Zurück im Regal [6]

Ana María Matute: Primera Memoria [1960]. Destino, Barcelona 2009.
Primera Memoria ist einer der ersten spanischen Romane, die noch unter Franco den spanischen Bügerkrieg thematisieren. Der Bürgerkrieg ist über weite Strecken ein unklares Geschehen im Hintergrund, wir erfahren, was die jugendliche Erzählerin und Protagonistin Matia aufschnappt, erlebt oder sich zusammenreimt. Sie ist 14 Jahre alt in diesem Sommer zu Kriegsbeginn, und das Erwachsenwerden löst viel mehr Ängste aus als der Schrecken des fernen Krieges –

Der Krieg bleibt unklares Geschehen im Hintergrund, auch wenn er ganz manifest mit von Klippen stürzenden Leichen in Matias Leben fällt, doch wir erfahren nur, was die jugendliche Erzählerin und Protagonistin aufschnappt oder sich zusammenreimt. Diese Perspektive des unschuldigen Kindes machte die Publikation zu Franco-Zeiten – und damit unter Zensurbedingungen – wohl erst möglich, das Manuskript gewann 1959 sogar den Premio Nadal. Matia ist in diesem ersten Bürgerkriegssommer 14 Jahre alt, und das unaufhaltsame Erwachsenwerden löst viel mehr Ängste aus als der Schrecken des Krieges. Im Herbst allerdings ist der Stoff, der sie und die Jungen von der Insel noch von der vehement abgelehnten und absurden Welt der Erwachsenen trennt, hauchdünn geworden und dem Zerreißen nah. „Bis zu den Schultern“ steckt sie da schon in den „dreckigen Dingen der Großen“ und „rutscht unaufhaltsam auf jenen Abgrund zu“ (frei übersetzt, S. 142).
Matia verbringt das Jahr bei der Großmutter, nachdem sie von ihrem Internat geflogen ist, und in ihrem Cousin Borja findet sie so etwas wie einen Freund und Verbündeten. Gemeinsam foppen sie den Hauslehrer, ziehen an geheime Orte an der Steilküste und treffen sich nachts auf der Veranda zum Reden und Rauchen.
Unbarmherzige Sonne, und unter dieser Hitze die Kälte zwischen den Menschen. Die Kinder sind, obwohl sie sich miteinander verbünden, furchtbar allein. Der Kampf gegen die Großmutter hat noch Züge normaler Kinderstreiche, doch …
Matia und Borja mit ein paar anderen Jungen der Insel-Aristokratie auf der einen Seite stehen gegen Guiem und die seinen, Söhne der Handwerker aus dem Ort, auf der anderen, und diese beiden Gruppen stellen den Bürgerkrieg en miniature nach. Sie provozieren einander, bekämpfen sich mit Fleischerhaken, verfolgen unbarmherzig vermeintliche Verräter und Überläufer, und wenn die Anführer beider Gruppe Waffenstillstand beschließen mit dem … bleibt Matia allein und verflucht ihren Zustand als Mädchen.

Das Erwachsenwerden über Erkenntnis, die Entdeckung einer eigenen Position und Moral. Mit der Parteinahme für einen von allen Gruppen Geächteten ändert sich in der Mitte des Buchs auch das Licht, die als schwarz, schrill und schmerzhaft beschriebene Sonne vermag erstmals zu wärmen und ein sanftes Licht auf die Körper zu legen, als sich Matia zu dem Freund bekennt. Die Nähe zwischen den beiden ist die einzige Wärmequelle…
doch ist die verzweifelte Zweckgemeinschaft mit dem Cousin Borja letztlich die einzige, die trägt, und Matias dunkle Vorahnung, dass der Hass in dem Jungen mit dem Engelsgesicht eines Tages gefährlich werden könnte, erweist sich als richtig.
So wie die Kinder ständig betrunken zu sein scheinen, wird einem auch als Leser etwas schwindelig, das grelle Licht, der Alkohol, die Einsamkeit der Kinder machen benommen, und man ahnt manche Entwicklung, kann aber so wenig gegensteuern wie die Protagonisten selbst es können oder wollen.
Die Bösartigkeit dieser Kinder und die Ausweglosigkeit der Lage, in die der große Manipulator Borja die anderen bringt, machen ratlos. Auch die Einschläge des Krieges kommen näher, die Opfer bekommen Namen, doch am grausamsten wirkt die Welt der Kinder, die jene der Erwachsenen imitiert und vorwegnimmt, perfide und ohne Mitleid. Ein furchtbares und ein großartiges Buch.

auch wenn sich dieser in Toten zeigt, die plötzlich an ihrem geheimen Strand liegen

Erste Erinnerung, die Kaltmamsell hat die deutsche Übersetzung von Doris Deinard gelesen –

Routine

Seit genau einer Woche läuft Baby B., und er tut das mit einer lässigen Selbstverständlichkeit, als hätte er nie etwas anderes getan. Auch beim Krabbeln hat er geschickt Dinge transportiert, entweder in der Faust oder wie ein kleiner Hund zwischen den Zähnen, aber Fußgänger zu sein eröffnet überhaupt ganz neue Möglichkeiten. Die strategisch wichtigen Punkte der Wohnung sind schnell erreicht, und nun kann er von leichter Hand und unauffällig größere Umbaumaßnahmen vornehmen. Er kann laufen und dabei in einer Hand die volle Bauklotztonne tragen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren oder auch nur im geringsten angestrengt auszusehen. Die große Pfanne aus dem Küchenschrank liegt etwa in der gleichen Gewichtsklasse und stellt entsprechend keine weitere Herausforderung dar, man kann sie also gut ins Wohnzimmer bringen, wo ja durch die in den Windfang getragenen Bauklötze große Lücken in der Einrichtung klaffen. Der wichtigste Ort, zu dem B immer wieder zurückkehrt, ist allerdings der Küchenmülleimer, in den er ständig irgendwelche Dinge versenkt. Deshalb gehört der Mülleimer nun auch fest zu meinen Rundgängen. Manchmal ist es leicht, den Besen habe ich zum Beispiel gleich bemerkt, weil B trotz großer Anstrengungen den Deckel nicht über dem Stiel schließen konnte, manchmal verrät er sich durch langes Schweigen in der Küche, manchmal durch energisches Deckelklappern, und manchmal finde ich bei einer Routinekontrolle ohne Anfangsverdacht doch Überraschendes. Heute habe ich außer dem großen Besen zum Beispiel auch das kleine Kehrblech zurückgeholt, den Müll, den B. aus dem Badezimmereimer gefischt hatte und lieber in der Küche sehen wollte, habe ich aber im Küchenmüll gelassen, auch die Brotstücke habe ich nicht weiter bewegt. Rausgeholt habe ich dagegen heute noch eine Element-of-Crime-CD, die Zitronenpresse, einen Topfdeckel, einen Teelöffel, die Ente aus dem Tierpuzzle, eine Schachtel Ohropax und den blauen Ball. Beim Puzzlestück bin ich sicher gewesen, dass B. es zwischen den Kaffeesatz und die Taschentücher geworfen hat, bei anderen Dingen wie einem Kugelschreiber muss ich nach der Rettung erst ausprobieren, ob er noch geht – dann war es wohl B. – oder leer ist, dann hat ihn vielleicht Percanto weggeworfen. Mülltrennung bekommt in unserem Haus einen ganz neuen Sinn.
Nun gewöhnt man sich ja sehr schnell mütterspezifische Verhaltensweisen an und zieht die daheim bewährten Muster auch in der Außenwelt durch, selbst wenn das Kind nicht dabei ist. Bei der Arbeit in Gedanken Zwiebacktrümmer und Apfelschnitze aus einer Tupperdose anzubieten, wird man mir nachsehen (und dankend ablehnen), sollte ich aber meinem Chef in der Mensa die Kartoffeln kleinschneiden wollen, schreitet hoffentlich die Kollegin ein und hält mich zurück.
Wenn die kindliche Fixierung auf den Hausmüll länger dauert, wird auch mein Kontrollgang immer routinierter werden. In Tübingen war das ein von der Stadt vergebener Studentenjob, den Biomüll fremder Menschen mit langen Stangen nach Fremdmüll durchstokern; wie so ein Verhalten hier angesehen ist, kann ich noch nicht recht einschätzen. Sollten Sie mich bald an den Papierkörben der Bushaltestellen beobachten oder dabei erwischen, wie ich mit dem Regenschirm in den Containern hinter der Uni gründele, gehen Sie einfach weiter und tun Sie so, als hätten Sie mich nicht bemerkt. Es könnte mir peinlich sein. Und vielleicht finde ich dort ja das verschwundene Teil vom Elefantenpuzzle, oder wenigstens ein paar Pfandflaschen, die sich zu Geld machen lassen. So ein Haushalt mit Kind will finanziert sein, und es gibt schließlich keine Sicherheit, bei meinen Kontrollgängen auch in Zukunft genau den Moment abzupassen, wenn Baby B gerade das Tafelsilber entsorgt hat.

Mitbringsel

Von der Südamerika-Tante erfahre ich, nach Krankmeldung, dass wir uns mit dem Magen-Darm-Infekt wohl einen argentinischen Familienvirus importiert haben. Die hatten das alle direkt vor und nach unserem Abflug in etwas leichterer Form und sind schon durch damit. Ein Mitbringsel, quasi, kleines Geschenk an die Reisenden.
„Geschenke werden nicht zurückgenommen“, sagt die Tante. Und wiederholen ist gestohlen.

Vorgezogenes Pfingstwunder

Nun hat der Sohn nicht gleichzeitig mit dem freien Gehen auch das flüssige Sprechen begonnen, aber er kann Teekesselchen. Und zeigt Lernerfolge im Bereich „nicht werfen / sanft / streicheln, nicht hauen“ – zumindest versteht er uns.
Unser Osterfrühstück war aus Lazarettgründen etwas karg, aber Bruder #2 hat doch immerhin gefrühstückt und Baby B. hat sich zu seiner Gesellschaft ein blaues Ei genommen und beherzt hineingebissen, womit er es erfolgreich geknackt hatte. Die Großmutter hat es ihm dann gepellt und neben der von ihm selbst ausgewählten Tomate in die andere Hand gedrückt, so traf ich ihn dann an in seinem Hochstühlchen. Er leckte immer wieder an der Tomate und fand die merkwürdig, aber das Ei war prima, er hatte die Spitze schon aufgegessen und streckte es mir zufrieden entgegen. „Oh, Du hast ja ein Ei“, sagte ich, und Baby B. guckte in seine Hand, nickte und streichelte sich mit dem Osterei durch die Haare, „eiiii“, sagte er. Ja, auch das.

Osterwunder

Gestern traute er sich aus der Umarmung des Großvaters ein paar Schritte hinaus, lief tipp tapp lachend auf die Großmutter zu, die vor ihm auf dem Boden saß, und warf sich nach drei bis sieben Schritten glucksend in ihre Arme.
Heute löste er sich von der Stuhllehne, einen Zwieback in der linken Hand, bekam stehend zum Ausgleich einen zweiten Zwieback in die rechte, balancierte kurz aus – und ging los. Und lief. Vom Stuhl zum Sofa. Von mir zur Omi. Vom Klavier zum Esstisch. Und dann durch den ganzen Flur, in die Küche, dreht in der Küche um, nahm eine scharfe Kurve ins Wohnzimmer, trat eine Wäscheklammer weg und kam juchzend zu uns zurück. Jetzt muss er noch lernen, sich ohne Kletterhilfe auf die Füße zu stellen. (Und sonst auch noch das ein oder andere.) Aber der Knoten ist geplatzt, er läuft. Strahlend, stolz.

Karfreitag

Magen-Darm-Infekt. Unter den einfachen Krankheiten die würdeloseste.
Karfreitag im Elternhaus von Percanta. Alle waren wir auf die malade Schwägerin eingestellt, die mit einem frisch operierten Kreuzbandriss aus dem Auto stieg und sich wacker mit ihren blauen Krücken (pardon: Unterarmstützen) die 17 steilen Stufen zwischen Kinderzimmer-Ebene und Wohnzimmer hoch- und runterkämpft. Auch das Söhnchen ist aber mit Infekt hergekommen, Fieber und Durchfall hatte er, ist aber soweit schon wieder gesund. Allerdings hat er offenbar seine Großmutter angesteckt, die nun mit flauem Gefühl im Magen das Osteressen für die Großfamilie bereitet, Fisch und Lamm und Torte. Tapfer. Mich kostet es schon Überwindung, diese Worte zu tippen. bah, Lebensmittel. Auch ich habe einen Magen-Darm-Infekt und liege seit gestern Nacht fiebrig matt im Bett, wenn ich nicht gerade ins Bad renne oder taumele, was in sehr hoher Frequenz geschieht. So hohe Frequenz, dass der Vater der Sippe Infusionen aus dem Krankenhaus geholt hat. Bruder #1 gibt den Hausarzt, er hat sie gemischt und mir einen Zugang gelegt, und so liege ich nun im Kinderzimmer und habe einen Tropf über mir baumeln, über den ich wieder etwas Flüssigkeit bekomme und inzwischen auch wirkende Mittel gegen Übelkeit, gegen Durchfall muss ich versuchen etwas zu schlucken. Es hilft und inzwischen bin ich schon bei der zweiten Tasse Kamillentee angelangt, erfolgreich. Bruder #2 schließlich steckt im Examen und versucht in einem anderen Zimmer zu lernen und sich mit sonst nichts anzustecken.
Aber wenn an dieser Ostergeschichte was dran ist, stehen wir alle spätestens Sonntag froh gesundet auf, das war doch so. Und können dann mit frischem Mut die kommende Woche wieder zur Arbeit gehen.

Ich bin Arbeiterin

1. Was machst du beruflich?

Ich bin zu Hause bei meinen drei Töchtern, und ich arbeite in einer Papierfabrik.

2. Was ist gut – was ist nicht so gut daran?

Meine Töchter sind wunderbar, und als Gastronomentochter verstehe ich es auch, einen Haushalt zu führen.

Die Arbeit in der Papierfabrik ist furchtbar. Meine Händen reißen blutig auf, ich atme Staub ein, muss ständig husten, was mir wegen meiner Tuberkulose, die ich einmal hatte und von der niemand wissen darf, denn das ist eine Armeleutekrankheit, immer wieder Sorgen macht. Die Mädchen neben mir kommen auch aus dem Osten, aber trotzdem haben wir uns nicht viel zu erzählen. Früher ist es uns gut gegangen, meine Mutter und ich trugen bis zum Krieg schöne Kleider vom Schneider aus Stralsund, wir haben hart gearbeitet, aber wir waren elegant. Mein Vater hat Geige gespielt und Samstag war Tanz.

Nun arbeite ich in der Papierfabrik, weil wir uns wieder etwas aufbauen möchten. Die Mädchen sollen in einem eigenen Haus aufwachsen, und wir möchten wieder ganz zu Hause sein.

3. Was wäre dein absoluter Traumberuf?
Ich wäre gerne Sportlehrerin geworden.

4. Warum gerade dieser?
In der Schule hatte ich eine Sportlehrerin, die ich sehr bewundert habe. Sie konnte turnen und laufen, aber auch segeln und vor allem leicht und elegant schwimmen. Ich habe immer gerne geturnt, obwohl ich groß für Mädchen war, war ich geschickt am Reck. Später konnte ich auch gut ruhig sitzen, nähen und stricken, aber in der Schule habe ich die Turnstunden geliebt. Am Strand sind wir Freundinnen immer auf dem Geländer der Seebrücke balanciert und haben Rad geschlagen. Und ich habe gerne den kleineren Mädchen beigebracht, wie man einen Stein weit in die Ostsee wirft, wie man ihn springen lässt bei ruhiger See, und wie man einen sicheren Kopfstand macht, konnte ich auch zeigen. Vor allem aber wollte ich vielleicht selber schwimmen lernen. Denn obwohl ich am Meer aufgewachsen bin, durfte ich nie schwimmen lernen. Als kleines Mädchen wäre ich einmal fast ertrunken, und dann wollten meine Eltern mich nie wieder im Wasser sehen.
Sie wollten mich auch schützen, als sie mich kurz vor dem Abitur vom Lyzeum nahmen. Man vermutete Rheuma bei mir, aber nach einem Jahr war es vorbei – und die Schule auch, unwiederbringlich. Ich habe später meinen W. geheiratet, der Soldat war, so blieb ich noch bei meinen Eltern und half ein bisschen im Restaurant, als die Russen da waren, mussten wir den Betrieb für sie aufrecht erhalten. Nach dem Krieg musste ich fort aus der Heimat und in den Westen fliehen. Als Flüchtlingsmädchen darf man dann keine Ansprüche mehr stellen, bei der Schwiegermutter nicht und auch sonst nicht im Leben. Ich konnte froh sein über die Wohnung auf dem Hof der Matratzenfabrik, denn groß genug war sie und wir hielten Hühner im Hof, und ich konnte wohl froh sein, dass ich als Ungelernte aus Vorpommern eine Arbeit hatte. Glücklich war ich nicht bei der Arbeit, glücklich war ich bei meinen Lieben.

(U.V., *1919. Meine Großmutter.)

Ich bin Laborantin

1. Was machst du beruflich?

Ich arbeite bei Carl Zeiss Jena im Labor.

2. Was ist gut – was ist nicht so gut daran?

An meinem Beruf mag ich, dass ich präzise arbeiten muss, dass ich optische Geräte von hoher Qualität herstelle. Zumindest bin ich daran beteiligt. In der Firma arbeite ich an einem sauberen Arbeitsplatz, den ich natürlich akkurat in Ordnung halte, ich muss sehr genau messen, all das liegt mir.
Leider darf ich nur das Handwerk ausüben, und das nicht einmal als gelernte Technikerin. Lieber würde ich selbst Geräte entwickeln, selbst die Brechungen der Gläser ausrechnen, selbst festlegen, wo und in welchem Winkel geschliffen werden muss. Lieber als Zahlen in Tabellen eintragen würde ich diese Zahlen definieren.

3. Was wäre dein absoluter Traumberuf? und 4. Warum gerade dieser?


Eigentlich wollte ich Naturwissenschaftlerin werden. Physik hätte mich interessiert, Mathematik, Chemie, aber auch Biologie. Ich war auf dem Lyzeum natürlich in allen Fächern gut, sehr gut war ich. Mir liegen nicht nur die Naturwissenschaften, ich liebe auch Gedichte, Musik und Sprachen. Auch war ich sportlich, mein größter Erfolg war die mitteldeutsche Meisterschaft im Speerwurf. Aber besonders interessiert mich doch die Natur der Dinge. Außerdem fühle ich mich wohl, wenn Zahlen stimmen. Zahlen haben eine eigene Ästhetik, Formeln ziehen mich in ihrer Eleganz an. Mathematik, Chemie, das ist eine exakte Wissenschaft, ich liebe die Genauigkeit, die Sicherheit, die Präzision in den Antworten.

Ich habe mir oft vorgestellt, an der Univsersität in Jena Chemie zu studieren oder Physik, eigentlich wollte ich vor allem studieren, um den Beruf, den ich dann ausüben würde, ging es nur in zweiter Linie. Studentin wollte ich sein! Ich wollte die Professoren hören, ihre Theorien lernen und dann im Labor experimentieren, wollte messen und wiegen und überlegen, was ich womit kombinieren könnte, um zu Lösungen zu kommen. Habe mir vorgestellt, immer tiefer in die Formeln zu dringen, alleine an meinem Schreibtisch immer komplexere Formeln aufzuschreiben, mir wie Beethoven, der nicht hören konnte und doch komponierte, in meinen Heften die Reaktionen von Elementen auszurechnen, auch wenn ich sie nicht vor mir hätte. Gerne hätte ich gespürt, wie mein Verstand immer schärfer wird und immer näher an die Lösungen von Problemen herankommt, bis schließlich das Ergebnis klar und sauber auf dem Papier steht.
Doch nach dem Abitur in Arnstadt – ich hatte das beste Abitur der Stadt – durfte ich nicht studieren. Mein Vater meinte, das sei nichts für Frauen, von den Auszeichnungen und meinem Fleiß ließ er sich nicht beeindrucken
. Die guten Noten, mein Erfolg in der Schule, dass ich seit langem jüngere Schüler in Mathematik unterrichtete, das war selbstverständlich – aber doch ein Privileg meiner Mädchenjahre. So ging ich im Labor arbeiten, so nah an meiner erträumten Zukunft wie möglich. Meine jüngeren Brüder durften studieren, der eine hat dann auch die geliebten Naturwissenschaften studierte, ist Chemiker geworden und Apotheker, der andere wurde Zahnarzt. Ich selbst durfte zwar nicht an die Universität, aber meine Töchter habe ich später genau wie den Sohn studieren geschickt.

(E.S., *1909. Meine Großmutter.)

 

(Fragebogen bei Isa mitgenommen)

Gelandet

Nach 40 Tagen und exakt 24 Stunden Reise von Tür zu Tür: zu Hause.

(Und ich dachte kurz, 10 Uhr abends, dann brauch ich jetzt auch nichts ins Blog zu schreiben, denn um 2 Uhr früh in Deutschland liest das ja keiner mehr. Aber das ist ja Deutschland, also mein 10 Uhr, Euer 10 Uhr. Ich fang dann man an, mich wieder umzustellen.)

40 Tage Buenos Aires [40]


Tag 40, 26. März 2010: Sieh nur, der Mond. Mira, la luna.
Unter dem Obelisken bietet ein Mann einen Blick durchs Teleskop an, einmal ganz nah an den Mond für 2 Pesos.

Heute fliegen wir. Wir haben die hiesige Großmutter nach einem allerletzten Ausflug zum Spielplatz und zur Parrilla verabschiedet, Baby B schläft gerade Siesta und wir haben fast alles gepackt, „der Rest reist oben“, viel Handgepäck. Der Rest sind Formalia, die Wohnung besenrein zurückgeben, alle Schlüssel retour, und dann wir selbst. Remis kommt um 5, Freitag Nachmittag im Feierabendverkehr aus Buenos Aires herauszufahren, könnte zeitaufwendig werden.
Und dann? Dann haben wir diesen Tango im Kopf – „Mein geliebtes Buenos Aires, /wenn ich dich wiedersehe werde / wird kein Schmerz noch Vergessen mehr sein.“
Aber hoert selbst.

(Wenn der verborgene Link schon wieder nicht geht: http://www.todotango.com/spanish/las_obras/letra.aspx?idletra=223)

Mi Buenos Aires querido
cuando yo te vuelva a ver,
no habrá más pena ni olvido.

El farolito de la calle en que nací
fue el centinela de mis promesas de amor,
bajo su quieta lucecita yo la vi
a mi pebeta, luminosa como un sol.
Hoy que la suerte quiere que te vuelva a ver,
ciudad porteña de mi único querer,
y oigo la queja
de un bandoneón,
dentro del pecho pide rienda el corazón.

Mi Buenos Aires
tierra florida
donde mi vida
terminaré.
Bajo tu amparo
no hay desengaños,
vuelan los años,
se olvida el dolor.
En caravana
los recuerdos pasan,
con una estela
dulce de emoción.
Quiero que sepas
que al evocarte,
se van las penas
de mi corazón.

La ventanita de mi calle de arrabal.
donde sonríe una muchachita en flor,
quiero de nuevo yo volver a contemplar
aquellos ojos que acarician al mirar.
En la cortada más maleva una canción
dice su ruego de coraje y de pasión,
una promesa
y un suspirar,
borró una lágrima de pena aquel cantar.

Mi Buenos Aires querido,
cuando yo te vuelva a ver,
no habrá más pena ni olvido.

(Le Pera / Gardel)

„… ein Versprechen / und ein Seufzer / es löschte eine Träne des Schmerzes dieser Gesang.“

Zu tragisch?
Dann nehmen wir das gleiche Motiv, aber modern – der Titelsong der beliebtesten Telenovela des Jahres, „Valientes“, heißt „Volver“, und er wird im Radio rauf und runter gespielt. Eine echte
Latin-Pop-Schnulze.

Aber bevor wir hierher zurückkommen, kommen wir erst nach Deutschland zurück. Ich wünsch uns eine gute Reise und bis morgen!