Effizienz

Warum Väter die effizienteren Eltern sind. Eine Fallstudie.

Wenn ein Kitakind Geburtstag hat, steht auch ein Kitakindergeburtstag an. Das heißt: Ich gehe mit dem Kind in die Stadt, um eine größere Backform zu kaufen (die kleine Backform ergibt nicht genug Kuchenstücke für 15 Kinder) und erstehe dabei auch noch Ausstecherle, ein „B“ und eine „2“. Außerdem alle Zutaten für Kuchen und Kekse, Smarties und Gummibärchen, Zartbitterguss und laktosefreie Milch, weil ein Kind aus der Gruppe laktoseintolerant ist und doch mit den anderen vom gemeinsamen Kuchen essen soll.
Den Sonntag verbringen Mutter und Kind mit Kekse backen – wie man halt mit fast Zweijährigen Kekse backt, wir kneten, naja, gemeinsam Teig („meiner!“), die Küche ist voller Mehl, die Dielenritzen voller Zuckerstreusel, das Kind voller Teig und die Mutter voller Brandblasen („heiß, Schätzchen, vorsichtig, heiß, mein Herz“, und dann das Blech mit bloßen Händen aus dem Ofen ziehen), aber schließlich ist auch der Tisch voller Bs und Zweier.
Am Abend vor seinem Geburtstag backe ich für uns zu Hause einen Kirsch-Mandel-Baiser-Kuchen, alleine, als das noch einjährige Kind schläft. Die neue Backform kommt am Wochenende zum Einsatz: Ein großer Marmorkuchen für den Kindergarten, laktosefrei, darum auch mit Gummibärchen statt mit Smarties beklebt. Mein back- und kochbegeistertes Kind sitzt still auf dem Küchenstuhl, schlägt zwar die Eier auf, mag aber sonst nichts machen, mag nichts probieren, wird immer blasser und matter. Er, der sich sonst über jeden Maschinenlärm freut, mag auch nicht rühren: „Laut, Mami.“ Noch bevor der Kuchen im Ofen steht, ist klar: Das Kind ist krank.
Also haben wir Kekse und Kuchen und ein krankes Geburtstagskind, die Kita-Feier wird erstmal verschoben. Das Kind bleibt krank und zu Hause, der Kuchen bleibt in Alufolie gewickelt und ebenfalls zu Hause, ich sage alle Termine ab und bleibe auch zu Hause.
Eine Woche nach dem Geburtstag kann er wieder in der Kita gehen. Die Erzieherinnen wollen nachfeiern, also gehen das genesende Kind und ich neue laktosefreie Milch kaufen und neue Mandelblättchen für einen neuen Kuchen. Gummibärchenkuchen mache ich nicht wieder, als Kitakuchen backe ich nur noch etwas, was wir auch selbst essen mögen.
Am Tag vor der Kitafeier holt der Vater das Kind ab, das passt gut, so kann ich alleine backen. Effizient! Oder?
„Wenn die morgen seinen Geburtstag feiern“, fragt sein Vater, „soll ich dann ein paar Sachen für die Kita besorgen, Gummibärchen und noch irgendwas zu essen?“
So sieht effiziente Geburtstagsplanung aus.
(Es ist klar, dass ich gleich trotzdem zwei Sorten Teig für echten Geburtstagskuchen anrühre, nicht wahr?)

Nagelprobe

Als wir vor fast zwei Jahren das erste Mal die Fingernägel des Kindes schnitten, war das Kind noch ein sehr winziges Baby und seine Fingernägel die winzigsten der Welt. Wir brauchten vier Hände und jede Menge Mut, um die Schere anzusetzen.
Heute ist Nägelschneiden Routine, für mich jedenfalls. Das Kind empfindet es anscheinend als Eingriff in seine körperliche Integrität, nur selten sagt er sofort „ja“, wenn ich meine, wir sollten mal wieder Nägel schneiden. Manchmal hilft es, wenn er sich als autonom Entscheidender fühlt und selbst vorgibt, in welcher Reihenfolge geschnitten wird. Heute saß er auf meinem Schoß, wir hatten den von spitzen Nägelchen verursachten Kratzer auf dem Handrücken begutachtet („weh“) und waren eigentlich einig („besser“). Fast einig, denn zwar hatte ich die Schere schon in der Hand, das Kind aber hielt die Fäuste fest geschlossen, die Nägel gut versteckt („nein“).
„Sag mir mal, mit welchem Nagel wir anfangen, ja?“
“ – – – „
„Sag mal, Schätzchen. Welchen Nagel schneiden wir zuerst?“
Aus der geschlossenen linken Faust streckt sich zaghaft ein kleiner Zeigefinger, na also, geht doch.
„Den“, sagt er und tippt mit der Fingerspitze blitzschnell auf den Nagel des Mittelfingers. Auf den Nagel meines Mittelfingers.
Die kleinen Fäuste sind längst wieder geballt, und er nickt mir bekräftigend zu. „Den, Mami.“
Wir sind ja nicht aus Dummsdorf.

Mütterliche Kernkompetenz

Das Kind hat Haare. Zunächst ganz kurze, glatte, fast schwarze Babyhaare. Dann längere, glatte, mittelbraune Babyhaare, die sich um zwei imposante, gegenläufige Wirbel am Hinterkopf drehten. Dann längere, lockige, mittelbraune Babyhaare, die hinten die schönsten Kringel formten und vorne platt und unmotiviert in die Stirn hingen. Nach einem Jahr andächtigem Wachsen und zwei Tagen mit Haarspängchen, weil das Kind nichts mehr sah, traute ich mich und schnitt ihm zum ersten Mal beim Spielen mit der Nagelschere das Haar, er krabbelte herum, ich mit der Schere hinterher, fertig war der kleine Junge. Inzwischen haben wir das Haareschneiden auf die Badewanne verlegt, da kann er nicht fliehen und ist mit Schaum, Pinguinen und Eimer so beschäftigt, dass er fast stillhält. Etwa alle 6 Wochen wage ich es, wenn es vorne zu struppig und hinten zu vogelnestig wird, denn die Wirbel und Locken unter der Mütze neigen zum Filzen. Irgendjemand gab mir mal den Rat, die Haare immer nur so kurz zu schneiden, dass die beneidenswerten, herzigen Locken erhalten bleiben, damit wären wir aber – hinten Locken, überall Wellen, Pony glatt – schnell bei einem rastamäßig verfilzten Vokuhila. Ich glaube nicht.
Am Wochenende war es wieder soweit: Das Kind sitzt in der Wanne, macht Schaum, taucht Playmobilfiguren, lässt Wasser ab, trinkt Wasser, spuckt Wasser, sucht den Fisch und macht mit dem Waschlappen die Wanne sauber, die Mutter turnt am Wannenrand herum und versucht aus den erst trockenen, dann („Acung!“, und er kippt sich einen Eimer über dem Kopf aus) immer nasseren Haaren sowas wie eine Frisur zu machen und dabei nicht wie beim vorigen Mal auf den nassen Fliesen auszurutschen und mit der zum Dolch gewordenen Schere in der Hand neben dem Sohn in die Wanne zu stürzen. Das Kind ist nicht drehbar, er sitzt stets mit dem Kopf nach links, dort wo das Wasser und der Spaß herkommen. Geschnitten wird also teils in direkter Ansicht, teils über Kopf oder nach Gefühl auf der erdabgewandten Seite. Locken und Wellen sind gnädig und vertuschen zu schräge Schnitte, meist ist das Ergebnis entsprechend zufriedenstellend. Auch diesen Montag fragte die Erzieherin im Kindergarten – ohne jedes Anzeichen von Entsetzen – ob das Kind beim Frisör war. Die in Form gestutzte Haarpracht dürfte also, denke ich, als Frisur durchgehen.
Naja, was man halt so denkt. Am Abend skypen wir mit den liebenden Großeltern, das Kind strahlt und schäkert über den Bildschirm. „Oh“, sagt die Großmutter, „hat Baby B sich selbst die Haare geschnitten?“ Vielleicht muss ich die Schneidetechniken nochmal überdenken.

Winterkind

„Na, freut sich Dein Kleiner schon auf den Schnee“, fragte unsere Sekretärin im Herbst.
Nö, meinte ich, denn erstens kann er sich, obwohl er geboren wurde, während es schneite, mit seinen eindreiviertel Jahren an keinen Schnee mehr erinnern, und zweitens ist „sich auf etwas freuen“ noch ein etwas abstraktes Konzept in dem Alter. Ob er sich über Schnee freut, konnten wir dann aber bald überprüfen, denn es begann zu schneien. Es schneite einen Tag, es schneite zwei Tage, es schneite drei Tage, überall lag die weiße Pracht und Baby B zeigte sich nicht im mindesten beeindruckt, schien das neue Wetter kaum wahrzunehmen. Dann traten wir eines Morgens Ende November vor die Haustür, Markt und Straßen lagen noch immer unter einer weißen Decke, alles glitzerte, und plötzlich blieb Baby B stehen, schaute, staunte, zeigte auf die Schneehauben auf dem Zaun: „Mami, guck! Schaum!“
Und er freundete sich an mit dem Schaum, den er in der Wanne schon liebte, Zeit genug war ja. Er fand ihn zwar „kal'“, das aber störte nicht, gar nicht, er genoss es, durch ihn zu stapfen, ihn aufzuheben und zu werfen, sich von Opa auf dem Schlitten ziehen zu lassen, mit uns allen am Deich zu rodeln, das Schaf im Garten mit selbst gesammeltem Schnee zu füttern (das Schaf bevorzugt Äpfel). All das stundenlang, auch wenn wir Erwachsenen längst Eisfüße hatten. „Schaum, Mami!“
Im Advent lag Schnee, Weihnachten lag Schnee, nach Weihnachten lag Schnee, endlich ergeben die Schneebilder im Wimmelbuch einen Sinn und die Postkarten mit verschneiten Bäumen. Neujahr lag immer noch Schnee, und als Baby B. am Abend in der Wanne saß, den Kopf voller Shampoo, da klatschte er mit beiden Händen in den Schaum, ließ weiße Flocken hochspritzen und rief: „Mami, guck! ‚Nee!“

Mythen

Ich habe heute mit meinem Kind einen, vielleicht zwei urbane Mythen widerlegt.
Mythos 1: Latte macchiato enthält Kaffee.
Mythos 2: Kaffee macht wach.
Bei Mythos 1 drängte sich der Verdacht ja schon länger auf, und dass Kaffee wach machen soll, konnte ich an mir selbst noch nie verifizieren und halte diesen Zusammenhang schon lange für ein Gerücht. Meine Mutter pflegte früher zu sagen: „Ich bin so müde; ich mach mir mal einen Kaffee, dann kann ich schnell etwas schlafen“, und genau das tat sie dann. Wobei „schnell schlafen“ bei meiner schlafbegabten Mutter hieß, noch deutlich vor Erreichen des Kissens einzuschlafen, was ohne Kaffee der normale Einschlafmoment war.
Das die private Prägung, aber der Volksmund behauptet es ja hartnäckig, positiv wie negativ: „Ich brauch erst mal einen Kaffee zum Wachwerden“ oder „Jetzt kann ich keinen Kaffee mehr trinken, sonst schlaf ich die ganze Nacht nicht.“
Zum heute durchgeführten Versuch: Als die Nachbarin am späten Nachmittag da war, habe ich ihr und mir Latte macchiato gemacht, dem Kind Kakao. Als die Nachbarin weg und ich allein in der Küche war, hat das Kind meinen Latte macchiato (noch etwa 3 Fingerbreit in einem großen Latte-macchiato-Glas) ausgetrunken. Ich habe den letzten Schluck gesehen, „mmmhm!“ sagte er, nickte zustimmend, hielt das Glas hoch, sagte noch „Tee!“ und trank aus. Wenig später, nachdem er Pizza gegessen, staubgesaugt und mit dem Bagger gespielt hatte, ist er zur ganz normalen Zeit normal schnell eingeschlafen.
Resultate: Wenn damit (Kind trinkt wesentliche Mengen Latte macchiato, Kind schläft) Mythos 1 widerlegt sein sollte und Latte macchiato eben keinen Kaffee enthält, kann Mythos 2 dennoch wahr sein. Das lässt sich aus der Versuchsanordnung nicht ableiten. Wenn Mythos 2 mit unserem kleinen Versuch widerlegt werden konnte, ist davon dennoch der Wahrheitsgehalt von Mythos 1 noch nicht betroffen. Vielleicht entsprechen, was aufgrund der Faktenlage nicht zu entscheiden ist, beide Mythen nicht der Wahrheit. Ganz sicher aber sind, das kann als Ergebnis festgehalten werden, nicht beide Mythen wahr.
Auch wenn noch Fragen offen geblieben sind, haben wir doch en passant noch eine andere überlieferte Kaffeeweisheit falsifiziert: „Nicht für Kinder ist der Türkentrank“. Baby B. findet schon. Lecker.

Nuno und die Kinna

Baby B. nennt mich neuerdings nicht mehr wie alle anderen Frauen „Mama“, sondern differenzierter „Mami“. Und nun hat er auf sich selbst gezeigt und nicht „meiner“ gesagt, sondern strahlend „Nuno“. Erkannt. Die Entwicklung macht Riesensprünge.
In der Kita hat er drei Erzieherinnen, die alle noch „Mama“ heißen, aber jeden Tag kann er einen neuen Namen von einem der Kinder. In seiner Gruppe sind außer Nuno selbst: Anna, Inna, Bin, Beca, Hiha, Klakla, Obi, Mahuhu und Unu. Und Kinna. (Bei Beca muss man sich übrigens auf den Kopf klopfen, weil sie immer mit einer Mütze in die Krippe kommt. Beca gehört zu den größeren Mädchen, die schon seit letztem Jahr in die Kita gehen, und sie ist die erste, von der er morgens nach dem Aufwachen spricht. „Beca!“ Große Liebe.) Wer erkennt die anderen, wer möchte lösen?

Raumfragen

Meine Wohnung und mein Arbeitsplatz liegen etwa 15 Fahrradminuten bergab auseinander, auf dem Rückweg oder mit Kind hinten drauf dauert es etwas länger. Der Weg ist machbar, aber ohne Radwege auf einer ampelreichen, sehr befahrenen Straße nicht wirklich schön. Baby B. geht nun in eine Krippe, die praktischerweise genau gegenüber liegt, wir müssen nur einmal über die stark befahrene Straße gehen und 100m bergauf stapfen, dann sind wir da. Und dann kann ich bergab zur Arbeit radeln und mittags wieder zu meinem sehr fröhlichen und müden Kindergartenkind.
Bald haben wir eine neue Wohnung, eine Traumwohnung, die ich von Freunden übernehmen kann. Eine Wohnung, wie ich sie mir immer gewünscht habe, Altbau mit Erker und Dielen und hohen Decken und einem traumhaften Garten mit Schaukel, Rosen, Obstbäumen und Beerensträuchern. Sie liegt direkt gegenüber von meiner Arbeit, exakt vis-à-vis und im gleichen Stockwerk, ich gucke mir also in Zukunft permanent selbst ins Fenster, vom Wohnzimmer ins Büro und vom Büro ins Wohnzimmer, aber ich werde mich dort nie sehen. Ich brauche dann von Tür zu Tür wohl etwa 40 Sekunden, wenn ich alle Treppen zu Fuß nehme oder einen Kollegen treffe oder noch am Briefkasten anhalte vielleicht etwas länger. Allerdings werde ich dann ja Baby B. erst mit dem Rad in die Kita bei der alten Wohnung bringen müssen, bevor ich dann quasi zu Hause wieder zur Arbeit kann. Und mittags das gleiche retour. Finden Sie den Fehler.
Nun liegt auch auf der anderen Seite meines Arbeitsplatzes eine Kita, die gut sein soll, damit hätten wir dann alles in einer auch für Kinderfüße (Größe 21-22) zu bewältigenden Distanz zueinander. Heute habe ich also dort angerufen, meine Situation geschildert und gefragt, wie es mit Plätzen oder einer Warteliste aussähe. Sie hätten eine lange Warteliste, könnten uns draufsetzen, aber nichts versprechen. Sie sei schon sehr lang, aber vielleicht würde es im August klappen.
Im August! Ich frohlockte ein bisschen, erklärte aber, dass es so eilig gar nicht sei, Oktober oder November oder sogar Dezember würde auch reichen, es wäre nur toll, wenn wir irgendwann wechseln könnten.
Die nette Kitaleiterin am anderen Ende prustete kurz. „Die Warteliste für August ZweitausendELF ist bereits sehr lang, meinte ich natürlich.“
“ I hab eigentlich bloß noch oi Problem: Raum und Zeit… aber des check i au no!

Philologen unter sich

1.
Baby B: „da! Baill, Baill!“ Kollegen: „Kind, Du vokalisierst zu stark.“ Unterwegs mit Philologen.

2.
Baby B. sagt zu Wasser aller Arten „Wawa“, zu Tee und anderen Flüssigkeiten in Bechern „Te“ (und „heissss“). Als ich ihm erstmals kühlen Pfefferminztee anbiete, findet er den schmackhaft und denkt länger nach.
Schließlich zeigt er auf die Tasse: „Tewa?“
Ich finde das ziemlich sensationell.

3.
Und wenn uns jemand fragt, was wir sonst so für Hobbys haben, dann sagen wir: „Wir sammeln Komposita.“