Aus dem Reich der Bakterien

Omi hat Nuno gerade telefonisch Nils Karlsson-Däumling („Killefips!“) vorgelesen. Abgesehen davon, dass Nuno ein Vorlesetierchen ist und Vorlesen ausgesprochen genießt, hat ihn in das Wunderbare an dieser Geschichte – da lebt ein kleiner Mensch im Mauseloch unter dem Bett zur Untermiete – nicht besonders beeindruckt. Die Welt ist schließlich voller kleiner Wesen, viele sichtbar und teilweise beängstigend (Mücken faszinieren und beunruhigen ihn sehr), auch sehr viele sind aber noch viel winziger und für uns unsichtbar. Warum also nicht ein Däumling unter dem Bett, das ist auch nicht wirklich merkwürdiger als eine Zecke hinter dem Ohr und all die anderen Wesen, die uns bevölkern. Über Plankton reden wir immer wieder (aber warum essen Wale nicht was anderes?), viel interessanter sind aber „Marius und Baktus“. Schon meine Mutter war bei uns damals nicht sicher, ob die Geschichten mit Identifikationspotential wirklich pädagogisch sinnvoll, also sinnvoll im Sinne der Erfinder sind. Will man wirklich Zähne putzen, um damit mühsam und kunstvoll gebaute Häuser zu zerstören – im Sandkasten tagsüber hat man das überhaupt nicht goutiert! – und dann auch noch die kleinen Kumpel in den Abfluss spülen? Nuno jedenfalls sinniert regelmäßig über dem Waschbecken und in Betrachtung des Ausgespuckten: „Sind die kleinen schwarzen Pünkte Marius und Baktus?“ „Nein, das war Mohn, der noch an den Zähnen hing.“ Andere Kleinstlebewesen begegnen uns in der Stadt, am Softeisstand neben Karstadt. Wie die Geschichten von Karius und Baktus ist auch das Softeis-Verbot aus meiner Kindheit ererbt – einmal eine Salmonelleninfektion von Nahem gesehen genügt für Essensregeln für drei Generationen. (Gleichzeitig mit dem Softeis verschwanden in der Salmonellen-Bannmeile damals Dinge wie aufgeschlagenes Eiweiß im Vanillepudding, wovon der Vanillepudding sicher ebenso profitiert hat wie ich.) Als neugieriges Kind schlug Nuno einmal naheliegend vor, wir könnten ja mal dieses Eis probieren, warum immer nur das andere. Ich lehnte ab und erklärte die Sachen mit den Salmonellen. Er war einsichtig und das Thema zunächst vom, nun, Tisch.
Einige Wochen später fragte er an gleicher Stelle, wie noch einmal dieses Eis hieße – „dieses Eis, das aus kleinen Tieren gemacht wird?“ Essen, das aus kleinen Tieren gemacht wird – wer hat wie ich als Kind keinen Ketchup und keine roten Gummibärchen gegessen? Alle, die damals auch die Sendung mit der Maus über die roten Blattläuse gesehen haben vermutlich. Wir gingen mit den Salmonellen also in die nächste Erklärrunde: Softeis wird nicht aus diesen Bakterien gemacht, aber sie können in ihm versteckt sein. Ok.
Weitere Wochen später. „Mami! Heute können wir das Eis aber wirklich probieren! Guck, da steht doch eine Frau, die aufpasst, dass keine Tiere ins Eis springen.“
Und was passiert mit den Salmonellen, wenn man Zähne putzt? Erleiden sie das gleiche Schicksal wie „Marius und Baktus“? Nuno hat auch dafür eine Idee: „Man kann einfach erst Honig essen. Dann sind die Zähne ganz glitschig und da können sich keine Bakterien festhalten. Dann rutschen sie immer ab und dann können sie da auch nichts kaputt machen.“
Man bekommt fast Mitleid mit ihnen und möchten Marius, Baktus und all den Salmonellentierchen abends ein Betthupferl zur guten Nacht hinstellen. Damit sie groß und stark werden. Killefips!

Total geheimer Geheimscheiß

Ok, vielleicht gucke ich gerade ein bisschen viel „24“ (unser Wellensittich hört jetzt auch auf den Namen Agent Fritzchen). Aber die Nachricht, dass Geheimdienste auch verschlüsselte Daten lesen können, ist doch etwas niedlich. Kalle Blomquist, Tony Almeida und ich wundern uns jedenfalls über die große Aufregung – wäre es nicht eher eine Nachricht, wenn Geheimdienste KEINE Nachrichten entschlüsseln könnten?

Spätpädagogik

Wenn 25 Erwachsene abends auf Zwergenstühlen um eine oval angeordnete Tischgruppe herumsitzen, jeder buntes Papier, Kleber und Stifte vor sich hat und in der Tischmitte ein wenig MINI-Haribo und Salzstangen stehen, dann ist möglicherweise Elternabend im Kindergarten. Elternabend im Kindergarten heißt, dass man interaktive Kennenlernspiele macht, für die jeder zunächst ein wenig bastelt, zum Beispiel zerschnittene Portraitfotos der Kinder zusammenpuzzelt, auf Tonkarton klebt und dann die Mama des Kleinen sucht, die dann etwas über das Kind erzählt. Vorstellungsrunde in lang also, nächstes Jahr machen wir das vielleicht mit von den Kindern geschnipselten und von ihnen zuvor gezeichneten Selbstportraits, die wir dann dem richtigen Elternpaar zuordnen müssen; das dürfte ein vielversprechender Auftakt für den längsten Elternabend aller Zeiten bieten. IMG_7780Elternabend im Kindergarten heißt nämlich auch, dass es keine Tagesordnung gibt, dafür aber ein pädagogisches Konzept und Methodenwechsel. Jedes Thema wird anders eingeführt, es gibt Lernstationen außerhalb des Stuhlkreises, und anstatt uns einfach zu informieren, erleben wir die Information mit allen Sinnen. Um ein Projekt für ein paar der Vorschulkinder auch nacherlebbar zu machen, bekommen wir zum Beispiel zunächst alle Kopien aus einem japanischen Bastelbuch, die wir uns eine Weile anschauen dürfen. So fremd ist der Erstkontakt zu diesem Thema auch für die Kinder! Denkt mal drüber nach.
Und so geht es den ganzen Abend. Zwischendurch brennt eine Lampe durch, weshalb wir sicherheitshalber die eine Lampenreihe ausschalten und nach etwa einer Stunde im Halbdunkel sitzen. Auch im Halbdunkel werden wir aber bei jedem Thema irgendwie emotional abgeholt. Die Stapel mit vorbereiteten Notizen der Erzieherinnen sind beängstigend dick, und sie arbeiten ihn durch, vollständig. Nur die von einer Mutter geleiteten Wahlen der Elternvertreter handeln wir in etwa 40 Sekunden ab. Ansonsten ist alles ausgesprochen wichtig, Notizen zu den Terminen brauchen wir uns aber nicht zu machen, Termine gibt es in den nächsten Tagen schriftlich. Elternabend im Kindergarten heißt auch, dass es für jede Altersgruppe gesonderte Berichte gibt, wie haben sich die Kleinen eingelebt, wie viele Vorschulkinder gibt es, wie verhalten sich die Mittleren, einzelne haben Schwierigkeiten, sich zu öffnen, Namen werden aber nicht genannt. Insgesamt ist alles wunderbar, was auch der Einschätzung der Eltern vor diesem Abend entsprach. Zwischendurch wird – natürlich nicht ohne kurze Einführung – ein kleiner Film von einem Kindergartentag gezeigt, laienhaft gedreht, Entschuldigung, danach Gelegenheit zu Fragen. Als keine kommen, erläutern die Erzieherinnen von sich aus einzelne Elemente aus dem Film, Gott sei Dank fällt dann doch noch einer Mutter einer Frage ein. Die anderen checken nur halb heimlich in ihren Handys, ob der Mann zu Hause wohl noch wach ist oder ob die Kontodeckung noch für eine weitere Stunde Babysitter reicht.
Elternabend im Kindergarten heißt auch, dass nach zweieinhalb Stunden alle matt den Kopf schütteln. Keine weiteren Fragen, nicht zur Sportkleidung, nicht zum Zirkusprojekt, nicht zum Spielzeugtag, der Flötengruppe, keine Fragen zum Backen, zum Erntedankfest und der Weihnachtsfeier, zum Vorschulprogramm und dem Zahnarztbesuch nicht, auch zu Steckperlen und sogar zu Datenschutz möchte niemand mehr etwas wissen. Alles weitere wird aber auch beim nächsten Elternabend nochmal besprochen.
Am Ende meldet sich eine Mutter und fragt, ob sie jetzt nach Hause gehen darf.