Kein Kavaliersdelikt

Diese Plagiatsgeschichte ist mir so wichtig, dass ich hier bisher nichts dazu gesagt habe und auch jetzt nichts zur Sache selbst – die mir sehr klar zu sein scheint – sagen will. Klingt wohl widersprüchlich. Aber mir ist die Angelegenheit so ernst, dass ich nicht mal Freude an den teilweise großartigen Wortspielen habe. Und es macht mich so wütend, die Sache selbst und viele der Reaktionen auch, dass ich inzwischen nur noch selektiv dazu lese (und das Gute bookmarke für unaufgeregtere Momente). Als bei Anne Will gestern in der Anmoderation gesagt wurde, darüber könne man diskutieren, sagten der Liebste und ich gleichzeitig „nein“ und beschlossen, lieber einen Roman zu lesen (aber nicht Axolotl Roadkill).
Die Persönlichkeit des betreffenden Herrn und sein politisches Amt sind mir erst mal ziemlich egal. Es geht mir nur um die wissenschaftliche Leistung und die (faktische und moralische) Legitimation seines Titels. Ich wünsche mir eigentlich nur, dass die Uni (ein Gremium aus Wissenschaftlern auf Grundlage von Prüfungsordnungen und fachlichen Maßstäben, kein politischer Untersuchungsausschuss) ein ordentliches Verfahren in dieser Sache durchführt und dann die entsprechenden Konsequenzen zieht. Ohne politisches Geschiebe von der einen und Gezerre von der anderen Seite. Ohne Häme. Wenn dieses Verfahren entschieden ist, mag die Politik schauen, ob Urteil und bekleidetes Amt miteinander vereinbar sind. Das ist mir dann erst mal ziemlich egal. Wissenschaftliche Redlichkeit ist mir nicht egal. Plagiate sind mir nicht egal.
Ich habe letztes Jahr aus einem einzigen Seminar des Grundstudiums fünf junge Plagiatoren gefischt und ihnen Kurs, Prüfungsleistung und Punkte aberkannt. Wenn nun Nachsicht geübt wird aufgrund irgendeiner dieser mauen Ausreden, die nun in der Presse ebenso zirkulieren wie sonst in unseren Sprechstunden (Versehen. Vergessen, die Quellenangabe zu übertragen. Technischer Defekt. Nicht gewusst, dass man das nicht darf. So viel war das ja nicht. Hätte man ja auch selbst drauf kommen können. Irgendwo wurde doch irgendeine Angabe gemacht. So gut exzerpiert, dass es gar nicht mehr fremd erschien und dann irgendwie wörtlich in den Text geriet.*), wenn also diese Ausreden in diesem speziellen Fall, in dem alles ein bisschen größer und publiker ist, auf einmal ziehen und eine breite Grauzone eröffnen – dann stehen wir an der universitären Basis mit unserem ständigen Appell an die wissenschaftliche Redlichkeit ganz schön dumm da. Ich werde, egal wie diese Sache ausgeht, trotzdem zu meinen Maßstäben stehen. (Auch wenn ich sie dann mit jedem Studierenden neu ausdiskutieren muss.) Aber es würde dem, wofür die Universität meines Erachtens nach immer noch steht, nicht gerade dienen. Im Gegenteil.

(*bei uns bisher nicht gehört: die Ausrede „das ist doch alles nur politisch motiviert“)

Lumpenroman [Zurück ins Regal, special edition]

Zwar habe ich nichts mehr „zurück ins Regal“ gestellt, weil die Regale noch in post-Umzugs-Unordnung sind, gelesen aber habe ich. Und schreibe manchmal auch darüber.
Meine Rezension zu Roberto Bolaños Lumpenroman [Una novelita lumpen] erschien diese Woche im Online-Feuilleton Culturmag.


Hier geht’s lang. Über Leser und Kommentare freu ich mich.

Mehr soll folgen. (Und dann lern ich auch irgendwann, wie man Links hinter Bilder packt.)

Wunderkind

Nun ist Nuno zwei, und seine Sprachentwicklung macht rasante Fotschritte, eher Fortsprünge. Er verwendet „ich“ richtig, bildet einfache Sätze, hängt Flexionsendungen an.
Vorgestern dann der große Durchbruch:
Nuno sitzt auf dem Wickeltisch, verlangt Creme, und schmiert sie sich, „Punk Punk Mond“, ins Gesicht. Danach macht er, da er ein ordentliches Kind ist, die kleine Metalldose wieder zu, dreht sie noch ein wenig hin und her und schaut sich schließlich lange dem Deckel an.
„Mami“, sagt er dann und legt seinen kleinen Finger auf den Schriftzug, „A.“
„Was meinst Du?“
Er zeigt mir die Dose, tippt mit dem Zeigefinger mehrfach auf den mittleren Buchstaben von P E N A T E N. „A, Mami, A!“
Ein Wunderkind, klarer Fall. Soll ich ihn gleich nach den anderen Buchstaben fragen, erkennt er auch ein N oder geht er streng alphabetisch vor, ob er auch das B schon kennt? Oh, Mutterstolz!
„A, Mami“, fordernd hält er mir die Dose hin, „A weg!“
Ich gucke noch einmal von Nahem, wo sich sein Finger hinbohrt, dort ist das blaue A, eindeutig, ein A, und jetzt erkenne ich es auch, das winzige Haar, was schräg über dem Querbalken klebt. „A, Mami.“ Ein Haar. Was für ein kluges Kind.

Effizienz

Warum Väter die effizienteren Eltern sind. Eine Fallstudie.

Wenn ein Kitakind Geburtstag hat, steht auch ein Kitakindergeburtstag an. Das heißt: Ich gehe mit dem Kind in die Stadt, um eine größere Backform zu kaufen (die kleine Backform ergibt nicht genug Kuchenstücke für 15 Kinder) und erstehe dabei auch noch Ausstecherle, ein „B“ und eine „2“. Außerdem alle Zutaten für Kuchen und Kekse, Smarties und Gummibärchen, Zartbitterguss und laktosefreie Milch, weil ein Kind aus der Gruppe laktoseintolerant ist und doch mit den anderen vom gemeinsamen Kuchen essen soll.
Den Sonntag verbringen Mutter und Kind mit Kekse backen – wie man halt mit fast Zweijährigen Kekse backt, wir kneten, naja, gemeinsam Teig („meiner!“), die Küche ist voller Mehl, die Dielenritzen voller Zuckerstreusel, das Kind voller Teig und die Mutter voller Brandblasen („heiß, Schätzchen, vorsichtig, heiß, mein Herz“, und dann das Blech mit bloßen Händen aus dem Ofen ziehen), aber schließlich ist auch der Tisch voller Bs und Zweier.
Am Abend vor seinem Geburtstag backe ich für uns zu Hause einen Kirsch-Mandel-Baiser-Kuchen, alleine, als das noch einjährige Kind schläft. Die neue Backform kommt am Wochenende zum Einsatz: Ein großer Marmorkuchen für den Kindergarten, laktosefrei, darum auch mit Gummibärchen statt mit Smarties beklebt. Mein back- und kochbegeistertes Kind sitzt still auf dem Küchenstuhl, schlägt zwar die Eier auf, mag aber sonst nichts machen, mag nichts probieren, wird immer blasser und matter. Er, der sich sonst über jeden Maschinenlärm freut, mag auch nicht rühren: „Laut, Mami.“ Noch bevor der Kuchen im Ofen steht, ist klar: Das Kind ist krank.
Also haben wir Kekse und Kuchen und ein krankes Geburtstagskind, die Kita-Feier wird erstmal verschoben. Das Kind bleibt krank und zu Hause, der Kuchen bleibt in Alufolie gewickelt und ebenfalls zu Hause, ich sage alle Termine ab und bleibe auch zu Hause.
Eine Woche nach dem Geburtstag kann er wieder in der Kita gehen. Die Erzieherinnen wollen nachfeiern, also gehen das genesende Kind und ich neue laktosefreie Milch kaufen und neue Mandelblättchen für einen neuen Kuchen. Gummibärchenkuchen mache ich nicht wieder, als Kitakuchen backe ich nur noch etwas, was wir auch selbst essen mögen.
Am Tag vor der Kitafeier holt der Vater das Kind ab, das passt gut, so kann ich alleine backen. Effizient! Oder?
„Wenn die morgen seinen Geburtstag feiern“, fragt sein Vater, „soll ich dann ein paar Sachen für die Kita besorgen, Gummibärchen und noch irgendwas zu essen?“
So sieht effiziente Geburtstagsplanung aus.
(Es ist klar, dass ich gleich trotzdem zwei Sorten Teig für echten Geburtstagskuchen anrühre, nicht wahr?)

*beeep*

Es gibt so ein paar Kosenamen, die möchte man ja nicht haben. Nicht hören, vor allem nicht vom Liebsten, aber eigentlich noch weniger benutzen. Kein Problem, sollte man meinen. Es ist schließlich meine Entscheidung, was ich sage und was nicht. Schnuckiputz. Purzelchen. Schnuffi. Bärchen. Geht nicht, geht gar nicht, geht überhaupt gar nicht (jedenfalls nicht, wenn der Angesprochene größer als 1 Meter ist.) Dann gibt es ja noch solche Benamsungen, die Körperfunktionen enthalten. Hasipupsi etwa. Nicht nur gruselig, sondern auch völlig unverständlich. (PUPSI? Was soll man sich da als heimischen Dialog vorstellen? „Pupsi?“ – „Ja, Kotzi?“ – „Essen ist fertig, Rotzi.“ Kotzi.)
Aber ehrlich gesagt, Schatz ist zwar semantisch in Ordnung, ansonsten aber nicht viel besser. Puh. Schahaaatz? Öde. Es muss doch noch was anderes geben zwischen Herr Meier und Hasipupsi. Das alles kommt jedenfalls für mich nicht in Frage, sowas kommt mir nicht über die Lippen.
Oh frommer Wunsch.
Heute rief mein Sohn, der kleine Papagei, nach meinem Freund: „Guckma! Schaaatzi, guckma!“
Erwischt.
Als nächstes werde ich wohl in den unmöglichsten Situationen von meinem Kind hören, was ich eigentlich so für Flüche benutze. Peinlicher kann es aber kaum werden.

Nagelprobe

Als wir vor fast zwei Jahren das erste Mal die Fingernägel des Kindes schnitten, war das Kind noch ein sehr winziges Baby und seine Fingernägel die winzigsten der Welt. Wir brauchten vier Hände und jede Menge Mut, um die Schere anzusetzen.
Heute ist Nägelschneiden Routine, für mich jedenfalls. Das Kind empfindet es anscheinend als Eingriff in seine körperliche Integrität, nur selten sagt er sofort „ja“, wenn ich meine, wir sollten mal wieder Nägel schneiden. Manchmal hilft es, wenn er sich als autonom Entscheidender fühlt und selbst vorgibt, in welcher Reihenfolge geschnitten wird. Heute saß er auf meinem Schoß, wir hatten den von spitzen Nägelchen verursachten Kratzer auf dem Handrücken begutachtet („weh“) und waren eigentlich einig („besser“). Fast einig, denn zwar hatte ich die Schere schon in der Hand, das Kind aber hielt die Fäuste fest geschlossen, die Nägel gut versteckt („nein“).
„Sag mir mal, mit welchem Nagel wir anfangen, ja?“
“ – – – „
„Sag mal, Schätzchen. Welchen Nagel schneiden wir zuerst?“
Aus der geschlossenen linken Faust streckt sich zaghaft ein kleiner Zeigefinger, na also, geht doch.
„Den“, sagt er und tippt mit der Fingerspitze blitzschnell auf den Nagel des Mittelfingers. Auf den Nagel meines Mittelfingers.
Die kleinen Fäuste sind längst wieder geballt, und er nickt mir bekräftigend zu. „Den, Mami.“
Wir sind ja nicht aus Dummsdorf.

gute kostprobe

Eine Packung italienischen Brotersatzes, viersprachig beschriftet. Nehmen wir den Serviervorschlag aus dem deutschen Text:

PIADINA ROMAGNOLA – BACKWAREN
Fuer eine gute kostprobe: Gut im Gegenhaftend erwärmen oder auf eine warme Platte legen, mit Schinken und käse fuellen, Stracchino, Butter, Marmelade oder was die fantasie eingibt.

Nachdem wir in der Küche erfolglos unser Gegenhaftend gesucht haben, half ein klärender Blick auf den italienischen Text:

Scaldare in una padella antiaderente o una piastra già calda […]

Gegenhaftend! Eine wörtliche Übersetzung der einzelnen Bestandteile des italienischen Adjektivs, eine padella antiaderente ist eine beschichtete Pfanne, bzw. eine Pfanne gegenklebend, kurz: ein Gegenhaftend.

Als Stracchino nehmen Sie einfach das, was Ihre fantasie eingibt.

Mütterliche Kernkompetenz

Das Kind hat Haare. Zunächst ganz kurze, glatte, fast schwarze Babyhaare. Dann längere, glatte, mittelbraune Babyhaare, die sich um zwei imposante, gegenläufige Wirbel am Hinterkopf drehten. Dann längere, lockige, mittelbraune Babyhaare, die hinten die schönsten Kringel formten und vorne platt und unmotiviert in die Stirn hingen. Nach einem Jahr andächtigem Wachsen und zwei Tagen mit Haarspängchen, weil das Kind nichts mehr sah, traute ich mich und schnitt ihm zum ersten Mal beim Spielen mit der Nagelschere das Haar, er krabbelte herum, ich mit der Schere hinterher, fertig war der kleine Junge. Inzwischen haben wir das Haareschneiden auf die Badewanne verlegt, da kann er nicht fliehen und ist mit Schaum, Pinguinen und Eimer so beschäftigt, dass er fast stillhält. Etwa alle 6 Wochen wage ich es, wenn es vorne zu struppig und hinten zu vogelnestig wird, denn die Wirbel und Locken unter der Mütze neigen zum Filzen. Irgendjemand gab mir mal den Rat, die Haare immer nur so kurz zu schneiden, dass die beneidenswerten, herzigen Locken erhalten bleiben, damit wären wir aber – hinten Locken, überall Wellen, Pony glatt – schnell bei einem rastamäßig verfilzten Vokuhila. Ich glaube nicht.
Am Wochenende war es wieder soweit: Das Kind sitzt in der Wanne, macht Schaum, taucht Playmobilfiguren, lässt Wasser ab, trinkt Wasser, spuckt Wasser, sucht den Fisch und macht mit dem Waschlappen die Wanne sauber, die Mutter turnt am Wannenrand herum und versucht aus den erst trockenen, dann („Acung!“, und er kippt sich einen Eimer über dem Kopf aus) immer nasseren Haaren sowas wie eine Frisur zu machen und dabei nicht wie beim vorigen Mal auf den nassen Fliesen auszurutschen und mit der zum Dolch gewordenen Schere in der Hand neben dem Sohn in die Wanne zu stürzen. Das Kind ist nicht drehbar, er sitzt stets mit dem Kopf nach links, dort wo das Wasser und der Spaß herkommen. Geschnitten wird also teils in direkter Ansicht, teils über Kopf oder nach Gefühl auf der erdabgewandten Seite. Locken und Wellen sind gnädig und vertuschen zu schräge Schnitte, meist ist das Ergebnis entsprechend zufriedenstellend. Auch diesen Montag fragte die Erzieherin im Kindergarten – ohne jedes Anzeichen von Entsetzen – ob das Kind beim Frisör war. Die in Form gestutzte Haarpracht dürfte also, denke ich, als Frisur durchgehen.
Naja, was man halt so denkt. Am Abend skypen wir mit den liebenden Großeltern, das Kind strahlt und schäkert über den Bildschirm. „Oh“, sagt die Großmutter, „hat Baby B sich selbst die Haare geschnitten?“ Vielleicht muss ich die Schneidetechniken nochmal überdenken.

Winterkind

„Na, freut sich Dein Kleiner schon auf den Schnee“, fragte unsere Sekretärin im Herbst.
Nö, meinte ich, denn erstens kann er sich, obwohl er geboren wurde, während es schneite, mit seinen eindreiviertel Jahren an keinen Schnee mehr erinnern, und zweitens ist „sich auf etwas freuen“ noch ein etwas abstraktes Konzept in dem Alter. Ob er sich über Schnee freut, konnten wir dann aber bald überprüfen, denn es begann zu schneien. Es schneite einen Tag, es schneite zwei Tage, es schneite drei Tage, überall lag die weiße Pracht und Baby B zeigte sich nicht im mindesten beeindruckt, schien das neue Wetter kaum wahrzunehmen. Dann traten wir eines Morgens Ende November vor die Haustür, Markt und Straßen lagen noch immer unter einer weißen Decke, alles glitzerte, und plötzlich blieb Baby B stehen, schaute, staunte, zeigte auf die Schneehauben auf dem Zaun: „Mami, guck! Schaum!“
Und er freundete sich an mit dem Schaum, den er in der Wanne schon liebte, Zeit genug war ja. Er fand ihn zwar „kal'“, das aber störte nicht, gar nicht, er genoss es, durch ihn zu stapfen, ihn aufzuheben und zu werfen, sich von Opa auf dem Schlitten ziehen zu lassen, mit uns allen am Deich zu rodeln, das Schaf im Garten mit selbst gesammeltem Schnee zu füttern (das Schaf bevorzugt Äpfel). All das stundenlang, auch wenn wir Erwachsenen längst Eisfüße hatten. „Schaum, Mami!“
Im Advent lag Schnee, Weihnachten lag Schnee, nach Weihnachten lag Schnee, endlich ergeben die Schneebilder im Wimmelbuch einen Sinn und die Postkarten mit verschneiten Bäumen. Neujahr lag immer noch Schnee, und als Baby B. am Abend in der Wanne saß, den Kopf voller Shampoo, da klatschte er mit beiden Händen in den Schaum, ließ weiße Flocken hochspritzen und rief: „Mami, guck! ‚Nee!“