Wenn ein sehr kleines Baby weint, hat es Bauchweh. (Wissen alle, sagen alle.)
Wenn es keine Bauchweh hat, ist es müde oder hungrig. (Wissen alle, sagen alle.)
Wenn es keine Bauchweh hat, nicht müde ist und satt, wenn das jedenfalls die Eltern des betreffenden Babys behaupten, ist wahrscheinlich die Windel voll. (Wissen alle, sagen alle.)
Und wenn es ein bisschen größer ist? Dann kommen die Zähnchen.
Unser Zausel ist ein ausgesprochen freundliches und fröhliches Baby, aber auch sie weint manchmal. Wegen der Zähnchen. Wissen alle, sagen alle. Egal wie das Zahnfleisch aussah (rosig, flach), egal, wie viel sie gesabbert (ganz normal, wie Babys halt sabbern) oder wie viel sie geweint hat (eher wenig, aber dann halt doch mal): die Zähne. Als sie fünf Monate alt war, waren wir in Italien, M war freundlich und geduldig, und manchmal weinte sie auch. Wie wir alle. Aber sie weinte wegen der Zähnchen, „i dentini!“ Wussten alle, sagten alle.
Nur dass keine Zähnchen kamen. Als sie fünf Monate alt war nicht, auch nicht mit sechs, sieben oder acht Monaten. Sie wurde neun und zehn Monate alt, sie isst Spätzle, Pasta, Kartoffeln, Brot, Zwieback, Käse, Reis, Obst und Gemüse, sie liebt Knoblauch und bevorzugt Essen in Stückchen und mag Brei nur noch manchmal. Sie legt sich Brotkrumen auf die Gabel (und lässt sie auf dem Weg zum Mund fallen, sammelt die Krümel dann auf und isst sie mit links, die Gabel fest in der rechten Hand), sie legt sich sehr ordentlich Möhrenscheiben auf eine Scheibe Brot (und dreht das Brot auf dem Weg zum Mund um und isst das Brot ohne Möhren und das Gemüse als Nachtisch), aber: sie hat keine Zähnchen. Sie hat das in Tabellen zur kindlichen Entwicklung vorgesehene Zeitfenster für den ersten Zahn verstreichen lassen (die Erwartungshaltung war wohl zu groß. I dentini!), dafür andere Entwicklungsschritte vorgezogen, sie hat zahnlos gelächelt und sich eine wunderbare dreckige Lache angewöhnt und uns manchmal mit Reiswaffelstückchen im Mund lachend gezeigt, wie sie vielleicht mit schiefen Zähnchen aussehen würde. Struppi hat inzwischen eine Frisur wie ein Kindergartenkind, aber den Mund eines Neugeborenen, auch wenn sie damit schon zu sprechen versucht. Wir haben uns so an diesen zahnlosen, süßen Mund gewöhnt, dass wir schon Sorge hatten, ob sie wohl mit den seit Monaten angedrohten Zähnchen – dentini, dentini! – auch so hinreißend lächelt oder ob sich ihr Gesicht sehr verändern wird.
Wir werden es erfahren, denn jetzt ist er da. Seit Donnerstag klappert es beim Essen, und unten rechts ist eine winzige Zahnspitze. Victoria, il dente ist da!
Jetzt zieht sie den Mund schief, es fühlt sich vielleicht fremd an, sie isst Ravioli mit Gemüsefüllung, Brot, Käse und Zwieback, wie vorher. Sie sabbert, lacht und lässt sich wie früher auch nicht den Mund fassen. Und sie weint nicht. Sie lacht, denn sie muss es ja blitzen lassen, das erste Zähnchen.