Petite Apokalypse

Und dann war da der Moment, als wir alle nach dem letzten Konzert auf dem ziegelroten Kirchenvorplatz standen, die neuerdings auf Konzertreisen eingeführten Proseccodosen noch in der Hand und die Musik fast noch im Mund und lange noch im Ohr. Hinter uns ragte der Kirchturm mit fratzenziehenden Wasserspeiern, über uns die Krone einer alten Kastanie, dazwischen Abendsonne. Norddeutsches Idyll, in das plötzlich ein Vogel fiel. Er stürzte schnurgerade aus dem Laub über uns, durch nichts, durch keine Reaktion, kein Flügelschlagen abgefangen, und blieb nach dumpfem Schlag auf dem Stein liegen. Und er sah, daß sich der Himmel auftat, und den Geist gleich wie eine Taube herabkommen auf ihn.“ Ein Federchen trudelte nach, „alle Augen warten auf Dich, Herre“ und waren auf den grauen Körper gerichet. Eine kleine Ringeltaube, die nicht mehr zurückschaute, denn über dem weißen Ringel am Hals fehlte der Kopf.
Oh.
Und dann ein zaghaftes Stimmchen: „Ist die tot?“
Ziemlich. „Nun aber bleibt Taube, Hoffnung, Liebe, diese drei„, doch war in diesem Fall die Hoffnung vergebens.

Der Ball ist rund

Dass man insgesamt zu müde ist und zu viel WM guckt, merkt man daran, dass man zur besten Zeit ab nachts um 4 für 90 Minuten ein waches, sich wälzendes Kind neben sich liegen hat und die ganze erste Halbzeit denkt, dass es die besten Szenen aus den Vorrundenspielen nachstellt. Aber bei Australien : Frankreich hab ich den Denkfehler bemerkt – die spielen ja gar nicht gegeneinander. Verrückt, was einem das Hirn vorgaukelt, ts, Australien : Frankreich, verrückt.

Polarisiert

Dies war eine Woche, in der man gut dagegen sein konnte. Ich war diese Woche gegen ziemlich vieles. Gegen politikverdrossenes Handtuchwerfen, gegen den Hessen, dessen Namen wir nicht nennen wollen, gegen Bohrlöcher, gegen die Südspange (Göttinger! Geht zur Bürgerbefragung, geht gegen die Südspange stimmen!), gegen Blindgänger.
Im Nachklappern der Handtuchwerfer war ich auch noch gegen von der Leyen, gegen Schäuble, gegen den oben nicht genannten Hessen. Und auf einmal war da ein neuer Kandidat und die vorsichtige Möglichkeit, dafür zu sein. Man ist Dafürsein kaum noch gewohnt, für jemanden zu sein, schon gar in der Politik, hat einen verdächtigen Beigeschmack, man traut sich selbst und seiner Zustimmung kaum über den Weg. Aber aber je länger ich über Gauck als Kandidaten nachdenke, desto mehr ich dafür, für Gauck als Bundespräsidenten.
Und statt nur immer „Nein!“ zu sagen (und auf der Straße abstruse Diskussionen über Verkehrs(un)gerechtigkeit zu führen), sollte man vielleicht mal ein „Ja“ unterstützen. Das denke nicht nur ich, es gibt inzwischen einige Initiativen, die sich für Gaucks Kandidatur stark machen. Und man könnte das Dafürsein üben, indem man sich zum Beispiel dort einträgt.
Warum für Gauck?
Ich zitiere Nico Lumma:

Die beste Begründung für Joachim Gauck liefert Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Laudation zum 70. Geburtstag von Joachim Gauck:
“Weil wir immer wieder Debatten brauchen, weil wir uns immer wieder miteinander austauschen müssen, ist es so gut, dass wir Sie, Herr Gauck, haben. Denn Sie legen den Finger in die Wunde, wenn Sie eine Wunde sehen, aber Sie können auch Optimist sein und sagen: Es geht voran. Beides brauchen wir. Danke, dass es Sie gibt. Danke, dass Sie weiter da sind.”

Hier geht es weiter:
Grundsätzliches auf Wirres.net: Gauck is my president.
Unterstützung der Kandidatur Gaucks in der Facebookgruppe Joachim Gauck als Bundespräsident
Nico Lummas Initiative Wir fuer Gauck

Der Politikverdrossenheit von oben mit Politik von unten antworten?
Ich üb das jetzt, das Dafürsein. Der Anlass scheint mir ein guter zu sein.

(PS: Göttinger, stimmt trotzdem gegen die Südspange. Danke.)

Polarisiert

gegen beleidigtes Handtuchwerfen
für Gauck
gegen die Südspange (Göttinger! Geht mit Nein stimmen!)
für Sommer
gegen Silberfischchen
für Lena
gegen Blindgänger
gegen den Hessen, dessen Namen wir nicht nennen wollen
gegen Pro-Contra-Listen
für Ferien, Zeit zum Lesen, Zeit zum Bloggen.

Passt schon

Auf der ziemlich vollen Flasche Sonnenmilch, die ich sicher mal in der Nachsaison gekauft habe, steht auf vielen orangfarbenen Aufklebern „Sonderpreis DM 4.00„.
Ein Verfallsdatum steht aber nicht drauf. Das war damals bestimmt noch nicht erfunden.

Sie haben ein neues Level erreicht

Nach Vorstufen wie „Mit Säugling an der Brust Spaghetti essen“ (Level 2) oder „Mit Krabbelkind (und einem Vorrat an Apfelschnitzen, einem Pömpel, der immer in die Wanne fliegt, sowie diversen Spielzeugen und Bilderbüchern) duschen“ (Level 7) hat man Level 14 des Elternseins gemeistert, wenn man mit einem Kind auf dem Arm, das gerne und dringend selbst das heiße Öl und Gemüse in der Pfanne umrühren möchte, einhändig die Pfeffermühle bedienen kann. Ohne dabei das Kind in die Ölspritzer zu halten, möglichst. Bin jetzt auf Level 15 gespannt.

Rosen, Tulpen, Nelken

Zwei Links mit hohem Heulfaktor. Via Feedreader und @PickiHH und @Kaltmamsell s Getwitter.

(Gebrauchsanweisung:
1. Taschentuch suchen
2. Kaltmamsells Blogeintrag lesen
3. bei Bedarf Taschentuch benutzen
4. Video schauen
5. (Reihenfolge nicht umdrehen!)
6. Taschentuch benutzen
7. seufzen
8. einem Herzmenschen Blumen schenken)

I. Kaltmamsells Rosentag

II. Fleurop

Irgendwas mit Büchern

Wie alt ich genau war, kann ich nicht mehr sagen, es wird im späten Grundschulalter gewesen sein, als ich die ältere und etwas herbe Besitzerin der kleinen Buchhandlung am Ort fragte, ob sie mich nicht einfach mal ein ganzes Wochenende im Laden einschließen würde, damit ich ungestört lesen könnte. Als sie ernsthaft darauf einging, war mir die Angelenheit doch etwas unheimlich, aber ein Traum blieb es. Denn nie schaffte ich, während meine Mutter ihre Einkäufe erledigte, genug Seiten der unfassbar vielen Bücher.
Der Laden wird heute von einer jüngeren Frau geführt, die die meisten Lachfalten hat, die ich je an einer einzigen Person gesehen habe. Und ich habe einen Schlüssel zur Bibliothek.
Nun ist es Arbeit, aber als ich gerade die dritte der schweren Türen aufschloss und am Sonntag Nachmittag ins abgedunkelte Innerste der Bibliothek trat, blitzte das alte Gefühl wieder auf, nun endlich erfüllt: alles meins. Eine kurze Freude, die auf der bangen Gewissheit ruht, dass diese Bücher auch an allen einsamen Sonntagen nicht mehr zu lesen sind.