Medley

J., 2 Jahre alt, und ich spielen mit Duplo. Aus dem Tor wird ein Kran wird ein Haus wird ein Bett wird ein Auto. Mit diesem Auto fahren J.s rechte Hand „Papa“ und J.s linke Hand „J.“ halsbrecherisch hinter der Feuerwehr her und bauen dabei einen schweren Unfall. Die linke Hand „J.“ liegt verletzt auf dem Boden und jammert.
Ich komme mit dem Krankenwagen angebraust, streichle den kleinen Patienten „linke“ Hand“ alias „J.“ und sage „Heile, heile, Segen…“. Sofort kommt J.s kleine rechte Hand dazu, hochkant schiebt er sie auf seinem linken Handrücken hin und her und ergänzt den Reim: „… voller Tücke in die Brücke eine Lücke!“
Textsicher.

Wenn das Volk keine Knödel hat

Wir hängen im Winter immer einen Meisenknödel ans Küchenfenster, den wir an einen an die Fassade genagelten und getapeten Laternenstab knoten. Stab und Knödel sind sehr nah am Fenster, aber inzwischen wissen die Meisen, dass wir drinnen da nur sitzen, und sie drücken sich auch nicht ihre Nasen zu Wellensittichschnäbeln platt. Im Sommer hängt zwar kein Meisenknödel, aber die Meisen können dort landen und verschnaufen und in die Küche gucken. Das tun sie offenbar, jedenfalls kennen sie sich bestens bei uns aus.
Wir hatten Bauarbeiter am Haus, die die Fassade neu gemacht haben, dabei haben sie viel Dreck gemacht, wie die Meisen auf einem Baugerüst am Küchenfenster gesessen, zu uns hinein geguckt und außerdem den Laternenstab entfernt.
Letzteres war den Vögeln offenbar nicht recht, und so sind sie reingekommen, um sich ihre Futterrationen selber zu holen. Ich kam jedenfalls mittags in die Küche, und eine Meise hüpfte auf dem Küchentisch herum. Ich fragte sie, was sie denn da mache, und sie tschilpte, hüpfte auf das gekippte Fenster, guckte mich an, tschilpte mir noch etwas zu und flog wieder raus.
Am nächsten Tag das Gleiche: kleine Meise auf Küchentisch, antwortet auf Anrede mit Tschilpen und hüpft aufs gekippte Fenster. Und auf dem Küchentisch hatte sie Muttis selbstgebackenen Sandkuchen aus der Alufolie ausgepackt und einen guten Teil vom Rand abgepickt.
Wenn die Meisen keine Knödel haben, sollen die Meisen doch Kuchen essen!

wieder da

Nach dem letzten Blogeintrag brachen zehn Tage voller Glück und Glücksfälle über mich hinein; ich weiß gar nicht, wo ich mich zuerst freuen soll.

Da außerdem mein Internet zu Hause nicht funktioniert (das fällt nicht unter die Glücksfälle im engeren Sinne, aber gerade auch nicht sehr ins Gewicht), komme ich überhaupt nicht zum Bloggen. Aber jetzt vielleicht mal wieder. Ich geb mir Mühe.
Und freu mich einfach weiter.

Die Zeit heilt alle Wunden, es geht vorbei

„Sein Vater ist seit 30 Jahren tot, und er vermisst ihn immer noch“, sagte die Frau in dem Film über den Mann auf dem Sofa, „er war die wichtigste Person in seinem Leben.“ Und sie gucken ein wenig konsterniert, gucken wie „rührend irgendwie, das mit dem Vermissen, aber hey, 30 Jahre“.
Ich habe keine Ahung, worum es ging, wer die Figuren waren und welche Schauspieler sie darstellten. Aber gehalten hat sich mein Unverständnis angesichts des Unverständnisses der Frau, angesichts des betonten „immer noch“.
Der wichtigste Mensch ist keine Kategorie, die ich besonders mag, so wie ich auch das Bibelwort „Darum wird ein Mann seine Mutter und seinen Vater verlassen, und seinem Weib anhangen“ nicht mag. Ich will mich nicht entscheiden müssen, wer wichtiger ist, der Ehemann oder die Eltern, der Vater oder die Mutter (und wir hatten uns als Kinder schaudernd überlegt, wie wir entscheiden würden, müssten wir entscheiden, zu wem würdest DU gehen, wenn Mutti und Papi sich scheiden ließen?, aber wir waren sicher, dass sie es nicht tun würden, dass wir es durchspielen könnten, weil es Spiel bliebe; bei den Überlegungen, wie ich meinen Bart tragen würde, wäre ich ein Mann und bekäme ich einen, habe ich das Hypothetische der Prämisse mal vergessen, bei diesem Beraten und Abwägen vergaßen wir es nie), nein, nicht entscheiden, ob Vater oder Mutter, nicht welcher der Brüder, nicht ob die Tochter, die Mutter oder die Großmutter mehr zu lieben sei.
Ich glaube, meine Mimi hat ihre älteste Tochter ihr Leben lang vermisst, und sie wird auch ihre Mutter vermisst haben, auch nach 25 Jahren noch. Und ich weiß, dass ihre zweite Tochter, die älteste der lebenden und meine Mutter, sie vermisst, und auch ich vermisse sie. Wir reagieren inzwischen seltener falsch, ich wähle zum Beispiel nicht mehr ihre Nummer, wenn ich traurig bin, und muss dann nach drei oder vier Zahlen auflegen, wenn ich es merke, und ich will auch nicht mehr ihrer Freundin sagen, was sie ihr erzählen soll, weil ja vielleicht wenigstens sie noch Kontakt hat. Trotzdem bin ich der Mann auf dem Sofa, und ich tropfe auch nach 6 Jahren noch auf den Schreibtisch und wusste den ganzen Tag nicht, was schreiben und was zu Mutti sagen, obwohl wir fast eine Stunde telefoniert haben und ich wusste, dass der vierte Juli war.
In der Nacht, als sie starb, kam erst der Anruf, sie habe einen Herzinfarkt, sie sei im Krankhaus, und die Stimme meines Vaters, und dass es mein Vater war, und um diese Zeit. Ich habe im Bett gesessen und den winzigen Holzengel angeschaut, ein kleiner, flacher Engel im weißen Hemd, an einem Band mit Glöckchen, ich glaube nicht an Engel, auch nicht an hölzerne, aber sie hatte ihn mir geschenkt, den Engel, an einem Weihnachtsgeschenk hängend, nun hing er an meinem Bett und ich habe ihn angeschaut, fest, und immer wiederholt: nicht, nicht, nicht, nicht. Bitte nicht, bitte, bitte, bitte nicht. Er hat es nicht geschafft, sie hat es nicht geschafft.
Es ist sechs Jahre her, und gestern Nacht sprang mich der Schmerz wieder genauso an, direkt in den Hals, und natürlich vermissen wir sie, was sollen wir denn sonst tun.
Ein paar Monate später kam Percanto nach Deutschland, dann sind wir umgezogen. Das Engelchen hängt noch immer an meinem, an unserem Bett, und ihre letzte Postkarte steht dort, wir konnten nicht wissen, dass es die letzte Postkarte sein würde, und untypischerweise zeigt auch sie Engel. Sie steht seit 6 Jahren dort, und irgendwann habe ich gemerkt, dass der Teil, der über die wechselnden Bücher ragt, ausgeblichen ist vom Tageslicht, die Schrift fast vollständig verschwunden, nur an den Enden der Wörter waren noch Punkte zu sehen, wo sich die Tinte gesammelt hatte. Ich weiß, was dort stand, wenn man die Karte schräg halt, konnte man es erraten, also habe ich es abgeschrieben auf einen Klebezettel und ihn über die obere Hälfte geklebt, als Lichtschutz. Ich hätte die Karte rahmen sollen, spätestens dann. Ich hätte den Text hinten auf den Rahmen schreiben sollen. Ich hätte die verbliebenen Wörter vor dem Licht schützen sollen. Aber ich konnte mich nicht auch noch vom unteren Teil trennen, von ihrer Handschrift, ihrem Namen, Alles Liebe Deine Mimi.
Darum sind nun auch die letzten vier Zeilen bleich und fast verschwunden, aber ich konnte sie nicht wegsperren und schon jetzt vermisse ich auch sie.

Federvogel

Ein Wochenende auf dem Land. Friederike, 3, nimmt mich an die Hand und wir suchen gruselige Tiere mit wenigen Beinen. Im kleinen Steinbruch findet Friederike eine Feder, die sie mir nach kurzem Nachdenken gibt.
„Die Feder ist mein Geschenk für Dich.
Wenn Du zu Hause bist, musst Du sie in ein Glas mit Wasser stellen. Dann wird daraus ein Vogel. Den Vogel musst Du in ein Nest setzen, und wenn er groß geworden ist, musst Du ihn wieder fliegen lassen.
Die Feder schenke ich Dir. Aber nicht vergessen: Du musst sie zu Hause in ein Glas mit Wasser stellen!“

Versprochen.

Über allen Wipfel-Gipfeln…


… sagte ich.

isabo: @percanta Auf allen Bergen stillgestanden!

Merlix: Warte nur balde zipfelst du auch.

isabo: „Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein.“

percanta: „Stille ist im Pavillon aus Jade. Krähen fliegen Stumm zu beschneiten Kirschbäumen im Mondlicht.“

percanta: Himpelchen und Pimpelchen, die wohnten in einem Berg. Warte nur balde, Waldvögelein, und Pimpelchen war ein Zwerg.

giardino: @percanta Nachtigalls Wandlied?

Merlix: @percanta Bald ist es vorbei, Samurai.

percanta: @giardino und wie. Und bald! „Nächtliches Vagabundenlied“, D > ES > D.

Merlix: Die Vögelein liegen auf Halde.

isabo: Sie blieben da oben lange sitzen / und wackelten mit ihren Wipfelmützen. // Der Rest ist Schweigen.

percanta: En la hoja del árbol/ apenas leve aliento/ tiembla fugaz./ im Blatt vom Baum/ kaum leichter Atem/ zittert flüchtig.

percanta: Von drauß vom Walde kommt er her/ er atmet kaum, er ruht bald sehr/ es ist ein weites Feld.

[Mitspielen!]

Vielfüßler

Ein Wochenende auf dem Land. Friederike, 3, nimmt mich an die Hand, „komm, ich zeig Dir mal die Pferde, ja?“
Die Pferde sind zwei Stuten mit Fohlen, eins noch ganz klein, es liegt neben seiner Mutter im Stroh und schläft.
Friederike ist an der Wand der Box hochgeklettert, ich halte sie fest und wir gucken uns Mutter und Kind an, reden über Namen von Tierkindern. „Weißt Du, wie das Fohlen wieder aufsteht?“, fragt sie mich dann, „das ist nämlich so: Erst kommen die hinteren Beine, dann kommen die rechten Beine, dann kommen die unteren Beine, dann kommen die anderen Beine, und am Ende kommen die vorderen Beine. Und dann steht es.“

Federn und viel

Ein Wochenende auf dem Land. Friederike, 3, spielt mit mir Fangen und Verstecken und gruselige Tiere mit wenig Beinen suchen.
Sie findet eine graue Feder, inspiziert sie lange. Schließlich guckt sie mich fest an:

„Ich schenke Dir jetzt diese Feder. Du musst sie mitnehmen und dann zu Hause in Glas mit Wasser stellen. Dann wird daraus ein Vogel. Den musst Du dann in ein kleines Nest setzen, und wenn er groß ist, musst Du ihn fliegen lassen.
Ja? Die Feder ist mein Geschenk für Dich, aber nicht vergessen: Du musst sie zu Hause ins Wasser stellen!“

Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein

Liebe Wörter, liebe Buchstaben, liebe Satzzeichen, es wäre dann an der Zeit, sich zu entscheiden. Will noch jemand mit? Wenn ja, an welche Stelle? Das muss jetzt bitte etwas flotter gehen mit der Platzwahl. Woanders sitzen? Noch gehts, tauschen Sie, gerne, aber passen Sie bloß auf, dass dabei nichts durcheinander gerät. Nein, die Seitenzahl dürfen Sie nicht mitnehmen, die lassen wir hier. Und lassen Sie das Figurengedicht los, das steht ganz gut so, wie es jetzt ist. Sie möchten lieber doch noch kursiv? Sehen Sie zu, aber achten Sie bitte darauf, dass es auch passt. Hat jeder seine Kapitelnummer? Alle Fußnoten an Bord? Könnten wir nochmal durchzählen?
Noch jemand aussteigen? Darf ich dann alle Rauten bitten, die Seiten zu verlassen? Die beieinanderstehenden Duplikate? Die gedoppelten Satzteile? Danke.
Bitte gehen Sie zügig, ohne zu hetzen. Wir schließen.