Schweine steigern

Vor einiger Zeit lernten wir die Meerschweinchen im Nachbargarten kennen. Drei verschiedenfarbige Meerschweinchen, die sich in ihrem Häuschen zusammenkauern oder ans Gitter des Freigeheges kommen, um sich mit Gänseblümchen füttern und die Nasen streicheln zu lassen. Baby B. mag die „Aninchen“, und so statten wir ihnen regelmäßig Besuche ab. Kürzlich also:

B: „Aninchen gucken, Mami, ja?“
Ich: „Ja, lauf rüber, aber eigentlich heißen die Meerschweinchen. Guck, sie haben ganz kurze Ohren. Das sind Meerschweinchen, nicht Kaninchen.“
B. füttert sie, freut sich und macht Grunzgeräusche: „Guck, Mami, Wildschweine!“

Heute:
B: „Wo die Aninchen, Mami?“
Ich: „Guck, die haben sich da alle zusammengekauert. Aber sie heißen „Meerschweinchen“, weißt Du noch?“
B: „Aninchen streicheln, ja?“
Deutlich später, als eines der Meerschweinchen zutraulich ans Gitter kommt und er es lange füttern und streicheln kann, ruft er mich aufgeregt:
„Mami, guck! Streichel ich Vielschweinchen!“

Ein Vielschweinchen, zwei Mehrschweinchen, drei Ammeistenschweinchen im Nachbarsgarten.

Wo

Seine liebste und ständige, hunderttausendfach gestellte Frage ist: „Wo?“
Und meine auch, denn er versteckt Dinge bzw., wie er sagt, er räumt auf. Seit etwa einer Woche suche ich seinen Sonnenhut, erfolglos. (Sachdienliche Hinweise oder wilde Vermutungen werden gerne entgegengenommen.) Durch Zufallsfunde der letzten Tage sind dagegen wieder aufgetaucht:

Die Holzeisenbahn in der geschwungenen Rücklehne des Korbsessels.
Die Memory-Karten zwischen den CDs.
Ein kompletter Satz Würfel in meinen Schuhen.
Das Polizeiauto in der Werkzeugkiste.
Beide Bälle im Flurschränkchen.
Omas Brille ganz hinten beim Nähgarn.
Mein Durchschlag in seiner Küche.
Die Container aus dem Containerschiff im Bücherregal.
Seine Malsachen, der Memorykoffer und die Playmomännchen in meinem Schreibtisch.
Das kleine gelbe Auto in der Waschmaschine.

Zweijährige, die aufräumen, sind eine großartige Vorbereitung auf Alzheimer.

Alles wird gut

Ein Trennungskind lernt früh, dass nicht alle seine Bezugspersonen immer bei ihm sind. Um Verunsicherungen zu vermeiden, ist zum Beispiel auf einen festen Rhythmus und auf Verlässlichkeit zu achten; bewährte Erklärungen werden wiederholt, um Stabilität zu erzeugen. Bringe ich Baby B. in die Kita, fragt er selbst nach, ob ich ihn abhole, bzw. er fordert es mit festem Blick ein, bevor er juchzend zu den anderen Kindern rennt: „Ab, Mami!“ Wenn ich weggehe, ist die von ihm am besten akzeptierte Erklärung, dass ich an die Uni muss. Geht der Liebste aus dem Haus, geht auch er in die Uni, immer. „Mami Uni. S. auch Uni.“ Wichtig ist dann noch, dass der Fortgehende wiederkommt. „Kommt wieder“, beruhigt er sich und uns. Diese Muster gelten nicht nur für das Kommen und Gehen der Eltern und seinen eigenen Wechsel zwischen zwei Wohnungen und der Kita, sondern auch für alle anderen Lebensbereiche. Wenn wir beispielsweise gemeinsam einkaufen gehen und ich für einen kurzen Augenblick in einem anderen Gang verschwinde, kommentiert er prompt: „Mami Uni.“ „Frau auch Uni?“, fragt er die Dame, die uns auf dem Weg nach Hause entgegenkommt, und wenn Opa abreist, muss auch der in die Uni. Kommt aber wieder.
Gestern standen wir im Bad und leerten gemeinsam sein Töpfchen aus. Baby B. warf Papier ins Klo, spülte selbst und blickte lange in das sich beruhigende Wasser. „Wo AA?“, fragte er dann alarmiert, „wo AA, Mami, AA wo?!“ Man hat nicht immer Nerv zu langen Erklärungen, also speiste ich ihn mit einem knappen „weg“ ab. Er sah mich tröstend an. „Kommt wieder, Mami.“

Erscheinungen

Ein kurzer Eintrag zwischendurch, ich muss mich dann noch um unser Nutzvieh kümmern.
Der neuste Spleen des Kindes, bei den Großeltern begonnen, nun auch hier: Er deutet mit sparsamer Gestik, den Arm eng am Körper, gerade nur den Zeigefinger neben der Nase ausgestreckt, in eine Ecke des Esszimmers, und flüstert:
Kuh kommt.“
Nachfragen beantwortet er sparsam. Da kommt eine Kuh aus der Ecke? „Ja…„. Und was macht die Kuh da? „Muh.“
Ihr Kind hat einen imaginären Freund? Wir haben eine imaginäre Kuh.

Nachwuchs-Ornithologe

Nuno ist bei den Großeltern, solange ich im Süden arbeite. Bei den meisten unserer Telefonate geht es um die Vögel im großelterlichen Garten. Hier nur zwei Beispiele:

Gespräch 1:
N: „Garten Voga!“
Ich: „Oh, hast Du Vögel angeguckt?“
N: „Nei, futta, Voga futta, Vogahäuscha, Futta kipp!“
Ich: „Und welche Vögel hast Du gefüttert?“
N: „Voga. Und Buchfink. Und Lama.“
Ich: „Ein Lama auch?!“
N: „Lama nein…Lama… Amsel!“

Gespräch 2:
Großmutter im Hintergrund: „Guck mal, da ist wieder ein Vogel am Vogelhäuschen. Der Vogel macht Zizibe!
N: „Zibezi NEIN Voga! Zibezi ist MEISA!!“
Oma hat auch keine Ahnung.

Was es natürlich nicht besser macht.

1986, es war Frühling, es wurde Sommer, und alles war über und über mit Löwenzahn bedeckt. Und wir durften ihn nicht pflücken, durften nicht im Sand spielen, bei Regen nicht raus und später im Jahr nicht in die Brombeeren.
Viel später erzählt mir eine Grundschullehrerin, ich hätte den 27. April (oder das, was in der Erinnerung der 27. April ist, es war der Tag nach Bekanntwerden der Katastrophe, es muss also etwas später gewesen sein) im Klassenschrank verbringen wollen, hätte darin zusammengekauert gesessen und nicht rauskommen mögen, weil draußen alles kaputt geht. Daran erinnere ich mich nicht. Aber an den Löwenzahn, den Sand, die Beeren, den Regen.
Und an die Angst, Begleiter meines kindlichen Ich über Jahre.
Und später dann immer wieder der Gedanke an die Eltern: Auf welche Art geht man eigentlich als Eltern kaputt, wenn die Kinder keinen Löwenzahn mehr pflücken dürfen, weil sonst, und wenn sie sich lieber im Klassenschrank verstecken wollen, weil sonst. Welche multiplizierte Angst setzt sich den Eltern nachts auf die Brust, und wer lässt ihnen das Licht an am Bett und sagt ihnen, Du brauchst keine Angst zu haben, wir sind noch auf, Du hörst uns im Wohnzimmer.
Und dann hat man ein Kind und ist Eltern und dann ist es der 11. März, oder der 12., es ist immer der Tag danach. Es ist das gleiche Gift, was dort strömt. Es ist die gleiche Angst.
Bis sie den ganzen Weg über den Pazifik geweht wurde, hat sich auch die Angst abgeschwächt. Aber sie war die ganze Zeit da. Und sie hat neue Bilder.
Dieses Jahr wird er wohl im Sand spielen dürfen, hier, dieses Jahr darf er wohl in Pfützen springen, hier, und die verbotenen Löwenzahne blühen weit weg. Dieses Jahr.


Pipl. Ing.

Das Kind entwickelt erneuten Ehrgeiz, sauber zu werden. Eine erste Toiletten-Euphorie mit Anteilen von Kunstpinkeln auf die Küchenfliesen hatte er bereits im Herbst, nun erneutes Interesse an diesem Thema.
Da wir noch kein Töpfchen haben, sondern einen Toilettenaufsatz, Baby B. aber lieber bodennah sitzen möchte, ergreift er die Initiative: Er zerrt sich die Strumpfhose runter, macht sich selbst den Body auf, schiebt die Windel auf die Knie. Dann trippelt er ins Bad, holt er sich den kleinen Ikea-Schemel, dreht ihn um und setzt den Toilettenaufsatz darauf. Ein do-it-yourself-Kinderklo. Mit der Windel auf Kniehöhe schafft er es zwar noch nicht, sich allein auf den Aufsatz zu setzen, aber hey! er kann sich sein eigenes Klo bauen. Erstaunlich praktisch veranlagt für ein Geisteswissenschaftler-Kind.

Wunderkind

Nun ist Nuno zwei, und seine Sprachentwicklung macht rasante Fotschritte, eher Fortsprünge. Er verwendet „ich“ richtig, bildet einfache Sätze, hängt Flexionsendungen an.
Vorgestern dann der große Durchbruch:
Nuno sitzt auf dem Wickeltisch, verlangt Creme, und schmiert sie sich, „Punk Punk Mond“, ins Gesicht. Danach macht er, da er ein ordentliches Kind ist, die kleine Metalldose wieder zu, dreht sie noch ein wenig hin und her und schaut sich schließlich lange dem Deckel an.
„Mami“, sagt er dann und legt seinen kleinen Finger auf den Schriftzug, „A.“
„Was meinst Du?“
Er zeigt mir die Dose, tippt mit dem Zeigefinger mehrfach auf den mittleren Buchstaben von P E N A T E N. „A, Mami, A!“
Ein Wunderkind, klarer Fall. Soll ich ihn gleich nach den anderen Buchstaben fragen, erkennt er auch ein N oder geht er streng alphabetisch vor, ob er auch das B schon kennt? Oh, Mutterstolz!
„A, Mami“, fordernd hält er mir die Dose hin, „A weg!“
Ich gucke noch einmal von Nahem, wo sich sein Finger hinbohrt, dort ist das blaue A, eindeutig, ein A, und jetzt erkenne ich es auch, das winzige Haar, was schräg über dem Querbalken klebt. „A, Mami.“ Ein Haar. Was für ein kluges Kind.