Musik, bitte!

Eine Woche vor der Geburt hat das Baby in meinem Bauch die Marienvesper (Monteverdi) mitaufgeführt. Auch vorher und nachher hat einige Chorproben miterlebt, sein Vater spielt ihm auf der Gitarre vor und er tanzt ihn in den Schlaf. Singen findet er schon immer ziemlich gut, bei Sibelius im Radio hat er sich kürzlich vor dem Lautsprecher mit dem Kopf auf den Boden gelegt und nur mit der einen Hand geklopft – zu sagen „den Takt“ wäre vermutlich überinterpretierend. Seine Lieblingsregalfächer sind das mit den Comics und Kunstbänden sowie das mit den Partituren. Dort hat er letzte Woche auch meine alte Blockflöte gefunden., sie aus der Hülle gefischt und lag plötzlich mit dem Mundstück im Mund

Entscheidungsträger

Seit etwa einem Jahr gehört zu meiner Arbeit auch, Personalentscheidungen zu treffen. Das heißt, dass ich Bewerbungen sichte, sortiere, beurteile, dass ich für mich entscheide und in einer Gruppe begründe, wen ich einladen will und wer sofort eine Absage bekommen soll. Wenn die Kandidaten kommen, um eine Art deutlich erweitertes Vorstellungsgespräch zu führen, sitze ich auf der anderen Seite des Tisches, lächele sie an, stelle ihnen Wasser hin, stelle Fragen, mache mir Notizen. Wenn wir hinterher diskutieren, habe ich erst Argumente für und gegen die einzelnen Kandidaten und meist ein Bauchgefühl und am Ende habe ich eine Stimme. Und dieses Ja oder Nein gebe ich zu Protokoll und entscheide so – nicht allein, zwar aber doch deutlich direkter als bei einer politischen Wahl, wo ich (nur) mein Kreuz auf einen Zettel setze. Alles ganz normal.
Dennoch wird es mir zwischendurch immer wieder bewusst, was ich da eigentlich tue. Dass ich mit meiner Meinung, meiner Stimme, über die berufliche und familiäre Zukunft von Menschen entscheide. Ich entscheide mit dieser Stimme ja nicht nur, wer unser neuer Kollege wird und mit wem ich nächsten Winter zusammenarbeite, sondern ich entscheide auch, ob jemand aus Spanien nach Deutschland zieht. Ob jemand den Sprung von seinem alten Berufsbild in eine neue Richtung schafft. Ob jemand nach seiner Rückkehr aus Mittelamerika eine schlecht bezahlte, aber doch für ein paar wenige Jahre sichere Stelle hat, oder ob es doch erst mal mit Honorarjobs weitergeht.
Wahrscheinlich ist es gut, sich das gelegentlich vor Augen zu halten, wenn man schnell und vielleicht voreilig die Tafel mit der schlechten B-Note zücken will. Und ich bin froh, dass es in meinem Beruf nicht üblich ist, diese Art von Entscheidungen alleine zu treffen. Trotzdem ist es ein merkwürdiges Gefühl, heute Nachmittag wieder einmal darüber entschieden zu haben, wer weiter Bewerbungen schreiben muss und wer sich ein Zimmer hier in der Provinz suchen sollte, weil wir bald eine Menge Arbeit für ihn haben. Und versuche mir vorzustellen, was die Kandidatin, auf die heute die Wahl gefallen ist, wohl gerade macht. Ich hoffe, sie steht zum Beispiel mit einem Glas Wein auf dem Balkon und ist mit sich und der Welt zufrieden.

Nachbarn

Die Nachbarn haben einen Hund, so einen gelben, der sich immer sehr freut, wenn er rausdarf. Wenn er nach einem Gang mit Herrchen, Frauchen oder der einzigen Tochter der Familie wieder reinkommt, bekommt er vor der Wohnungstür die Pfoten saubergemacht. Entweder macht Herrchen das selbst oder er kontrolliert die Hundefüße, nachdem Frau oder Tochter sie geputzt haben, und da sie nie wirklich sauber und trocken sind, macht er es dann doch besser noch einmal selbst. Und ordentlich.
Wenn unser Küchenfenster offen ist, hören wir jedes Wort auf dem Gang, und wenn sie schimpfen, auch bei geschlossenem Fenster. Kürzlich hatte der Hund Durchfall, wie uns zu Ohren kam. Das Pfotenputzen vor der Wohnungstür dauerte noch länger als sonst, und während des Wischens und Waschens wurden von Vater und Tochter die Details der Hundekotkonsistenz erörtert und in zunehmend scharfen Ton diskutiert, wie es passieren konnte, dass sich das Tier so dermaßen, und etwas mehr Wasser, und hier oben im Fell ja auch, und das stinkt wirklich furchtbar, NEIN, so kannst du nicht in die Wohnung, ksch, und er hatte einfach Durchfall, ich weiß nicht, was er gefressen hat, das ist ja ganz schön widerlich und – dann ging die Tür einer anderen Wohnung auf und: ach, der süße Hund, einfach durch den Teich gelaufen, haha! Das nasse Pfötchen auch noch, nicht, mein Süßer?
Ich bin nicht sicher, ob ich wissen will, wie sie mit Tochter und Hund reden, wenn die Tür zu ist. Aber ich nehme an, die Tochter kann froh sein, wenn sie
Cupído.

Nachbarn

Wir wohnen nun seit fast einem Jahr in dieser Wohnung. Sie liegt in einem Mehrfamilienhaus, in dem die meisten Wohnungen Eigentumswohnungen unterschiedlicher Größe sind, das Haus hat mehrere Flügel und Etagen und es herrscht Ordnung. Die Mülltonnen stehen in einem Metallkäfig, wenn der Trockenraum gesäubert wird, bitte UNBEDINGT die Wäsche abhängen, und kürzlich hat ein nicht zum Haus gehörender Herr alle Namensschildchen an den Klingeln und Briefkästen durch einheitliche Schilder (außer unserem, da hat er sich wohl nicht ans Neuschreiben gewagt) und alle roten, weißen, gedruckten und handgeschriebenen Bitte-keine-Werbung-Aufkleber durch einheitliche weiße Keine-Werbung-bitte-Aufkleber ersetzt. So läuft das hier. Wir sind die einzige Familie mit kleinem Kind – unser Hausbaby, sagte eine Nachbarin von oben – und hinter manche Wohnungstür will ich nicht so genau gucken, aber insgesamt natürlich viel besser als Knaller im Briefkasten, Kotze auf der Schwelle und Penner im Keller. Viel besser.
Den Nachbarn auf unserem Flur haben wir uns vorgestellt, andere haben wir im Treppenhaus oder vor der Tür kennengelernt, aber insgesamt s von vielen anderen habe ich einen Eindruck – aber

Wie lieblich


Wenn man früh morgens mit dem munteren Baby am Fenster steht, kann man sehen, wie die Stadt das Plakat für das Konzert am Abend nachstellt. Wie lieblich.

Sonntag Abend

Das Konzert gestern endete exakt um 18 Uhr.
„Einiges war schon sehr schön“, so die vorläufige Kritik, und einer der schönsten Momente war vielleicht der, als der Maestro unmittelbar nach dem Verklingen des Schlusstons dezent den Ärmel ein wenig hochschob, auf die Uhr schaute und in den beginnenden Applaus hinein den Chor fragte: „Hat jemand die Hochrechnungen? Ist sie es noch? Ist sie schon weg?“

(Sie ist es noch. Und wir haben noch zweimal die Chance, auch nach dem Schlussakkord noch seriös zu wirken.)

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Veranstaltungshinweis: Musik

„Wie lieblich“
Doppelchörige Chorwerke und Saxophon-Improvisationen

Werke von Claudio Monteverdi Heinrich Schütz Johann Sebastian Bach Felix Mendelssohn Bartholdy Trond Kverno

Samstag, 26.09.2009 20 Uhr Braunschweig, St.-Andreas-Kirche
Sonntag, 27.09.2009 17 Uhr
Hildesheim, St. Michaelis

und dann nochmal im Oktober:
Samstag, 17.10.2009, 20 Uhr
Tübingen, Stiftskirche
Sonntag, 18.10.2009, 17 Uhr
Darmstadt, Stadtkirche

regerchor Braunschweig
Hanns-Wilhelm Goetzke, Saxophon
Leitung: Karl Rathgeber

Eintrittskarten für die Konzerte in Hildesheim, Tübingen und Darmstadt erhalten Sie an den Abendkassen. Eintrittskarten für das Konzert in Braunschweig erhalten Sie auch an den üblichen Vorverkaufsstellen und bei Ticket Online

Ich geh dann mal proben.

Veröffentlicht unter Lala