Alles anders, alles neu


Heute ist der 9. September 2008. Ein Dienstag im Altweibersommer.

Oder genau 2 Monate nach der Disputation, siehe oben rechts.
Oder der 16. Elul 5768.
Oder (glaube ich) der 8. Ramadan 1429.
Oder der 28. August 2008 nach dem Julianischen Kalender, und in China ist Jahr der Ratte. Heute ist der Tag nach dem Tag, an dem die Schwalben wegflogen (das tun sie an Mariä Geburt), oder der Namenstag von Sergio und Omar.

Aber wir rechnen jetzt anders. Für uns ist heute vor allem: 15 + 2.


Die Zeit heilt alle Wunden, es geht vorbei

„Sein Vater ist seit 30 Jahren tot, und er vermisst ihn immer noch“, sagte die Frau in dem Film über den Mann auf dem Sofa, „er war die wichtigste Person in seinem Leben.“ Und sie gucken ein wenig konsterniert, gucken wie „rührend irgendwie, das mit dem Vermissen, aber hey, 30 Jahre“.
Ich habe keine Ahung, worum es ging, wer die Figuren waren und welche Schauspieler sie darstellten. Aber gehalten hat sich mein Unverständnis angesichts des Unverständnisses der Frau, angesichts des betonten „immer noch“.
Der wichtigste Mensch ist keine Kategorie, die ich besonders mag, so wie ich auch das Bibelwort „Darum wird ein Mann seine Mutter und seinen Vater verlassen, und seinem Weib anhangen“ nicht mag. Ich will mich nicht entscheiden müssen, wer wichtiger ist, der Ehemann oder die Eltern, der Vater oder die Mutter (und wir hatten uns als Kinder schaudernd überlegt, wie wir entscheiden würden, müssten wir entscheiden, zu wem würdest DU gehen, wenn Mutti und Papi sich scheiden ließen?, aber wir waren sicher, dass sie es nicht tun würden, dass wir es durchspielen könnten, weil es Spiel bliebe; bei den Überlegungen, wie ich meinen Bart tragen würde, wäre ich ein Mann und bekäme ich einen, habe ich das Hypothetische der Prämisse mal vergessen, bei diesem Beraten und Abwägen vergaßen wir es nie), nein, nicht entscheiden, ob Vater oder Mutter, nicht welcher der Brüder, nicht ob die Tochter, die Mutter oder die Großmutter mehr zu lieben sei.
Ich glaube, meine Mimi hat ihre älteste Tochter ihr Leben lang vermisst, und sie wird auch ihre Mutter vermisst haben, auch nach 25 Jahren noch. Und ich weiß, dass ihre zweite Tochter, die älteste der lebenden und meine Mutter, sie vermisst, und auch ich vermisse sie. Wir reagieren inzwischen seltener falsch, ich wähle zum Beispiel nicht mehr ihre Nummer, wenn ich traurig bin, und muss dann nach drei oder vier Zahlen auflegen, wenn ich es merke, und ich will auch nicht mehr ihrer Freundin sagen, was sie ihr erzählen soll, weil ja vielleicht wenigstens sie noch Kontakt hat. Trotzdem bin ich der Mann auf dem Sofa, und ich tropfe auch nach 6 Jahren noch auf den Schreibtisch und wusste den ganzen Tag nicht, was schreiben und was zu Mutti sagen, obwohl wir fast eine Stunde telefoniert haben und ich wusste, dass der vierte Juli war.
In der Nacht, als sie starb, kam erst der Anruf, sie habe einen Herzinfarkt, sie sei im Krankhaus, und die Stimme meines Vaters, und dass es mein Vater war, und um diese Zeit. Ich habe im Bett gesessen und den winzigen Holzengel angeschaut, ein kleiner, flacher Engel im weißen Hemd, an einem Band mit Glöckchen, ich glaube nicht an Engel, auch nicht an hölzerne, aber sie hatte ihn mir geschenkt, den Engel, an einem Weihnachtsgeschenk hängend, nun hing er an meinem Bett und ich habe ihn angeschaut, fest, und immer wiederholt: nicht, nicht, nicht, nicht. Bitte nicht, bitte, bitte, bitte nicht. Er hat es nicht geschafft, sie hat es nicht geschafft.
Es ist sechs Jahre her, und gestern Nacht sprang mich der Schmerz wieder genauso an, direkt in den Hals, und natürlich vermissen wir sie, was sollen wir denn sonst tun.
Ein paar Monate später kam Percanto nach Deutschland, dann sind wir umgezogen. Das Engelchen hängt noch immer an meinem, an unserem Bett, und ihre letzte Postkarte steht dort, wir konnten nicht wissen, dass es die letzte Postkarte sein würde, und untypischerweise zeigt auch sie Engel. Sie steht seit 6 Jahren dort, und irgendwann habe ich gemerkt, dass der Teil, der über die wechselnden Bücher ragt, ausgeblichen ist vom Tageslicht, die Schrift fast vollständig verschwunden, nur an den Enden der Wörter waren noch Punkte zu sehen, wo sich die Tinte gesammelt hatte. Ich weiß, was dort stand, wenn man die Karte schräg halt, konnte man es erraten, also habe ich es abgeschrieben auf einen Klebezettel und ihn über die obere Hälfte geklebt, als Lichtschutz. Ich hätte die Karte rahmen sollen, spätestens dann. Ich hätte den Text hinten auf den Rahmen schreiben sollen. Ich hätte die verbliebenen Wörter vor dem Licht schützen sollen. Aber ich konnte mich nicht auch noch vom unteren Teil trennen, von ihrer Handschrift, ihrem Namen, Alles Liebe Deine Mimi.
Darum sind nun auch die letzten vier Zeilen bleich und fast verschwunden, aber ich konnte sie nicht wegsperren und schon jetzt vermisse ich auch sie.

Der Prototyp von fertig

Zwar bin ich schon mit wundervollen Blumen überschüttet worden, aber das war nur die Abgabe des Dissertations-Prototypen, und ich bin nur der Prototyp von fertig. Jetzt schreibe ich das Schlusskapitel nochmal neu. Bis Montag Abend. Und dann nochmal: Fußnoten, Tippfehler, Verweise kontrollieren, Tippfehler, Seiten aus Anhang vorne anpassen, Tippfehler, Einrücken, Inhaltsverzeichnis. Und Donnerstag/ Freitag drucken, binden, abgeben.
Ich hab letzte Nacht geschlafen, müsste also gehen.

Merlix sagt:

Löwe (23.07. bis 22.08.)

Immer noch im Duracell-Modus, sie kleiner Trommel-Hase, sehr schön. Holzen Sie noch schnell was weg, allzu lange können Sie in dem Tempo nicht mehr weitermachen, die anderen Lebensbereiche gären schon vor sich hin und immer nur Leistung kann ja auch kein Leben sein, es sei denn, man wäre Steinbock. Immer an das alte Löwen-Motto denken: „Keine Leistung ohne Lob!“ Wenn Sie keiner lobt, organisieren Sie sich eben jemanden. Dringend.

Noch 6

Heute ist Mai. Und zwar sowas von. Mai ist toll! Solange Mai ist, liegt die Abgabe erst im nächsten Monat, also braucht man sich im Mai noch überhaupt keine Sorgen zu machen. Überhaupt keine.
Ich pfiff im Dunkeln so vor mich hin…

Ja, wirklich. Wie ausnehmend gut, dass heute Mai ist.

Rauchergesetze wirken

In Percantos Kindergarten spielen einige Kinder gelegentlich, dass sie rauchen, zum Beispiel Buntstifte, Bauklötze oder gezwirbelte Wollreste. Neulich fehlten zwei Kinder im Bauraum, und als Percanto sie draußen wieder fand, zeigten sie auf die Wollkordeln zwischen ihren Fingern und erklärten: „Wir sind nur kurz vor die Tür gegangen, um zu rauchen.“

Rücksicht

Mit Rücksicht auf meine sorgenden Eltern sollte ich wohl weniger über Diss und Haut und Verwirrungen schreiben.

Ich werde mich bemühen. Wie wäre es zum Beispiel mal mit einem sonnigen kleinen Beitrag über den Frühling? Ist doch naheliegend, an so einem 3.3., und vom Eise befreit.
Nur denke ich bei „März“ nicht „Krokusse“ oder „schnuppernasige Osterhäschen“, sondern M Ä R Z! Und März heißt dann ganz schnell Mai, und an Mai denke ich lieber gar nicht, denn dann ist es wirklich nicht mehr weit bis zur ersten Juniwoche.

Liebe Eltern, es geht mir trotzdem gut, und andere Themen werden ja schon per Mail geliefert, ja, schreib ich dann mal. Merci!

2008: Jahr des Froschs

Am 1. Januar sind Percanto und ich nach Salamanca gefahren, die Stadt, in der ich mich damals nach der Schule, lang ist’s her, definitiv für das Spanisch-Studium entschieden hatte. In diesem Jahr soll die Doktorarbeit endlich abgeschlossen werden, wenn man zu Jahresbeginn also über das Kommende und das Gewesene nachdenken mag, liegt der Gedanke an einen sich schließenden Kreis nicht fern. Zumal wir zufällig direkt neben meiner alten Schule gewohnt haben.
Da auch Percanto dieses Jahr seinen Abschluss macht, hat er dem salamantinischen Brauch gemäß den Frosch auf dem Universitätsportol gesucht – und auch nach nur etwa einer Stunde gefunden:

Der Frosch misst vielleicht 7 – 10 cm, und ich werde jetzt hier kein Detailbild einstellen, um zukünftige Abschlüsse der Leser nicht zu gefährden: Wer den Frosch findet, besteht.

Nur ein Detail der Tür gebe ich preis, auch mit Frosch:


Salamanca ist natürlich sehr stolz auf dieses Detail und wirbt kräftig mit Fröschen in allen Formen, Lebensräumen und Geschmacklosigkeiten. Entsprechend enthusiastisch war ein Zeitungsartikel am 2. Januar: „2008 – año de la rana“, „2008 – Jahr des Froschs“. Ausführlich wird dort die Bedeutung des Froschs für Salamanca beschrieben und die glückliche Fügung besungen, im Jahr des Froschs Bewohner der Stadt mit Frosch zu sein. Alles werde gut, alles stehe unter einem guten Stern im beginnenden Froschjahr 2008!
Die Enttäuschung des Journalisten wird groß sein, wenn er entdeckt, dass er sich um einen Buchstaben verlesen hat. Nicht das chinesische Jahr der „RANA“ beginnt im Februar, sondern das der „RATA“. Mir gefiele das Froschjahr allerdings auch besser als das Jahr der Ratte, über das sich andere freuen mögen.

[Fotos: Percanto. Meine analogen sind noch im Entwickler… wie immer.]