mehr sah, traute ich mich und schnitt ihm zum ersten Mal beim Spielen mit der Nagelschere das Haar, er krabbelte herum, ich mit der Schere hinterher, fertig war der kleine Junge. Inzwischen haben wir das Haareschneiden auf die Badewanne verlegt, da kann er nicht fliehen und ist mit Schaum, Pinguinen und Eimer so beschäftigt, dass er fast stillhält. Etwa alle 6 Wochen wage ich es, wenn es vorne zu struppig und hinten zu vogelnestig wird, denn die Wirbel und Locken unter der Mütze neigen zum Filzen. Irgendjemand gab mir mal den Rat, die Haare immer nur so kurz zu schneiden, dass die beneidenswerten, herzigen Locken erhalten bleiben, damit wären wir aber – hinten Locken, überall Wellen, Pony glatt – schnell bei einem rastamäßig verfilzten Vokuhila. Ich glaube nicht.
Am Wochenende war es wieder soweit: Das Kind sitzt in der Wanne, macht Schaum, taucht Playmobilfiguren, lässt Wasser ab, trinkt Wasser, spuckt Wasser, sucht den Fisch und macht mit dem Waschlappen die Wanne sauber, die Mutter turnt am Wannenrand herum und versucht aus den erst trockenen, dann („Acung!“, und er kippt sich einen Eimer über dem Kopf aus) immer nasseren Haaren sowas wie eine Frisur zu machen und dabei nicht wie beim vorigen Mal auf den nassen Fliesen auszurutschen und mit der zum Dolch gewordenen Schere in der Hand neben dem Sohn in die Wanne zu stürzen. Das Kind ist nicht drehbar, er sitzt stets mit dem Kopf nach links, dort wo das Wasser und der Spaß herkommen. Geschnitten wird also teils in direkter Ansicht, teils über Kopf oder nach Gefühl auf der erdabgewandten Seite. Locken und Wellen sind gnädig und vertuschen zu schräge Schnitte, meist ist das Ergebnis entsprechend zufriedenstellend. Auch diesen Montag fragte die Erzieherin im Kindergarten – ohne jedes Anzeichen von Entsetzen – ob das Kind beim Frisör war. Die in Form gestutzte Haarpracht dürfte also, denke ich, als Frisur durchgehen.
Naja, was man halt so denkt. Am Abend skypen wir mit den liebenden Großeltern, das Kind strahlt und schäkert über den Bildschirm. „Oh“, sagt die Großmutter, „hat Baby B sich selbst die Haare geschnitten?“ Vielleicht muss ich die Schneidetechniken nochmal überdenken.

Der Vollständigkeit halber

2010 in schiefen Fragen.

Zugenommen oder abgenommen?
Anfangs ab, dann wieder etwas zu, unterm Strich gleich.

Haare länger oder kürzer?
Kürzer.

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Gleich kurzsichtig, aber die Brille ist schiefer und zerkratzter. Wird Zeit für eine neue Brille, um meine Kontaktlinsen auch mal rauszunehmen.

Mehr Kohle oder weniger.
Gleich viel Geld, weniger Leute, also mehr.

Mehr ausgegeben oder weniger?
Keine Ahnung. Bei meinem normal verfügbaren Geld ist kaum Spielraum für große Ausreißer. Da ich mir aber zwischendurch was leihen musste, wohl mehr.

Der hirnrissigste Plan?
Nach der Konferenz da drüben im gleichen Monat auch noch zig Veranstaltungen zuzusagen und umzuziehen.

Die gefährlichste Unternehmung?
4x über den Atlantik fliegen.
Die fast gefährlichste Unternehmung: In Chile sein, während dort die Erde bebt. Das Beben kam mir aber zwei Tage zuvor, und so bin ich in BsAs geblieben.
Durch eine geschlossene Glastür rennen.

Mehr Sport oder weniger?
Etwa so viel wie mein 2010-Ich, deutlich weniger als das von 2009. Wenig.

Die teuerste Anschaffung?
Die digitale Spiegelreflexkamera und das neue Laptop.

Das leckerste Essen?
Kurz vor Jahresende Miesmuscheln in Weißweinsud von S.

Das beeindruckenste Buch?
Vielleicht Martín Kohan (Ü Peter Kultzen): Zweimal Juni (Dos veces junio).
Oh, und dann war da natürlich noch mein Buch. Aber im Verhältnis zu all der Arbeit, die drin steckt, war der Moment, als die beiden Kartons dann vor mir standen, gar nicht so
beeindruckend.

Das enttäuschendste Buch?
Luiz Claudio Cardoso (Ü Gesa Hasebrink): Der Tag, an dem sie Vater holten (Meu pai, acabaram com ele).

Der ergreifendste Film?
Die Fremde.

Der beste Theaterb4hesuch?
Ich war nur ein Mal im Theater, und das war mau.

Die beste CD?
Am meisten gehört: Yata pata und die anderen griechischen Kinderlieder.

Die meiste Zeit verbracht mit…?
Klar werden.
Zeug.
Baby B. zum Schlafen bringen.
Nicht hinterherkommen.

Die schönste Zeit verbracht mit… ?
Baby B. und S.

Vorherrschendes Gefühl 2010?
Puh!

2010 zum ersten Mal getan?
Jemanden gebeten auszuziehen.
Ein Spiel der 2. Bundesliga im Stadion gesehen. (6:1, gewonnen)
Ein Spiel der 1. Bundesliga im Stadion gesehen. (2:1, verloren.)

2010 nach langer Zeit wieder getan?
Gemeinsam kochen.
Am Deich rodeln.
Herzklopfdingens.

3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
Januar, Februar, März.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Das ist richtig so. (Mich selbst.) (Wollte und habe.)

Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?
Es war nicht so das Geschenke-Jahr.

Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
Der alte Schreibtisch meiner Großeltern aus dem nun aufgelösten Arbeitszimmer.

Die schönste neue Bekanntschaft, die ich gemacht habe?
Der neue Nachbar.

Der folgenreichste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
a) Den behalte ich lieber für mich.
b) Den auch.

Der folgenreichste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?
a) „…möchte ich, dass Du dann ausziehst.“
b) „Du kannst auch bei mir Fußball gucken.“

2010 war mit 1 Wort…?
Entscheidungsreich.

Umziehen als Lebensform

Es stand glaube ich in diesem schön gestalteten Umzugsbuch – im Schnitt zieht jeder Deutsche 5x in seinem Leben um.
Klar, damit das mit dem Durchschnitt hinkommt, braucht man neben dem Menschen, der z.B. auf seinem elterlichen Bauernhof geboren wird und diesen irgendwann übernimmt und erst viele Jahre später aufs Altenteil im Westteil des Geländes zieht (zählt das als Umzug?), auch diejenigen, die entsprechend häufiger umziehen. Marine-Kinder gehörten bei uns in der Schule dazu, alle 2 Jahre ein neuer Stützpunkt für den Papa und ein Umzug für alle. Ich gehöre auch zu denen, die regelmäßig umziehen, damit im Mittel der Deutschen dann die Fünf rauskommt. In nun knapp dreieinhalb Dekaden Leben bin ich gerade zum neunten Mal umgezogen, Umzüge innerhalb der Auslandszeit nicht mitgerechnet, und dabei waren die Schuljahre stabil: Von der 1. bis zur 13. Klasse kein einziger Umzug! In den übrigen Jahren ist die Frequenz entsprechend höher. Da zahlt es sich aus, wenn man etwas langsam im Einrichten ist: Wo nichts an der Wand hängt, muss auch kein gerade erst gebohrtes Dübelloch wieder zugemoltofillt werden. Unpraktisch dagegen, dass der Berg Zeug immer weiter wächst und die Möbel langsam massiver werden – die Böcke mit Holzplatte wurden beispielsweise gerade durch einen geerbten, geräumigen, echten Schreibtisch ersetzt. Unpraktisch auch, dass ich die Neigung habe, immer oben zu wohnen, jetzt wieder in den Wipfeln der höchsten Bäume. „Es gibt doch so schöne Parterre-Wohnungen“, sagte der Möbelpacker, als er die Waschmaschine durchs Treppenhausfenster wuchtete. „Aber man will doch mal ein Eigenheim haben, vielleicht im Grünen“, sagen alle jungen Bankkauffrauen, die mir Bausparverträge verkaufen wollen, die ich stets dankend ablehne, da ich nicht weiß, wo ich mal leben werde, und das noch länger nicht. „Irgendwann will man doch bauen“, insistieren sie, geschätzte 10 Jahre jünger als ich, und berichten halb ratlos, halb enthusiastisch von ihrem Häuschen in einem der Dörfer umzu, und mit „irgendwann“ meinen sie „schon längst“. Inkompatible Welten. Ich habe ein Buch geschrieben, ich habe einen Sohn bekommen. Das Haus müssen andere bauen. Ich ziehe um.

August

Wenn die Tage kürzer werden, ist der Sommer nicht mehr lang. Nach meinem Geburtstag ist der Sommer fast vorbei. Und wenn die Brombeeren reif sind, ist der Sommer zu Ende.
Es gibt genau zwei gute Gründe, sich über das nahende Ende des Sommers zu freuen: Der eine sind meine Füße, die nach herrlichen Wochen des Barfußlaufens und der offenen Schuhe so kaputt sind, dass ich bei jedem Schritt an die kleine Meerjungfrau denke. Jeder Schritt ein Schritt in ein offenes Messer. Socken mit Creme werden eine Erleichterung sein und sehen mag diese nackten Füße, ruckediguh, Blut ist im Schuh, auch schon lange keiner mehr.
Der zweite Grund fällt mir gerade nicht ein.