Adventshamstern

Mit einem einzelnen traurigen Bund Suppengrün und den sich türmenden Einkäufen für vier zu befüllende Adventskalender an der Kasse stehen und sehr dringenden Erklärungsbedarf spüren.

Feliz cumpleaños, poeta.

Das war 2005. Morgens um 5 nach einer Fahrt durch das halbe lange Land, angekommen am Hafen von Puerto Montt und mit Blick nach Chiloé. 
Heute hat er Geburtstag, mein Dichter. Herzlichen Glückwunsch zum 75, Floridor! 
A un avión en la noche
Un
pirata
nos roba
las estrellas
y se las lleva al mar
sobre un
pez
volador.
(Floridor Pérez, sehnsuchtsvolles Kindergedicht aus Cielografía de Chile, 1973)


Jahreszeiten

Das mit den Jahreszeiten ist gar nicht so einfach, vor allem nicht, wenn man erst zwei und der letzte Herbst ein halbes Leben her ist. Im Kindergarten sind die Jahreszeiten zwar immer wieder und in liebevoller Ausgestaltung Thema, jetzt zum Beispiel werden Kastanienketten gefädelt, die Kinder erzählen Igelgeschichten und basteln Igel mit Ahorn-Nasen, sie feiern Erntedank, machen eine Kartoffelwoche, bemalen Laternen und lernen Martinslieder. Es ist auch nicht so, dass Zweijährige die Veränderungen in der Natur nicht bemerken würden, und entsprechend sang Baby B ein Laternelied (ein Musterbeispiel des Textefalschverstehen, übrigens) „der Jäger in dem grünen Wald… mit der Tür geknallt… piff puff“ und beschwerte sich dann nicht etwa über die Türen im Wald, sondern fragte kritisch nach, „warum grüner Wald? Warum nicht rot?“ Auch haben wir natürlich morgens regelmäßig Diskussionen darüber, ob er Sandalen anziehen darf (nein) und ob er wirklich einen Schal tragen soll (ja), und thematisieren somit täglich, wie das mit dem Wetter ist. Und dennoch ist diese Sache mit Wetterlage über längere Phasen und wie das mit den Jahreszeiten zusammenhängt nicht ganz zu verstehen.
Heute früh etwa ging Baby B mit seinen neuen Winterschuhen los, stand dann vor der Haustür im ihn umwehenden Laub und bemerkte überaus zufrieden: „Guck, Mami, Wind! Und ich hab neue Windschuhe!“
Und heute Nachmittag ließ er sich einen Luftballon aufblasen, der noch vom Wahlkampf kam; der Slogan „mein Herz schlägt grün“ war in Farbe und Form des Ballons umgesetzt. Nachdenklich drehte er den Herzballon in der Hand. „Der ist der Herbs, Mami? Der ist der Herbs, der macht die Blätter bunter, wirft die Äpfel runter?“

(Unerfreulicher Nachtrag: Leider ist der Herbs 2011 etwas später am 26. Oktober geplatzt, als ein Kleinkind mit ihm hingefallen ist.)

Gefunden

Den Nachmittag haben Baby B und ich großen und etwas wilden Garten des Hauses verbracht, trotz des schönen Wetters waren wir ganz allein, nur das Nachbarschaf war auch draußen. Zum ersten Mal seit 2,5 Jahren habe ich ein ganzes Kapitel lesen können, während ich mit Kind unterwegs war, denn er saß zufrieden im Sandkasten, baggerte und schichtete Steine um, stromerte durch unseren und die beiden Nachbargärten und holte sich ab und zu eine Erdbeere ab. Ein bisschen Ballschieß auf der Klee- und Gänseblümchenwiese, dann haben wir dieselben Gänseblümchen gepflückt und – auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin – ihm einen Kranz daraus gebunden. Bei dem vielen Klee musste ich an den Sommer vor nun 3 Jahren denken, da hatte ich mit einem Vorabexemplar meiner Diss auf einem niedrigen Mäuerchen auf dem Campus gesessen und auf meinen Doktorvater gewartet. Um mich herum ein Meer aus Klee, ich zupfte gedankenverloren ein wenig daran herum und fand, kaum suchend, direkt neben mir vier vierblättrige Kleeblätter. Kurz darauf bekam ich die erwünschte Note für meine Doktorarbeit, bestand mit der gleichen Note die Disputation und hielt in der gleichen Woche einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand, Baby B. Das vierte vierblättrige Kleeblatt schenkte ich meiner Freundin und Kollegin. Sie hat ihre Habil glänzend bestanden.
Vierblättrigen Klee gibt es bestimmt nur an dieser Stelle vor dem Prüfungsamt, dachte ich heute im Garten, Glücksbringer wachsen dort, wo sie gebraucht werden, und da sind ja leider letztes Jahr die Bagger durchgegangen. Ich beugte mich dennoch zum Kleeteppich unter mir und fand, direkt neben meinem Fuß, ein Vierblättriges. Nur eines.
Jetzt bin ich gespannt.

40 Tage ohne

Aschermittwoch. Weder habe ich Fasching gefeiert und müsste jetzt angewidert und verkatert die fast leeren Flaschen wegräumen und ein „nie wieder (bis Ostern)“ murmeln, noch habe dich den Drang, die Passionszeit durch Kasteiung mitzuerleiden. Aber Anlässe sind Anlässe, und was Giardino vormacht, klingt nach einer Idee. Früher habe ich „auf“ Süßigkeiten gefastet – auch eine Fasten-Mogelpackung, denn als Kind habe ich Süßigkeiten gar nicht so sehr gemocht, der Verzicht fiel leicht; außerdem habe ich alles, was ich geschenkt bekam in den 7 Wochen, gesammelt und gehortet und hatte am Ende des Fastens den puren Überfluss. Die letzten Jahre kein Bedürfnis nach Fasten. Einmal fiel die Passionszeit mit der frühen Stillzeit zusammen, da hatte ich sowieso schon viele Monate auf alles mögliche verzichtet und machte gerade so weiter, in einem anderen Jahr das Gefühl, das Leben nimmt sich eh schon seinen Teil, da brauche ich nichts mehr zusätzlich wegzusperren. Wenn der Gedanke ans Fasten überhaupt kam, war er nach einem kleinen Stirnrunzeln wieder weg. Dieses Jahr aber doch: Internetfasten. Nicht um mich zu kasteien, sondern aus dem Bedürnis nach mehr Konzentration und Fokus. Auf Mails etc. kann und werde ich natürlich nicht verzichten, auch sonst will ich es nicht ganz so radikal betreiben wie Giardino, die Blogs bleiben. Aber die Zeitfresser fliegen raus, die Ablenker und kleinen Störfeuer. Kein Facebook, kein Twitter, das vor allem. Es geht nicht um die Leute dort, sondern darum, mich nicht zu verzetteln, und automatisiertes Suchtverhalten – mal kurz gucken – abzugewöhnen. Und mich besser auf das zu besinnen, was mir eigentlich wichtig ist. In dem Sinne steht der Moment des Entzugs vielleicht doch ganz gut in der traditionellen Fastenzeit.

Der Vollständigkeit halber

2010 in schiefen Fragen.

Zugenommen oder abgenommen?
Anfangs ab, dann wieder etwas zu, unterm Strich gleich.

Haare länger oder kürzer?
Kürzer.

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Gleich kurzsichtig, aber die Brille ist schiefer und zerkratzter. Wird Zeit für eine neue Brille, um meine Kontaktlinsen auch mal rauszunehmen.

Mehr Kohle oder weniger.
Gleich viel Geld, weniger Leute, also mehr.

Mehr ausgegeben oder weniger?
Keine Ahnung. Bei meinem normal verfügbaren Geld ist kaum Spielraum für große Ausreißer. Da ich mir aber zwischendurch was leihen musste, wohl mehr.

Der hirnrissigste Plan?
Nach der Konferenz da drüben im gleichen Monat auch noch zig Veranstaltungen zuzusagen und umzuziehen.

Die gefährlichste Unternehmung?
4x über den Atlantik fliegen.
Die fast gefährlichste Unternehmung: In Chile sein, während dort die Erde bebt. Das Beben kam mir aber zwei Tage zuvor, und so bin ich in BsAs geblieben.
Durch eine geschlossene Glastür rennen.

Mehr Sport oder weniger?
Etwa so viel wie mein 2010-Ich, deutlich weniger als das von 2009. Wenig.

Die teuerste Anschaffung?
Die digitale Spiegelreflexkamera und das neue Laptop.

Das leckerste Essen?
Kurz vor Jahresende Miesmuscheln in Weißweinsud von S.

Das beeindruckenste Buch?
Vielleicht Martín Kohan (Ü Peter Kultzen): Zweimal Juni (Dos veces junio).
Oh, und dann war da natürlich noch mein Buch. Aber im Verhältnis zu all der Arbeit, die drin steckt, war der Moment, als die beiden Kartons dann vor mir standen, gar nicht so
beeindruckend.

Das enttäuschendste Buch?
Luiz Claudio Cardoso (Ü Gesa Hasebrink): Der Tag, an dem sie Vater holten (Meu pai, acabaram com ele).

Der ergreifendste Film?
Die Fremde.

Der beste Theaterb4hesuch?
Ich war nur ein Mal im Theater, und das war mau.

Die beste CD?
Am meisten gehört: Yata pata und die anderen griechischen Kinderlieder.

Die meiste Zeit verbracht mit…?
Klar werden.
Zeug.
Baby B. zum Schlafen bringen.
Nicht hinterherkommen.

Die schönste Zeit verbracht mit… ?
Baby B. und S.

Vorherrschendes Gefühl 2010?
Puh!

2010 zum ersten Mal getan?
Jemanden gebeten auszuziehen.
Ein Spiel der 2. Bundesliga im Stadion gesehen. (6:1, gewonnen)
Ein Spiel der 1. Bundesliga im Stadion gesehen. (2:1, verloren.)

2010 nach langer Zeit wieder getan?
Gemeinsam kochen.
Am Deich rodeln.
Herzklopfdingens.

3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
Januar, Februar, März.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Das ist richtig so. (Mich selbst.) (Wollte und habe.)

Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?
Es war nicht so das Geschenke-Jahr.

Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
Der alte Schreibtisch meiner Großeltern aus dem nun aufgelösten Arbeitszimmer.

Die schönste neue Bekanntschaft, die ich gemacht habe?
Der neue Nachbar.

Der folgenreichste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
a) Den behalte ich lieber für mich.
b) Den auch.

Der folgenreichste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?
a) „…möchte ich, dass Du dann ausziehst.“
b) „Du kannst auch bei mir Fußball gucken.“

2010 war mit 1 Wort…?
Entscheidungsreich.

Warten

Wenn ich gegen Ende meiner Schulzeit sehnsüchtig auf einen selten bis nie eintreffenden Anruf des von mir Angehimmelten wartete, bin ich manchmal duschen gegangen. Duschen oder auf den Wäscheplatz oder in den Keller, um durch Verschlechterung der Ausgangsbedingungen die Chancen zu erhöhen, dass das Telefon gerade dann endlich, endlich klingelt. (Wasser kocht nur, wenn es nicht beobachtet wird, Telefone klingeln nur, wenn sie nicht angestarrt werden.)
Nach dem Absitzen von vier der unverschämten acht Stunden, die die gottgleiche Telekom heute zur besten Arbeitszeit als Zeitfenster für das Anschalten des Telefons angegeben hat, denke ich nun über ähnliche Strategien nach. Bestimmt kommt der Techniker genau dann, wenn ich jetzt duschen gehe oder in den Keller oder einfach ins Büro. Bestimmt.

August

Wenn die Tage kürzer werden, ist der Sommer nicht mehr lang. Nach meinem Geburtstag ist der Sommer fast vorbei. Und wenn die Brombeeren reif sind, ist der Sommer zu Ende.
Es gibt genau zwei gute Gründe, sich über das nahende Ende des Sommers zu freuen: Der eine sind meine Füße, die nach herrlichen Wochen des Barfußlaufens und der offenen Schuhe so kaputt sind, dass ich bei jedem Schritt an die kleine Meerjungfrau denke. Jeder Schritt ein Schritt in ein offenes Messer. Socken mit Creme werden eine Erleichterung sein und sehen mag diese nackten Füße, ruckediguh, Blut ist im Schuh, auch schon lange keiner mehr.
Der zweite Grund fällt mir gerade nicht ein.