Kulinaria

Da ich letztens Lust auf ziemlich deutsches Essen wie dunkles Brot mit Harzer Käse und saure Gurken hatte, habe ich ein Glas Essiggurken gekauft, das ich heute beim Abendbrot auf den Tisch stelle. Percanto isst helles Brot mit Frischkäse und Marmelade, ich biete ihm Gurken an, Harzer Käse versuche ich gar nicht erst. Er guckt skeptisch und lehnt ab:
„Nein, ich mag keine Frösche. Eingelegte Labor-Frösche ohne Arme und Beine. Quak, quak, quak.“

Vier!

Ohne zu suchen, nur beim im Gras sitzen und warten, habe ich heute vier (in Zahlen: 4!) vierblättrige Kleeblätter gefunden.
Sofort von meine Unabergläubischkeit abgefallen und im Brustton meiner Überzeugung an das Glück geglaubt.

Was schön ist…

… wenn der Bruder die Frage, wie es ihm geht, mit „sehr sehr gut“ beantwortet
… wenn die Stimme zum Instrument wird, sich mit den anderen elf Stimmen vermischt und ich beim Prätorius merke, dass sie Höhe hat und trägt
… wenn ich morgens um acht der Musik ins Wohnzimmer folge und sehe, wie Percanto tanzt, allein, in der Sonne, beseelt

Era en abril

[…]

No pudo llenarse la boca de voz,
apenas vació el vientre de mi dulce amor.
Enorme y azul
la vida se le dio.
No pudo tomarla, no pudo tomarla,

de tan pequeño.

[…]

Nichts zu sagen, nichts zu schreiben. Nur dass wir traurig sind, beste Anna.
Eleni. Kalinichta, Eleni.

Maskenball umgekehrt

Eine Bloglesung ist wie ein umgekehrter Maskenball. Man geht gänzlich unverkleidet, als fleischlicher Mensch der Kohlenstoffwelt, mit einem Namen, der auch im Ausweis steht und mit einem offenen Visir. Und die fehlende Camouflage ist die beste Tarnung.
Ich werde erst erkannt, wenn ich mein Pseudonym nenne oder vorgestellt werde: „Das ist die Percanta aus dem Internet.“ Karneval andersherum. Rätseln. Suchen nach einem verräterischen Detail. Die Eingeweihteren frage ich flüsternd, wer denn dies sei, und wer jener? Die Leute im Raum erkennen, wenn sie sich noch einmal kurz ihre Masken vor die Augen halten.
Der staunende Blick auf die Gesichter hinter den Avataren. Sofortige Vertrautheit bei denen, die zwar unter falschen Namen, aber mit echten Fotos bloggen. Die Nähe ist sicher trügerisch, Lesen und Gelesenwerden in deutlichem Ungleichgewicht. Einmal entschuldige ich mich, dass ich so mitten im Gespräch beginne. Ich muss kurz an Begegnungen mit Tagesschausprechern denken: Aber Sie müssen uns kennen, Herr Wickert, wir schauen doch jeden Abend die Nachrichten!

Einige der Vertrauten lesen Texte vor, die ich schon vor längerer Zeit, als die Worte noch ganz frisch waren, selbst gelesen hatte. Und hinterher kann man sich nicht mal die Blogs signieren lassen.
Wer in meiner Blogroll untereinander steht, sitzt nun kichernd nebeneinander auf dem Sofa.
Dieser Dialekt, hinreißend! Größer als erwartet, und lockiger. Der Humor – genauso. Der Charme auch. Dem gezeichneten Selbstporträt so ähnlich. Und Mimik, die Leute haben Mimik!
Wir nennen uns weiterhin bei unseren erdachten Namen, trinken echtes Bier und sehen einander ins ungepixelte Gesicht.
Und das Blogbaby duftet in meinem Arm und hat genau das richtige Gewicht für Glück.

Nachtrag zu Jans Organspende

Was mein Bruder gerade noch über seinen Freund Jan unter den Beitrag zu Miriams neuem Herz geschrieben hat, sollte nicht in den Kommentaren versteckt bleiben.
Ein Gastbeitrag – und Plädoyer – von Hermano #1: Zu der Geschichte gibt es ja noch einen Nachtrag. Ungefähr 2 Jahre nach Jans Tod haben sich seine Eltern durchgerungen, mal bei Eurotransplant anzufragen, ob denn überhaupt Organe genutzt und transplantiert werden konnten. Dort war man sehr erleichtert, daß sich die Familie endlich meldete, da Eurotransplant von sich aus keinen Kontakt zu den Spenderangehörigen aufnehmen darf. Es hatten sich nämlich in der Zwischenzeit einige Briefe von Empfängern der Organe angesammelt, die aber auch nicht einfach so weitergeleitet werden durften. Im Endeffekt wurde beinahe alles was transplantierbar ist auch verpflanzt, und so hatten sich eine ganze Reihe von Empfängern gemeldet. Es liegen z.B. einige Briefe eines jungen Mannes vor, der an einer angeborenen Krankheit der Atemwege litt und der, kurz vorm qualvollen Ersticken, Jans Lungen bekam. Er schrieb, daß er jeden Atemzug in vollem Bewusstsein nehme, daß sein neues Glück direkt mit schrecklichem Unglück anderer Menschen verbunden sei, und er jeden Atemzug dankbar sei für den Mut und die Großzügigkeit des Spenders und seiner Angehörigen. Er schrieb weiterhin, daß er häufiger mal mit seiner neuen Lunge spreche, und an besonders schönen Orten besonders tief Luft hole, um die Eindrücke zu teilen.
Weitere Briefe gab es von einer Frau unseren Alters, die seit Jahren mehrmals die Woche zur Dialyse musste und durch eine von Jans Nieren wieder ein normales Leben führen konnte. Allen Briefen ist gemein, daß es den Empfängern sehr sehr bewusst ist, woher diese Organe kommen, und was damit verknüpft ist.
Wenn man das alles liest und zusammenfasst, dann beginnt dieser schreckliche, sinnlose Unfall ein klein wenig weniger sinnlos zu sein, und damit ist nicht nur den Empfängern geholfen sondern auch Freunden und Angehörigen der Spender.

[Info Organspendeausweis]

 

Ü-ber-all

Ich bin in der privilegierten Situation, über einen lebenden Dichter zu schreiben, der auch noch offen und freundlich auf mich und alle meine Fragen nach großen Schwestern, unpublizierten Büchern, verschollenen Zeitungsartikeln oder Errata eingeht.
Das heißt manchmal, dass ich ihn in zwei bis sieben Büchern vor mir auf dem Tisch habe, und gleichzeitig in etlichen weiteren und all diesen Ordnern und wirren Zettelstapeln hinter mir, auf dem (im Moment eingerollten) Plakat, in meinen überlappend angeordneten und langsam langsam wachsenden Textdokumenten vor mir auf dem Bildschirm – wie alle eben, die über etwas schreiben, und vom Kopf wollen wir gar nicht reden -, außerdem habe ich ihn aber noch in zwei neuen Nachrichten im Mailordner und neuerdings auch im Chat. Er leuchtet gerade grün, mein 70-jähriger Poet, ist also online.
Hasta en la sopa, würde mein Argentinier sagen. Selbst in der Suppe.

Herz

Die kleine Miriam wird transplantiert. Jetzt. Heute Nacht, sie ist schon im OP.
Ich denk an Euch, lieber Hilko, liebe Elissa, und wünsche Euch und vor allem Miriam so sehr, dass alles gut gehen möge, sie gesund wird und sich alle Hoffnungen, die Ihr an diese Transplantation knüpft, erfüllen.
Alles, alles Gute!

(Mit einem anderen Teil meines Kopfes und Herzens denke ich auch ein bisschen an die andere, unbekannte Familie, und auch an meinen Bruder #1. Die vielleicht mutigste Tat seines Lebens war, nach dem fürchterlichen Unfalltod seines besten Freundes vor zwei Jahren mit dessen Eltern über Organspende zu sprechen. Sie haben dem zugestimmt. Ich fand das sehr tapfer, von allen.)

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Edit Dienstag, 12 Uhr, Erleichterung:
Miriam ist seit etwa zwei Stunden wieder zurück auf Station, die OP ist überstanden und sie ist Gottseidank stabil.