Haustürgeschäfte

Das Baby ist gerade eingeschlafen, als es klingelt. Ich hechte zur Gegensprechanlage, „ja?“
„Guten Tag, ich hab hier einen Katalog für Sie.“ Im Moment bekomme ich eine ganze Menge Kataloge, die zwar eigentlich alle in den Briefkasten passen, aber vielleicht ist der schon oder noch voll. Ich sage dem Boten, dass ich ans Fenster komme, er solle kurz warten. Das Fenster zum Hof ist meine private Abkürzung für alle Post- und Paketboten, aus dem Erdgeschoss kann ich durch dieses Fenster alles entgegennehmen und unterschreiben, muss dafür aber nicht einen U-Turn durchs halbe Gebäude bis zur Haustür machen und habe ein Ohr in der Wohnung. Der freundliche Paketmann steht inzwischen immer schon direkt am Fenster, nachdem er mich herangeklingelt hat.
„Firma Schneeflocke*“, sagt der Mann vor dem Fenster, als er mich dort gefunden hat, „wir haben hier einen Katalog für Sie.“ Ich habe den nicht bestellt und verstehe nicht, warum er ihn nicht einfach in den Kasten geworfen hat, nehme ihn aber, sage artig Danke und Tschüss und will das Fenster wieder schließen. „Wenn Sie sich den Katalog in Ruhe angeschaut haben, möchten wir Sie gerne anrufen, um Ihre Bestellung aufzunehmen“, sagt der Mann schnell, und ich verstehe das Prinzip. „Dürfen wir Sie anrufen?“ Eigentlich nicht, denke ich, kein Bedarf an telefonisch georderter Tiefkühlkost, aber es überrollt mich eine kleine Welle der Sentimentalität, da meine Mimi von dieser Firma beliefert wurde (oder vielleicht auch nur belagert, ich weiß es nicht, jedenfalls kenne ich diese Marke von ihr), und ich sage „okay.“ „Sie sind….“, der Mann fährt mit dem Zeigefinger auf den Klingelschildern entlang, „Frau Müller?“ Dieser Moment war fast schon zu lang, die Sentimentalität lässt merklich nach und ich würde ihm den Katalog gerne einfach zurückgeben, sage dennoch „nein, Frau Percanta…“, was er notiert. „Wann erreichen wir Sie am besten?“, er ist jetzt sehr beflissen. Zwischen Mitternacht und 2 Uhr früh, will ich sagen, biete aber ein „vormittags?“ an. Er kreuzt „Vormittag“ an, dann brauche er bitte noch meine Telefonnummer. Ungern, aber diese Sentimentalitätswelle hat irgendwie die Rückzugsmöglichkeiten abgeschnitten; das scheint es zu sein, das Mittel der Kundenbindung: Bringt die Produkte an die Frau, die sie von der Großmutter kennt. „Ja?“, sagt er, „die Telefonnummer?“
„1 1 2 3 3 4 5**“, sage ich. Er wiederholt beim Notieren: „1 2 3…“ .“1 1 2″ korrigiere ich, und er echot „1 1 2“, ich: „3 3“, er „3 3“, ich „4 5“, er „3 4 5“.
„Frau Perkanta, x Vormittags, 1 2 3 1 1 2 3 3 3 4 5“ steht nun auf seinem Formular. „Sie müssen noch unterschreiben, dass Sie einverstanden sind mit unseren Anrufen“, erklärt er und reicht mir den Block ans Fensterbrett. Ich werfe einen kurzen Blick auf den Zahlensalat und meinen Namen, schaue ihm dann fest in die Augen und unterschreibe.
Er gibt mir den Durchschlag, hatte aber möglicherweise kein Kohlepapier zwischengelegt, lesbar ist jedenfalls nichts. „Wir rufen Sie dann an“, sagt er. „In Ordnung“, sage ich, lächele, wünsche noch einen schönen Tag und schließe das Fenster. Kurz bevor ich wieder in der Wohnung bin, höre ich ihn an der Gegensprechanlage „Herr Müller? Guten Tag, ich hätte hier einen Katalog für Sie.“ Herr Müller dankt, sie kaufen nichts.
Ich frage mich nun, ob der Grundsatz der Sittenwidrigkeit von Haustürgeschäften auch für Fensterrahmengeschäfte gilt. Und warte auf den Anruf der Firma Schneeflocke.

* für dieses Blog leicht chiffriert.
**
für dieses Blog leicht chiffriert.

Und dann waren da noch die „lärmbehinderten Kinder“.

[Haben sie vielleicht doch nicht gesagt, heute im Radio. Möglicherweise aber doch.]

Herr Thiel ist im Radio [2]

Für diejenigen, die aus technischen Gründen das wundervolle Interview aus dem gestrigen Eintrag nicht hören konnten, hier eine Transkription.
Die Rollen und Ihre Darsteller:

J = Journalistin von B5
T= Herr Thiel aus Hamburg 

B5 aktuell Hintergrund


J: Der Post-Konkurrent PIN steht vor dem Aus. Erneute Verhandlungen für einen letzten Rettungsversuch sind heute gescheitert. Springer teilte mit, es gebe kein gemeinsames Finanzierungskonzept.

Am Telefon ist jetzt der PIN-Chef und Minderheits-Gesellschafter Günter Thiel.
Herr Thiel, wie könnte PIN denn jetzt noch gerettet werden?

T: Das weiß ich jetzt auch nicht genau.

J : Haben Sie da nicht noch einen letzten Rettungsplan in der Hinterhand, den man noch auf den Tisch legen könnte?

T: Muss man wahrscheinlich ganz viel Geld zusammenkratzen, um das dann bezahlen zu können.

J: Wie viel Geld müsste man denn noch zusammenkratzen?

T: Da fragen Sie mich was, das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen.

J: Herr Thiel, es sind ja 9000 Mitarbeiter von dieser Insolvenz, wenn sie denn kommt, betroffen…

T: So viele?

J: … 9000 sind bei Ihnen angestellt.
T: So viele…
Bei mir angestellt?
J: Sind bei Ihnen in Ihrem Unternehmen tätig.

T: In meinem Unternehmen?
J: Insgesamt in Ihrer… Können Sie nicht sagen, was mit denen passiert? Ich mein, die sitzen, die stehen ja jetzt auf der Straße.

T: Ich kenn die gar nicht!

J: Sie kennen die gar nicht. Es ist Ihnen auch völlig egal.

T: Nee, was heißt egal. Ich weiß gar nicht, was Sie von mir wollen.

J: Ich möchte von Ihnen gerne wissen, wie es denn jetzt weitergehen soll.

T: Äh, wo jetzt?

J: Bei der PIN-Group.

T: Wieso fragen Sie mich das?
J: Ich bin doch jetzt mit Herrn Thiel verbunden? Oder?

T: Günter Thiel aus Hamburg ist hier.

J: Günter Thiel aus Hamburg. Haben wir uns da vielleicht verwählt gerade. Herr Thiel, erzählen Sie uns doch mal – sind Sie nicht der Chef von der PIN-Group?

T: Ich .. ich hab überhaupt nichts mit Pin zu tun. Ich weiß gar nicht, was das ist.

J: Ja, dann ist das jetzt ein herrliches Missverständis, Herr Thiel, aber schön, dass wir kurz darüber gesprochen haben. Ich wünsche Ihnen noch nen schönen Gruß nach Hamburg, Sie sind live verbunden mit B5-aktuell…

T: ach!

J: … und wir versuchen jetzt nochmal mit der Senderegie die richtige Nummer herzustellen. Danke Ihnen!

T: War ich jetzt im Radio?

J: Sie waren im Radio!

T: Ah, das ist ja super. Kann ich vielleicht meine Frau grüßen?

J: Ja, machen Sie das noch schnell und dann wollen wir aber…

T: Ja dann grüß ich Isolde! Isolde, mein Schatz! Ich bin im Radio!

J: Herzlichen Dank, Herr Thiel, wir…

T: Ja, Danke auch!

J: … sind leider falsch verbunden und werden jetzt versuchen die richtige Leitung herzustellen zu Günter Thiel. Von der PIN-Group.

2008: Jahr des Froschs

Am 1. Januar sind Percanto und ich nach Salamanca gefahren, die Stadt, in der ich mich damals nach der Schule, lang ist’s her, definitiv für das Spanisch-Studium entschieden hatte. In diesem Jahr soll die Doktorarbeit endlich abgeschlossen werden, wenn man zu Jahresbeginn also über das Kommende und das Gewesene nachdenken mag, liegt der Gedanke an einen sich schließenden Kreis nicht fern. Zumal wir zufällig direkt neben meiner alten Schule gewohnt haben.
Da auch Percanto dieses Jahr seinen Abschluss macht, hat er dem salamantinischen Brauch gemäß den Frosch auf dem Universitätsportol gesucht – und auch nach nur etwa einer Stunde gefunden:

Der Frosch misst vielleicht 7 – 10 cm, und ich werde jetzt hier kein Detailbild einstellen, um zukünftige Abschlüsse der Leser nicht zu gefährden: Wer den Frosch findet, besteht.

Nur ein Detail der Tür gebe ich preis, auch mit Frosch:


Salamanca ist natürlich sehr stolz auf dieses Detail und wirbt kräftig mit Fröschen in allen Formen, Lebensräumen und Geschmacklosigkeiten. Entsprechend enthusiastisch war ein Zeitungsartikel am 2. Januar: „2008 – año de la rana“, „2008 – Jahr des Froschs“. Ausführlich wird dort die Bedeutung des Froschs für Salamanca beschrieben und die glückliche Fügung besungen, im Jahr des Froschs Bewohner der Stadt mit Frosch zu sein. Alles werde gut, alles stehe unter einem guten Stern im beginnenden Froschjahr 2008!
Die Enttäuschung des Journalisten wird groß sein, wenn er entdeckt, dass er sich um einen Buchstaben verlesen hat. Nicht das chinesische Jahr der „RANA“ beginnt im Februar, sondern das der „RATA“. Mir gefiele das Froschjahr allerdings auch besser als das Jahr der Ratte, über das sich andere freuen mögen.

[Fotos: Percanto. Meine analogen sind noch im Entwickler… wie immer.]