Was es natürlich nicht besser macht.

1986, es war Frühling, es wurde Sommer, und alles war über und über mit Löwenzahn bedeckt. Und wir durften ihn nicht pflücken, durften nicht im Sand spielen, bei Regen nicht raus und später im Jahr nicht in die Brombeeren.
Viel später erzählt mir eine Grundschullehrerin, ich hätte den 27. April (oder das, was in der Erinnerung der 27. April ist, es war der Tag nach Bekanntwerden der Katastrophe, es muss also etwas später gewesen sein) im Klassenschrank verbringen wollen, hätte darin zusammengekauert gesessen und nicht rauskommen mögen, weil draußen alles kaputt geht. Daran erinnere ich mich nicht. Aber an den Löwenzahn, den Sand, die Beeren, den Regen.
Und an die Angst, Begleiter meines kindlichen Ich über Jahre.
Und später dann immer wieder der Gedanke an die Eltern: Auf welche Art geht man eigentlich als Eltern kaputt, wenn die Kinder keinen Löwenzahn mehr pflücken dürfen, weil sonst, und wenn sie sich lieber im Klassenschrank verstecken wollen, weil sonst. Welche multiplizierte Angst setzt sich den Eltern nachts auf die Brust, und wer lässt ihnen das Licht an am Bett und sagt ihnen, Du brauchst keine Angst zu haben, wir sind noch auf, Du hörst uns im Wohnzimmer.
Und dann hat man ein Kind und ist Eltern und dann ist es der 11. März, oder der 12., es ist immer der Tag danach. Es ist das gleiche Gift, was dort strömt. Es ist die gleiche Angst.
Bis sie den ganzen Weg über den Pazifik geweht wurde, hat sich auch die Angst abgeschwächt. Aber sie war die ganze Zeit da. Und sie hat neue Bilder.
Dieses Jahr wird er wohl im Sand spielen dürfen, hier, dieses Jahr darf er wohl in Pfützen springen, hier, und die verbotenen Löwenzahne blühen weit weg. Dieses Jahr.


Mehr Rhetorik!

Gestern war schon der zweite kinderfreie Abend die Woche, und nachdem wir Montag bei Rosemarie Tietze und Tolstoi in der wunderbaren neuen Literaturreihe „neu_übersetzt“ waren, gingen wir gestern Billard spielen. In der Kneipe lief Championsleague, und ich gewann wie Schalke 3:1. Highlight des Abends waren aber die Kommentare der Sky-Reporter: Sammer sprach vor dem Spiel von „nerval“, jemand war, glaube ich, in einer „nerval schwierigen Situation“ (muss es nicht „nervesk“ heißen?), und dann hörten wir während des Spiels (der Name des Kommentators wurde leider nicht mehr eingeblendet) ein großartiges Zeugma, eines der schönsten, die mir seit langem begegnet sind:
„Schalke spielt vorne mit Mut und Raul und Farfán.“

Wundervoll. Ich nehme es gleich in meine Beispielliste rhetorischer Figuren. Was für ein hinreißendes Zeugma, Fußball, welch Quell der Freude!

40 Tage ohne

Aschermittwoch. Weder habe ich Fasching gefeiert und müsste jetzt angewidert und verkatert die fast leeren Flaschen wegräumen und ein „nie wieder (bis Ostern)“ murmeln, noch habe dich den Drang, die Passionszeit durch Kasteiung mitzuerleiden. Aber Anlässe sind Anlässe, und was Giardino vormacht, klingt nach einer Idee. Früher habe ich „auf“ Süßigkeiten gefastet – auch eine Fasten-Mogelpackung, denn als Kind habe ich Süßigkeiten gar nicht so sehr gemocht, der Verzicht fiel leicht; außerdem habe ich alles, was ich geschenkt bekam in den 7 Wochen, gesammelt und gehortet und hatte am Ende des Fastens den puren Überfluss. Die letzten Jahre kein Bedürfnis nach Fasten. Einmal fiel die Passionszeit mit der frühen Stillzeit zusammen, da hatte ich sowieso schon viele Monate auf alles mögliche verzichtet und machte gerade so weiter, in einem anderen Jahr das Gefühl, das Leben nimmt sich eh schon seinen Teil, da brauche ich nichts mehr zusätzlich wegzusperren. Wenn der Gedanke ans Fasten überhaupt kam, war er nach einem kleinen Stirnrunzeln wieder weg. Dieses Jahr aber doch: Internetfasten. Nicht um mich zu kasteien, sondern aus dem Bedürnis nach mehr Konzentration und Fokus. Auf Mails etc. kann und werde ich natürlich nicht verzichten, auch sonst will ich es nicht ganz so radikal betreiben wie Giardino, die Blogs bleiben. Aber die Zeitfresser fliegen raus, die Ablenker und kleinen Störfeuer. Kein Facebook, kein Twitter, das vor allem. Es geht nicht um die Leute dort, sondern darum, mich nicht zu verzetteln, und automatisiertes Suchtverhalten – mal kurz gucken – abzugewöhnen. Und mich besser auf das zu besinnen, was mir eigentlich wichtig ist. In dem Sinne steht der Moment des Entzugs vielleicht doch ganz gut in der traditionellen Fastenzeit.

Für wen dieses Internet geschrieben wird

Wer sind sie eigentlich, die Internetnutzer? Ich weiß nicht, ob Sie es wussten, aber vor allem sind es meine Eltern. Es ist nämlich so: Zunächst bringt meine Mutter mir das wunderbare Kochbuch VegItalia mit, weil Frau Gröner daraus süßsaure Zwiebeln zubereitet hatte. Also kauft meine Mutter das Buch, eins für sich und eins für die Tochter.
Gestern wollte Nuno dann mit seinen Großeltern telefonieren, fragte, ob sie „Tee trink“ und auch „Kucha“ haben. Ja, sie hatten Kuchen, selbstgebacken und fast aufgegessen: Den Zitronenkuchen aus Ankes letztem Koch&Back-Posting. Ob er gut sei? Sehr gut. „Wir backen übrigens jetzt auch jeden zweiten Tag Brot, das ist toll“, sagte mein Vater dann, und meine Mutter rief aus dem Hintergrund „Mehl 250 zu 150 Gramm, und heute haben wir Nüsse reingeworfen! Das schmeckt so gut!“ Ich muss das famose Idiotenbrot jetzt dringend mal ausprobieren. Denn ein bisschen wird das Internet ja auch für mich geschrieben, hoffe ich.


[Ich habe nicht mal ein Label für Essbares. So sieht’s aus, wenn Trends an einem vorbeigehen.]

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Pipl. Ing.

Das Kind entwickelt erneuten Ehrgeiz, sauber zu werden. Eine erste Toiletten-Euphorie mit Anteilen von Kunstpinkeln auf die Küchenfliesen hatte er bereits im Herbst, nun erneutes Interesse an diesem Thema.
Da wir noch kein Töpfchen haben, sondern einen Toilettenaufsatz, Baby B. aber lieber bodennah sitzen möchte, ergreift er die Initiative: Er zerrt sich die Strumpfhose runter, macht sich selbst den Body auf, schiebt die Windel auf die Knie. Dann trippelt er ins Bad, holt er sich den kleinen Ikea-Schemel, dreht ihn um und setzt den Toilettenaufsatz darauf. Ein do-it-yourself-Kinderklo. Mit der Windel auf Kniehöhe schafft er es zwar noch nicht, sich allein auf den Aufsatz zu setzen, aber hey! er kann sich sein eigenes Klo bauen. Erstaunlich praktisch veranlagt für ein Geisteswissenschaftler-Kind.