Zu Ende gedacht

Gestern gab es einen Dokumentarfilm über eine Hebamme und Geburtshilfe. Es klang sehr spannend, eine Hebamme und ihre Arbeit in Deutschland und Afrika. Abgesehen von einigen erwarteten Merkwürdigkeiten, auf die man sich bei so einem Film einstellen und die man in Kauf nehmen kann, gab es allerdings einige höchst fragwürdige Stellungnahmen der Protagonisten. Einiges habe ich zugegebenermaßen wegen meines eigenen unruhigen Babys nicht ganz aufmerksam verfolgt, doch obwohl mich die Thematik sehr interessiert und ich mich auf die Dokumentation gefreut hatte, erinnere ich heute im wesentlichen Aspekte des Films, die mir zunehmend sauer aufstoßen. Dumm fand ich beispielsweise, dass beim Thema Hausgeburt der eine Arzt erst nachvollziehbar erklärte, dass 80 – 85% der Geburten problemlos verliefen und darum durchaus auch zu Hause stattfinden könnten, in den verbliebenen Fällen aber doch mehr medizinische Betreuung nötig sei – dann aber nachschob, im Prinzip seien Krankenhäuser überflüssig, vor 500 Jahren seien schließlich auch Menschen geboren und hätten überlebt, „sonst gäbe es uns ja nicht“. Ja, aber die Art kann auch erhalten werden, wenn nur das Kind durchkommt und die Mutter draufgeht, oder wenn eben nur 80 – 85% der Geburten mit einem lebendigen, gesunden Kind enden. Der Evolution (und dem lieben Gott) sind die übrigen 15 – 20% herzlich egal, und der Arzt hatte die offenbar auch mal kurz vergessen, als er in die Kamera sprach. Furchtbar aufgeregt habe ich mich dann über die Aussage einer Hebamme, es bestünde ein „wissenschaftlich nachgewiesener Zusammenhang“ zwischen Kaiserschnitt und Autismus beim Kind. So! Ein! Quatsch! (Wenigstens ließen sie die gefährlichen Hypothesen der Impfgegner zur Autismus-Entstehung außen vor, aber so etwas macht mich wirklich wütend.) Bitte zu Autismus fundiert weiterlesen bei Moni.
Überdies nahm der Film dann eine merkwürde Wende und geriet passagenweise zu einer Verklärung der DDR, die ich als überaus ärgerlich empfunden habe. Diese Verklärung war meines Erachtens meistens völlig vom eigentlichen Plot der Doku abgekoppelt und lediglich durch den Standort Chemnitz motiviert; nur in Einzelfällen – dass beispielsweise im Westen ja noch weniger gestillt würde als im Osten – wurden Zusammenhänge zwischen Ostalgie und Hebammen-Handlung hergestellt. Wie die im Trabi sitzende Frau, die vom Damals-alles-besser schwärmte, konzeptuell zur Geburtshilfe-Thematik gehört, hat sich mir jedenfalls bis zum Ende nicht erschlossen, warum man ihre Beiträge nicht zusammengeschnitten hat, auch nicht: Natürlich, im kapitalistischen Deutschland sind die Äpfel chemie-verseucht, aber in der DDR waren die Äpfel toll und man konnte sie „mit Stumpf und Stiel“ aufessen, natürlich, richtig, weil ja alles so bio und so öko war damals. Gerade in Bitterfeld, oh ja, wollte man einwerfen, aber ein Kommentar dieser Art fehlte. Zwischen Rat- und Fassungslosigkeit schwanke ich bei selbstgerechten Urteilen wie dem des jungen Arztes, der offenbar allen Ernstes sinngemäß behauptete, letztlich seien die Mauer- und Grenztoten selbst schuld daran, dass sie erschossen worden seien. Wenn da groß stünde, dass man da nicht rüber soll, dann mache man das eben nicht. Alles andere sei „grob fahrlässig“.
Dringend möchte ich an dieser Stelle noch einmal die Lektüre von Anna Funder: Stasiland empfehlen.

Sehr lachen musste ich aber über den Kommentar meiner Mutter, die man sich bitte als eine sanfte und unschuldig wirkende Frau vorstellen möchte: Zwei Hebammen lungerten auf einem Kreißbett herum und schwärmten bei Kerzenlicht und rötlichen Wänden von der kuschligen Atmosphäre des von ihnen selbst gestrichenen Gebärzimmers, sprachen von Liebe und Geborgenheit und – tatsächlich – vom vergleichbaren Stöhnen bei „richtig gutem Sex“ und bei Geburten. Sie würden daran glauben, sagten sie, dass ein Kind in einer Umgebung geboren werden sollte, die der Umgebung und Situation möglich ähnlich sein sollte, in der es gezeugt worden ist.
„Was“, rief meine Mutter, „in einem Auto?!“

Zweierpasch

2x schlechtes Marketing:

* Die Dame am Schalter bei der Deutschen Bahn, die einer Kundin mit Kind gerade einen Familiensatz Bahncards verkaufte, ein gutes Geschäft, ein Kunde, den man halten sollte, will man meinen. (Mal vom „was sich gehört“ ganz abgesehen). Das Kind machte alles mit, ließ sich bereitwillig vor etwa 20 Zuschauern für die Karte fotografieren und wartete dann schweigend neben seiner Mutter, während die Bahn-Frau in einem Katalog irgendwelche Zahlen suchte. Und suchte. Und suchte. Das Kind begann, mit dem Kugelschreiber zu knipsen. Knick-nick. Knick-nick. Knick-nick. Die Bahn-Frau sah auf, schleuderte dem Jungen einen Blitz zu und herrschte ihn vor seiner Mutter an: „HÖR! SOFORT! DAMIT! AUF!“

* Die Eisdiele, die am heißesten Tag des Jahres ein Schild an die geschlossene Glastür hängt: „Wegen Krankheit geschlossen.“

2x angesprochen worden:

* Beim Frisör bin ich noch nicht dran und sitze etwas zurückgezogen in einer Ecke und stille. Den Kopf vom Baby und meinen Brustansatz habe ich mit einem Tuch abgedeckt. Eine frisch frisierte ältere Dame kommt an mir vorbei, stellt sich hinter mich und legt mir ihre erstaunlich rotlackierten Finger auf den Arm: „Och, ist der süß.“ Ich nicke. Sie beugt sich über meine Schulter nach vorne, schiebt das Tuch von meiner Brust und vom Kind, das sich sofort abdockt: „Duzti-du, bist Du niedlich. Nicht stören lassen, schön weiter trinken.“

* Mann auf dem Spielplatz, blickt in den Kinderwagen: „Boah, ist das ein fettes Baby. Naja, Hauptsache gesund, wa?“

2x im Vorbeigehen aufgeschnappt:

* Eine junge Frau zu einem jungen Mann: „Ich hab ja einen Zwillingsbruder.“
Junger Mann zu junger Frau: „Einen Zwillingsbruder? Wie cool! Seht Ihr genau gleich aus?“

* Einer aus der Gruppe Trunkener vor dem Plus: „Ich weiß aus dem Computer, das beste Sternzeichen, was man haben kann, ist Mond. Mond. Das beste Sternzeichen. Haste Glück gehabt.“

Und sie suchen das Wort

Ende des Sommers soll unser Heidenkind getauft werden, der Termin steht, die Paten sind gewählt und haben zugesagt, nun suchen wir einen Taufspruch. Dies ist erwartungsgemäß kein ganz einfaches Unterfangen. Welches Wort sollen wir dem Söhnchen mitgeben? Was soll ihn leiten, begleiten, sollen wir ihm etwas wünschen oder weise Worte zuraunen?
Wie so oft hilft auch hier die Musik. Am Wochenende probten wir Mendelssohns doppelchörige Motetten op. 78, und in Nr. 1 dachte ich schon, einen hübschen Taufspruch gefunden zu haben, nämlich Psalm 2, 12:
„Küsset den Sohn!“
Allerdings, dachte ich dann, ist diese Aufforderung vielleicht ein wenig zu stark von Mutterstolz geprägt. Überdies geht es nicht allzu versöhnlich weiter: „Küsset den Sohn, dass er nicht zürne und ihr umkommt auf dem Wege; denn sein Zorn wird bald entbrennen. Aber wohl allen, die auf ihn trauen!“ Hm. So einen kleinen Jähzornigen sollten wir uns vielleicht nicht gezielt heranziehen.

Zum Glück geht aber Opus 78 noch weiter, und in Nr. 3 („Mein Gott, warum hast Du mich verlassen“), der Vertonung des 22. Psalms, wurde ich fündig. Psalm 22, 21. Das ist es:
„Hilf mir aus dem Rachen des Löwen und errette mich von den Einhörnern.“
Perfekt. Die Patin meinte zwar, sie würde dann wohl vor Lachen das Kind ins Taufbecken fallen lassen und man könnte uns mangelnden biblischen Ernst vorwerfen. Ich aber denke, man sollte sich nicht so leicht verunsichern lassen. Errette mich von den Einhörnern!

Weitere Zeichen

Weitere „Zeichen für eine müde Mama“:
4. Ich vergesse, dass es mehr als 3 Zeichen sind.
5. Ich weiß Namen mir vertrauter Menschen nicht mehr. „Ja, klar, ich meine – äh. Na, wie heißt er? Der eine Tenor aus unserem Chor, der nette. Der auch mein Kollege ist. Du weißt schon, der Vater von der Kleinen, von Dings, wir haben bei ihrer Taufe gesungen. Na. Wie bei, bei, bei. Bei seinem Sohn hatten wir doch auch gesungen, bei, na, wie hieß der Sohn? Du weißt wen ich meine?“
6. Ich packe für den Wochenendausflug Shampoo und Kontaktlinsenlösung in eine Plastiktüte und die kleine neue Kamera in eine andere, ähnliche, aber viel kleinere Tüte. Kurz vor Abreise und nach dem letzten Wickeln denke ich mit, haha, und werfe den nassen Waschlappen nicht einfach in die Reisetasche, sondern tu ihn in die Plastiktüte. Mit der Kamera.

Mude

Ich bin mude. So mude, dass ich die Punkte nicht mehr sprechen kann. So etwa sagte mein Großvater.
Dabei fühle ich mich gar nicht mude, nicht mal besonders müde! Es verdichten sich allerdings die Hinweise, dass ich nach fünf Monaten mit Baby und am Ende des Semesters doch einen gewissen Grad an Grunderschöpfung und damit einhergehender Unberechenbarkeit erreicht habe. Analog zu den bewährten „drei Zeichen für gesunde Zähne“ (weiße Zähne, rotes Zahnfleisch, keine Insekten in den Zahnzwischenräumen) sind nun zumindest „drei Zeichen für eine müde Mama“ auszumachen:

1. Ich kann einschlafen.
2. Ich stelle das Pumpbesteck und die Flasche zum Abkochen auf den Herd, stelle die Platte auf 6 und gehe, während das Wasser heiß wird, kurz Zähneputzen. Und dann direkt ins Bett.
3. Ich schaffe es oft nicht mehr, einen Blogeintrag zu Ende zu s