Austausch der Wimpel

Montagmorgen, Job #1, mir gegenüber sitzen ein etwas behäbiger Russe und sein Vater, der einen Deutschkurs besuchen soll. Er, der Vater, ist Jahrgang 1940, trägt einen dunkelblauen Anzug, Hemd und Krawatte; er ist sorgfältig rasiert und hat auffallend gepflegte Hände. Auf dem linken Glas der Lesebrille klebt ein weißer Aufkleber, „+2,00 „. Das Gespräch läuft weitgehend über seinen Sohn, der meine Erklärungen übersetzt, der Vater wirkt hochkonzentriert, fragt nach, nickt.
Irgendjemand hat alle zwölfundreißig VHS-Kugelschreiber aus meinem Büro entführt, also krame ich meinen eigenen Kugelschreiber aus dem Rucksack. Der Herr tut es mir nach, holt ebenfalls einen Kuli aus seinem kleinen Lederhandtäschchen und wir nehmen seine Daten auf.
Er ist Historiker, wir klären den Antrag auf einen Integrationskurs und stufen ihn für Grundstufe 1 ein. Die russischen Info-Blätter liest er genau durch und notiert sich die Namen der Lehrer, die auch russisch sprechen. Während ich die Formulare fertig mache, redet er längere Zeit auf seinen Sohn ein, wird immer leiser, am Ende guckt er mich fragend an.
Zeit für meinen einzigen russischen Satz:
„Я не говорю по-русски.
[= Ich spreche kein Russisch.]
Russischer Herr [mit aufblitzenden Augen]: „Ah. Sprechen Sie ein wenig Deutsch?“
Percanta [zeigt mit Zeigefinger und Daumen etwa 1cm auseinander]: „Ein wenig, ja.“
Wir lachen, er unterschreibt das letzte Formular, packt seine Sachen ein und verabschiedet sich. An der Tür dreht er um, legt mir seinen Kuli auf den Tisch, „Entschuldigung“.
„Nein, das war Ihrer“, ich schüttele den Kopf und gebe ihm seinen Stift zurück.
Er wehrt ab, nimmt meinen Kugelschreiber und legt seinen eigenen wieder vor mich. Seine Hände drehen sich umeinander, „Wechsel“.
Mein Kugelschreiber ist nichts besonderes, einer von zahllosen Werbekulis, allerdings einer der ganz wenigen, die wirklich gut schreiben – weshalb ich ihn eigentlich gerne behalten hätte. Wie aber nicht eingehen auf diese Geste? Gut, wir tauschen also Kugelschreiber. „Gauloise“ gegen „Quelle“, für die Deutsch-Russische-Freundschaft.
Cпаcибо.
пожалйста, не стоит.

Wollte ich Sie höflichst bitten

Dienstliche E-Mails haben was, manchmal.
Ein Herr sprach mich vor kurzem so an:

„Sehr geehrter Herr General!“

Und heute, ein anderer:

„Sehr geehrter Damen und Herrn,
Zu Ersten ich sende meine Grüßen und Respekte und bitte um Anmeldung.
[…]
Wir danken sehr auf eine sofortige Antwort im Voraus.“

Bittesehr, gern geschehen.

Deutsch als Fremdsprache [Freud?]

Heute schickte mein liebster argentinischer Tangolehrer und Ehemann an alle Schüler eine Mail. Er kündigt darin den neuen Kurs an und schließt so:

Also, ich hoffe, dass wir uns sehen werden und mach’s gut.
Wenn ihr Fragen habt, bin ich zur Verführung.

Die ersten Reaktionen haben nicht lange auf sich warten lassen.



[Danke, Percanto!]

Ganz entzückend, die kleine Gewalt

Seit ich hier über Namen nachdachte, werden mir gelegentlich besonders gelungene Namenskreationen für die süßen Kleinen geschickt. Der Gruselgrad der (erschreckend) zahlreichen Einsendungen war meist ähnlich, doch mit dem gestrigen Beitrag war klar, wer das Rennen um den Namen 2007 machen wird. Es ist

Faith-Violent

Beim Neugeborenen handelt sich übrigens um ein Mädchen. Der Informant war aus beruflichen Gründen bei der Geburt dabei und hat, wie er versicherte, noch versucht, die junge Mutter unabhängig von Geschmacks- und Aussprachefragen davon zu überzeugen, ihr Kind mit einer kleineren Hypothek ins Leben zu schicken.

Vergebens. Nun kann das Töchterchen nur noch auf den Standesbeamten hoffen. 

Sage mir, Muse…*

„Orpheus aus der Asche“, was ich in der Kategorie miss[!]verstandene Redewendungen abgelegt hatte, hat sich zur häufigsten Suchanfrage gemausert.
Darum, Ihr lieben Suchenden: Orpheus ist nicht der aus der Asche. Orpheus ist der in der Unterwelt. Der Eurydike liebende Sänger. Aus der Asche dagegen kommt gemeinhin Phoenix, und das ist eine andere Geschichte.

[* noch jemand anders]