Lesen, um davon zu erzählen

Meine kleine Lesereihe „Zurück ins Regal“ dämmert in diesem Babyjahr zwar so vor sich hin, um nicht zu sagen, sie schläft und schnarcht friedlich (immerhin schläft damit einer in dieser Familie, das ist ja schon was), aber wir fangen trotzdem noch was Neues an.
Zusammen mit einigen anderen Bloggern*, mit Viel- und Schnelllesern, mit Bücherverschlingern und Bücherhätschelern, mit Bücherliebenden und Bücherlobenden und Bücherverreißern haben wir ein neues Blog angefangen. Eines nur über Bücher und Lesen, von Lesern für Leser. Lesen, um davon zu erzählen, und zwar hier: Common Reader. Der gewöhnliche Leser.
Wir freuen uns über Besuch.

* Drüben spielen mit: Mek Wito, Madame Modeste, engl, die Kaltmamsell, Isa, Anselm Neft und ich.

Zurück ins Regal [5]

Dieses „Zurück ins Regal“ ist ein Skandal. Seit ich vier bin habe ich nicht so wenig gelesen wie in diesem Jahr, in dem ich darüber schreibe. Geschrieben habe ich über meine Bücher zwar auch letztes Jahr, aber anders, und das Ergebnis wartet auch noch auf seine Publikation. Noch so ein Punkt auf der ganz großen To-Do-Liste. Dennoch wirft die [5] da oben ein womöglich noch schlechteres Licht auf mich, als es tatsächlich sein müsste. Denn ich habe nicht nur [fast] nicht gelesen, ich habe außerdem nicht darüber geschrieben. Jetzt also in schneller Folge die erbärmlich wenigen Bücher der letzten Zeit.
Das hier wird Sie interessieren:

Hartmut Stenzel: Einführung in die spanische Literaturwissenschaft. 2. Auflage, Stuttgart / Weimar: Metzler 2005. 280 Seiten.


Wir hatten einige Hoffnungen darauf gesetzt, nachdem wir vorher meist mit Einführungen in die Germanistik jongliert und die historischen Befunde und die Terminologie und die Genre-Besonderheiten für unser Fach nebenher zugefüttert hatten. Knapp gesagt: Die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Schön ist, dass Narrativik, Drama und Lyrik vorkommen. Einiges ist aber nicht ganz sauber und bleibt wolkig, besonders im 1. Teil „Allgemeine Fragen: Literatur und Literaturwissenschaft“; an Einzelstellen, besonders bei der Analyse von Prosa, werden die Wolken zu Fehlern. Schön und geradezu bestechend ist auch die Idee, eine Literaturgeschichte direkt in die Einführung zu integrieren und den Theorieteil mit Beispielen aus Texten, die hinten in der Literaturgeschichte kontextuell verortet werden, zu verbinden. Schade nur, dass diese Verknüpfung nicht funktioniert. Es gibt einige Verweise zwischen Theorie und Textbeispielen, wo man über ein „hm“ oder „ach so?“ nicht wirklich hinauskommt. Bestenfalls. Das ist vielleicht die größte Enttäuschung. Und da der Literaturgeschichtsteil nicht wie erhofft direkt für den Theorie- und Analyseteil verwendet werden kann, fällt die für diese Verknüpfung in Kauf genommene Schmalheit des Analyseteils doch wieder ins Gewicht. 40 Seiten Anleitung zur „Analyse und Interpretation“ (von 280 gesamt) scheint mir dann arg wenig zu sein.

Wir müssen wohl doch selbst ran.
Die Einführung in die spanische Literaturwissenschaft steht jetzt zwischen J. Schulte-Sasse / R. Werner: Einführung in die Literaturwissenschaft und Heinz Ludwig Arnold / Heinrich Detering (Hg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft im kleinen Regal am Schreibtisch. Für ungefähr zwei Wochen, dann gehts von vorne los.

Gefühlte Nachbarschaft

Anders als in der Blogroll hier unten rechts, die schnöde und sehr diskret nach Alphabet sortiert ist (und alphabetisch sortiert hilft zwar beim Finden, vgl. Lexikon, jede inhaltliche und emotionale Nachbarschaft muss aber Zufall bleiben), gilt für die Lesezeichenliste auf dem Computer genau wie für die Bücher im Regal das Prinzip der gefühlten Nachbarschaft.
Dort stehen Freunde beieinander und ganz oben, die Zeichner bilden ihr Grüppchen, die Plaudertaschen gesellen sich zueinander wie auch die Edelsteinschleifer. Und die Blogger, in die ich mich ein bisschen verliebt habe, stehen auch zusammen.
Jetzt bin ich ganz aufgeregt, weil ich dank Anke das Blog von Saša Stanišić dazuschreiben konnte.
Ich verrate aber nicht, wohin.

Zurück ins Regal [4]

John Irving: Bis ich dich finde.
Übersetzt von Dirk van Gunsteren und Nikolaus Stingl.
Diogenes 2006, gebunden, Mängelexemplar, 1140 Seiten. (Wie übersetzt eigentlich man zu zweit einen Roman?)

Dieses Buch stelle ich vor Seite 1140 wieder ins Regal, ich bin etwa bei der Hälfte unterbrochen worden und habe dann am 4. Februar zwischen der Einnahme von 25mg und 50mg Wehenmittel zur Geburtseinleitung auf Seite 642 aufgehört zu lesen. Danach hatte ich anderes zu tun, und das hat sich bisher nicht geändert.
Meine Mutter hatte sich zu meiner Geburt Sternstunden der Menschheit von Stefan Zweig mitgenommen. Sie hat im Kreißsaal dann zwar doch nicht gelesen, dennoch bin ich ganz berückt von dem Titel, eine dem Kind sehr (zu sehr, jaja) schmeichelnde Wahl.
Durch den vorzeitigen Blasensprung hatten wir keine Zeit, die Lektüre dem Moment in unserem Leben anzupassen, und Bis ich dich finde ist nicht ganz so großartig wie Sternstunden der Menschheit, aber die Titelworte sind als wegweisende Zeile für eine Geburt doch passend (und deutlich besser als als vieles vom Inhalt).
Was bisher geschah.
Es ist ein Irving, und ich habe mir notiert, wann die ersten Ringer auftauchen und wann die ersten Transvestiten; leider ist der Zettel im Krankenhaus verloren gegangen, es war beides so um Seite 280. Bären sind bisher nicht dabei, dafür außer den Ringern auch Tätowierer und Tätowiererinnen und eine Menge Sexualität in diversen irvingschen Ausprägungen, wie für meinen Geschmack etwas viel sexueller Missbrauch eines kleinen Jungen, dazu Huren, Pornodarsteller, Vaginismus, Tod beim Sex.
Eigentlich geht es um Jack Burns, als Kleinkind, als Schüler im Internat, als junger Mann und Schauspieler, soweit bin ich jetzt, und um die Suche nach seinem Vater, einem Kirchenmusiker und Organisten, der sich Ausschnitte von Musikstücke auf den ganzen Körper hat tätowieren lassen, und um die Mutter des Jungen, die Tätowiererin und das verführte Chormädchen Alice, und um Emma, ein älteres Mädchen, das Jack missbraucht und liebt und die jetzt gerade beerdigt wird.
So ganz weiß ich noch nicht, worauf es hinausläuft. Mein Bruder #1 fand, Bis ich dich finde sei eines der besten Irving-Bücher seit langem, aber da ich vielleicht doch mit was anderem weiterlese, wenn ich wieder wach genug dazu bin, räume ich das Buch jetzt erst einmal ins Regal.
Zitieren möchte ich nur die Widmung, denn die passt gerade:

Für meinen jüngsten Sohn Everett, der mir das Gefühl gegeben hat, wieder jung zu sein. In der inbrünstigen Hoffnung, daß Du, wenn Du alt genug bist, um diese Geschichte zu lesen, eine ideale Kindheit gehabt hast (oder noch mitten in dieser Kindheit steckst), eine gänzlich andere als die hier beschriebene: die beste nur denkbare Kindheit.

Oh ja.


Bis ich dich finde liegt im Moment quer über der Kiste Franz Kafka:
Romane und Erzählungen, über Franz Kafka: Die Verwandlung, Arthur Schnitzler: Therese, Arthur Schnitzler: Der Weg ins Freie, Arthur Schnitzler: Frau Berta Galan und Arthur Schnitzler: Sterben. (Ja, es geht dann noch weiter mit Arthur Schnitzler, und ja, da hab ich mal ein Seminar zu besucht, wie sind Sie darauf gekommen?)

Zurück ins Regal [3]

Marisha Pessl: Die alltägliche Physik des Unglücks (Fischer 2007), übersetzt von Adelhaid Zöfel.
(Gebunden, 601 Seiten, rotes Lesebändchen.)

Die alltägliche Physik des Unglücks (Original: Special Topics in Calamity Physics, 2006) ist der Erstling einer US-amerikanischen Autorin (Jahrgang 1977, seufz). Kurz nachdem er auf Deutsch erschienen war, habe ich eine enthusiastische Kritik dieses Romans gelesen, ihn vor Weihnachten nun zufällig als Mängelexemplar gefunden, im Laden angelesen und gekauft. An Beschreibungen der Handlung konnte ich mich nicht erinnern, aber „verblüffend“ fällt in den Rezensionen häufiger, auch im Klappentext bejubelt „The Independent“ das Buch als „prall, brillant, verrückt“, „Die Zeit“ findet es unter anderem „[a]nspielungsreich, pointensicher […] sprachlich funkelnd“, und das alles stimmt, und es stimmt auch für die Übersetzung.
Die 600 Seiten sind in 3 Teile gegliedert, und diese wiederum in Kapitel, die alle die Titel von Werken der Weltliteratur tragen, von Othello über Herz der Finsternis bis Metamorphosen. Der Roman endet mit dem Kapitel Abschlusstest.
Das ist mehr als Spielerei: Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Blue van Meer ist zur erzählten Zeit Schülerin der Abschlussklasse der High-School, vor allem aber ist sie die hochbegabte Tochter eines Politik-Professors, der mit ihr seit ihrer frühen Kindheit von Uni zu Uni durch die USA tingelt und ihr einen großen Teil ihrer Bildung im Auto vermittelt. Ein bisschen Nabokov ohne Inzest. Einen guten Teil dieses Wissens spuckt die Erzählerin im Text wieder aus, als wissenschaftliche Belege an allen möglichen und unmöglichen Stellen, so etwa nach vielen der Vergleiche, die sie permament bringt. Die
(teils fiktiven? überwiegend fiktiven?) bibliographischen Angaben im Text scheinen mir zusammen mit den Vergleichen eines der hervorstechenden Stilmittel des Textes zu sein. Das kann man vermutlich mühsam finden, aber mir hat die Lektüre viel Spaß gemacht.
Das sieht dann z.B. so aus:

Nigel war die Nullziffer (siehe „Negative Space“, Art Lesson, Trey, 19773, S. 29). Auf den ersten Blick (und auch noch auf den zweiten und dritten) war er ganz normal. Sein Gesicht – oder besser, sein ganzes Wesen – war wie ein Knopfloch: klein, schmal ereignislos. (107)

Oder so:

Als wir beschlossen, nicht mehr betrunken zu sein (der Tod hatte den gleichen Effekt wie sechs Tassen Kaffee und ein Sprung in die Beringsee), gingen wir zurück ins Wohnzimmer. Ein neuer Beamter hatte die Sache in die Hand genommen, Officer Donnie Lee, ein Mann mit einem kugeligen, schiefen Gesicht, das an eine missratene Vase auf einer Töpferscheibe erinnerte. Er ließ die Gäste antreten, „bitte geordnet, Leute“, mit der manischen Geduld eines Activities Director auf einem Kreuzfahrtschiff, der einen Landausflug organisiert. Nach und nach ringelte sich die Menge durch den Raum. (206)

Oder auch so:

Sie erwartete, dass ich protestieren, auf die Knie fallen, jammern würde, aber das konnte ich nicht. Es war mir nicht möglich. Ich musste an etwas denken, was Dad einmal gesagt hatte: Dass manche Leute die Antwort auf alle Lebensfragen schon am Tag ihrer Geburt parat haben und es keinen Sinn hat, ihnen etwas Neues beibringen zu wollen. „Sie haben geschlossen, obwohl sie um elf Uhr öffnen, Montag bis Freitag, was ziemlich verwirrend ist“, sagte Dad. Und wenn man versuchte, das, was sie denken, zu verändern und ihnen etwas zu erklären, weil man hoffte, sie könnten vielleicht doch auch eine andere Sicht der Dinge verstehen, war das ein sehr anstrengendes Unterfangen, weil man nichts erreichte und einem hinterher alles wehtat. Es war, als wäre man ein Gefangener in einem Hochsicherheitstrakt, der wissen wollte, wie sich die Hand eines Besuchers anfühlte (siehe Leben im Dunkeln, 1967). Egal, wie verzweifelt man es sich wünschte und seine stumme Handfläche gegen die Glasscheibe drückte, genau an der Stelle, wo der Besucher seine Hand hatte – man spürt sie nicht. (434f.)

Neben Erwachsenwerden und Vater-Tochter-Beziehung und Clique und Schule passieren in diesem letzten High-School-Jahr eine Menge wenig alltäglicher Dinge, und die Zahl der überraschenden – aber stets vorbereiteten – Wendungen in der Handlung nimmt gegen Ende des Romans immer mehr zu. Darunter auch der „fabelhafte Grund“, um ihre Lebensgeschichte auf und über ihre Kindheit zu schreiben, „[…] vor allem über das Jahr, in dem sie aufgeribbelt wurde wie ein alter Wollpullover“ (9).

Lesen.
Die alltägliche Physik des Unglücks steht nun zwischen Dave Eggers: Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität (großartig!) und Haruki Murakami: Mister Aufziehvogel.

Nachgetragener Schluss [zu Zurück ins Regal 1 und 2]

Auf Wunsch einer einzelnen Dame und damit das Konzept der neuen Bücherserie schlüssig zu Merlixens Neu auf dem Nachttisch (mit Zitat der Anfänge) und zu Wiesenrautes Perlen gotischer Baukunst (Zitate aus der Mitte) passt, trage ich nun die Schlussabsätze der eigentlich bereits weggeräumten Romane von gestern nach.
Festhalten möchte ich auf der Nennung der Buchnachbarn auf dem Brett, bin mir hier aber weiter unsicher: Ist das Zitieren des Schlusses erwünscht, da so ein Eindruck vom Stil entsteht, oder eher lästig, da Verrat und Spoiler und man das Ende gefälligst genau dort, also am Ende selbst lesen sollte?

Meinungen, bitte!

So könnte es aussehen. Zusätzlich zu dem Kram von gestern. Die Romane enden so:

zu [1] Jeffrey Eugenides: Die Selbstmord-Schwestern

Und wir mussten wie Hunde ihre letzten Spuren erschnüffeln, an Schmutzabdrücken auf dem Boden, an Koffern, die unter ihren Füßen weggestoßen worden waren, mussten für immer die Luft der Zimmer atmen in denen sie sich töteten. Am Ende spielte es keine Rolle, wie alt sie gewesen oder dass sei Mädchen waren, von Bedeutung war einzig, dass wir sie geliebt hatten und sie uns nicht hatten rufen hören, uns auch jezt nicht hören, wenn wir mit unseren schütteren Haaren, unseren schlaffen Bäuchen sie von hier oben, im Baumhaus, aus jenen Räumen zurückrufen, in die sie davongegangen sind, um für alle Zeiten allein zu sein, allein im Selbstmord, der tiefer ist als der Tod und in dem wir niemals die Stücke finden werden, sie wieder zusammenzufügen. (S. 251)


zu [2] Tilman Rammstedt: Der Kaiser von China

Ich schaue auf die Tickets in meiner Hand, für morgen ist der Rückflug gebucht. Ich glaube nicht, dass ich ihn nehmen werde. Das ist mir tatsächlich viel zu eng. Alles ist mir gerade zu eng, und vielleicht werde ich enfach weiterfahren, mich einfach noch ein wenig umsehen, es ist schließlich ein großes Land.
Bis bald. Alles Gute,
K. (S. 191)

Zurück ins Regal [1] und [2]


In Anlehnung an Merlixens Serie „Neu auf dem Nachttisch“, die auch die Schnellleser unter uns mit einem Gefühl zwischen Atemlosigkeit und Unglauben verfolgen, probiere ich hier nun die neue Kategorie „Zurück ins Regal“ aus. Das Vorhaben ist umgekehrt, ich kommentiere das jeweilige Buch dann, wenn ich es ausgelesen habe und ins Regal (zurück-)räume. Auf ausführliche Rezensionen verzichte ich, sonst werde ich allein aus Bedenken vor der anstehenden Schreibaufgabe gar nichts mehr zu Ende lesen. Eine kurze und streng subjektive Einschätzung will ich aber versuchen; vermerkt werden außerdem linker und rechter Nachbar auf dem Regalbrett.
(Vorschläge für einen besseren Titel für diese Serie? Wenn es denn eine wird?)

Um das noch frische Jahr vollständig zu erfassen (Bücherlisten führe ich sonst ja nur zu wissenschaftlichen Zwecken), heute gleich zwei Bücher, die in diesen Tagen vom Nachttisch zurück ins Regal gewandert sind.

[1] Jeffrey Eugenides: Die Selbstmord-Schwestern (Rowohlt 2005), übersetzt von Mechthild Sandberg-Ciletti
Nachdem Middlesex meine verspätete Entdeckung des Jahres 2008 war und ich mitten in der Schlussphase der Diss nachts nicht aufhören konnte, Eugenides zu lesen, habe ich mir dieses als „Sein bestes Buch“ beworbene zusammen mit diversen Weihnachtsgeschenkbüchern selbst gekauft, im Einpackwahn auch für mich selbst einen silbernen Stern über den Preis geklebt und es – parallel zu zwei weiteren Büchern allerdings – unterm Weihnachtsbaum begonnen.
Ein Ich- oder Wir-Erzähler rekonstruiert ein Jahr seiner Jugend, in dessen Zentrum die im Titel genannten Schwestern und ihre Selbstmorde stehen. Auf beiden Zeitebenen eine Annäherung an jene Monate und an die für den Erzähler und seine Freunde so faszinierenden wie unerklärbaren fünf Mädchen.
An Seitenumfang, aber auch an Sprachwucht, Geschichte und Sog kommt es nicht an Middlesex heran, dennoch: gern gelesen.
Die Selbstmord-Schwestern stehen nun zwischen Jeffrey Eugenides: Middlesex und Harry Mulisch: Die Entdeckung des Himmels.

[2] Tilman Rammstedt: Der Kaiser von China (DuMont 2008)
Wenn man einen Autor kennt, auch wenn dieses Kennen schon ein wenig her ist, liest man – lese ich – die Texte mit einer leichten Nervosität, mit leiser Sorge vor Enttäuschung. Ich bin wirklich froh, dass nicht nur Tilmans Erstling Erledigungen vor der Feier gut war, die Klagenfurtlesung habe ich gebannt verfolgt und mich erst sehr über den Text, dann hüpfend über beide Preise gefreut.
Der Roman beginnt mit dem furiosen Klagenfurt-Text, und beim leisen Lesen war ich zunächst angetrieben von seinem Tempo beim Vortrag. Insgesamt gefallen mir die Teile besser, die in Deutschland spielen, die China-Briefe nehmen aber im Verlauf der Handlung immer mehr Raum ein. Der Text ist gut, er funktioniert so, wie er ist, aber ich habe ihn insgesamt nicht ganz so begeistert beendet wie begonnen.
Der Kaiser von China steht nun zwischen Tilman Rammstedt: Wir bleiben in der Nähe und Inge Merkel: Eine ganz gewöhnliche Ehe. Odysseus und Penelope. (Bei letzterem macht übrigens schon das Vorwort glücklich.)


Geschenke einpacken (Oder: „Macht Bullerbü da?“)

Leider schaffe ich es nicht, dem Patenkindbruder Weihnachten in Bullerbü einzupacken.
Erst musste ich genau so, wie es in meinem Buch ist, mit Bleistift die Namen der Kinder zum Bild auf der ersten Seite schreiben. Und dann musste ich lesen. Und die Bilder angucken. Und noch einmal lesen. Und das Pfefferkuchenschwein. (Lasse backte neunzehn Pefferkuchenschweine.) Und Ole auf dem Nordhof-See. Und nochmal lesen.
Dabei kenne ich wahrscheinlich keinen Text schon länger auswendig als diesen.
„Am Abend gingen wir von Hof zu Hof und sangen Weihnachtslieder vor den Fenstern. ‚Alles ist so schön weihnachtlich, dass ich fast Bauchschmerzen bekomme“, sagte Inga.“

Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein

Liebe Wörter, liebe Buchstaben, liebe Satzzeichen, es wäre dann an der Zeit, sich zu entscheiden. Will noch jemand mit? Wenn ja, an welche Stelle? Das muss jetzt bitte etwas flotter gehen mit der Platzwahl. Woanders sitzen? Noch gehts, tauschen Sie, gerne, aber passen Sie bloß auf, dass dabei nichts durcheinander gerät. Nein, die Seitenzahl dürfen Sie nicht mitnehmen, die lassen wir hier. Und lassen Sie das Figurengedicht los, das steht ganz gut so, wie es jetzt ist. Sie möchten lieber doch noch kursiv? Sehen Sie zu, aber achten Sie bitte darauf, dass es auch passt. Hat jeder seine Kapitelnummer? Alle Fußnoten an Bord? Könnten wir nochmal durchzählen?
Noch jemand aussteigen? Darf ich dann alle Rauten bitten, die Seiten zu verlassen? Die beieinanderstehenden Duplikate? Die gedoppelten Satzteile? Danke.
Bitte gehen Sie zügig, ohne zu hetzen. Wir schließen.