Glück…

…gehabt, liebe Studentinnen!
Nach einigen guten und sehr guten Arbeiten kam ich am Ende des Stapels wieder auf die zwei schwächsten Hausarbeiten zurück und versuchte mich zu entscheiden, welche der beiden nun schlechter ist. Was wiegt schwerer, formale Unsauberkeiten oder schlechter Stil? Zitate nicht einzubinden oder sie nicht richtig nachzuweisen? Gar keine literaturwissenschaftlichen Kategorien zu verwenden oder eine einzige zu benutzen, die aber völlig falsch verstanden zu haben? Ein Autor, der immerzu fröhlich winkend durchs Analyse-Bild zu laufen scheint oder Erlebnisberichte der Verfasserin?
Dann habe ich überlegt, was genau eine 4 ausmacht, was eine 3- und was eine 4+. Hm.
Irgendwann auf die Uhr geguckt, gemerkt, dass sich mein besser nicht zu errechnender Stundenlohn inzwischen im Minusbereich bewegen dürfte und beschlossen, einfach eine Entscheidung zu treffen, und zwar jetzt.
Trotzdem weiß ich nicht, warum am Ende bei beiden eine 3,0 auf dem Schein stand.
Da hat diesen Sommersemesterstudentinnen wohl eine Phase der Unentschlossenheit die Note gerettet, auch wenn die 3 sie vermutlich auch nicht glücklich machen wird.

[Merke: „Erzählsituation“ ist eine Kategorie der literaturwissenschaftlichen Analyse, eine Beschreibung der Befindlichkeiten der Erzählerfigur [er ist hungrig, er vermisst seine Mutter, draußen ist es dunkel] ist an dieser Stelle nicht gemeint!]

Und führe mich…

… nicht in Versuchung.

Meine beruflichen Pläne für den Rest des Jahres sind:
1. Diss schreiben
2. die Stelle in der großen Stadt bekommen (bittebittebitte)
3. bis dahin weiter mit meinen diversen Jobs über die Runden kommen
4. keine komischen Aufträge annehmen
5. – 10. Diss schreiben

Und jetzt bekomme ich aus meinem Zweitlieblings-Ausland die Anfrage, ob ich eine Ars-Poetica-Anthologie übersetzen möchte. Könnte. Würde.
Ich habe erst mal gefragt, was so die Rahmenbedingungen sind und übe jetzt vor dem Spiegel Nein zu sagen.
Kommt noch nicht so richtig überzeugend.

Beruf

Kaum 31 und schon die erste richtige Bewerbung abgeschickt. Nein, nicht die erste richtige Bewerbung, aber die erste Bewerbung für eine richtige Stelle, nicht nur für Praktika und Honorargeschichten und Jobs. So eine mit Vertrag und Geld, angeblich. Und Umzug in eine andere Stadt.
Es klappt zwar nicht, ist aber trotzdem aufregend. Sehr.

Point of no return


Unsere Mensa-Gruppe, die aus Lateinern, Altgriechen und mir besteht, war beim Latein-Professor (40, alleinstehend, keine Kinder) zum Grillen eingeladen. Ich hatte schon vermutet, dass er trotz seines Berufes wohl eher nicht klassizistisch, stilbewusst und kulturbeflissen eingerichtet wäre. In Ermangelung ausgeprägter anderer Interessen hatte ich auch kaum Schallplattensammlungen, Fußballposter oder sonstige gesichtgebende Details bei der Einrichtung des Reihenhauses erwartet. Höchstens vielleicht – selbstironisch – einen blinkenden Marienaltar, aber auch der fehlte. Der Eindruck des farblos Kleinbürgerlichen wäre nach dem Besuch des Bades auch mit viel Mühe nicht mehr zu relativieren gewesen, denn dort fand sich der geschmackliche point of no return: Er hatte tatsächlich Window-Colors-Bildchen unter dem Spiegel. Window-Colors.

… sagte WER? [Klugscheißen]

Percanta und Freundin E-M machen sich seit gut zwei Stunden schwere Gedanken über Gedichtinterpretationen, bei Äpfeln, Waffeln und Kaffee draußen auf der Bank.
Über die Lilien auf dem Felde und die Apfelblüte entbrennt dann eine kleine Urheberdiskussion, Lilien ist klar, Mat. 6.28, kennen wir auch aus „Geh aus mein Herz“ und das Gras können wir dank Brahms rezitieren. Aber die Äpfel:

Freundin E-M: Dann wäre interessant, ob er sich damit auf Martin Luther King bezieht, der ja gesagt hat „auch wenn die Welt morgen unterginge, so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen…“
Percanta: Das hat doch Martin Luther gesagt. Nur Luther, nicht Luther King.
Freundin E-M: Nein! Luther King, in seiner Rede…
[…]
Percanta: Martin Luther King hat nicht von Apfelbäumchen gesprochen. Der sagte „Ich bin ein Berliner.“
Freundin E-M: Deine Synapsen möcht ich mal haben
!

Nominiert

Heute Nachmittag wird der Preis der Leipziger Buchmesse 2007 vergeben.

Unter den Nominierten für Belletristik ist einer, der wahrscheinlich für die Süddeutsche der Anlass war, ihren ersten Artikel zum Thema mit „Der Mut der Jury“ zu überschreiben, denn ihm verpassen sie als einzigem unter den Belletristik-Anwärtern das Etikett „kaum bekannter Autor“. (Die fünf nominierten Übersetzer sortieren sie übrigens gar nicht vor, wie auch deren Bücher im Vorfeld der Buchmesse kaum rezensiert wurden, oder habe ich das überlesen?)
Wolfgang Schlüter ist dieser „kaum bekannte Autor“, und just er ist nun der einzige, von dem ich wirklich sagen kann, ich kenne ihn, und das heißt: Mehr als ein Buch von ihm gelesen, mehr als ein Genre, und mehr als einmal mit ihm gesprochen.
Wolfgang Schlüter ist Autor und Übersetzer und schreibt klug, umfassend gebildet und mit einer virtuosen Vielsprachigkeit in beiden Bereichen erstaunliche Dinge. Ein schönes Beispiel für seine Übersetzungen ist die dicke Anthologie englischer Lyrik My second self when I am gone.

Nominiert ist sein neuer Roman Anmut und Gnade. Dieses Buch liegt schon eine ganze Weile bei mir, ich wollte es hier rezensieren – und dann kamen lauter Pflichtlektüren und Pflichtschreibereien dazwischen, und ich bin nun, zweieinhalb Stunden vor der Preisvergabe, noch nicht durch.

Kritisiert haben inzwischen andere, und das – der Nominierung sei Dank – reichlich. Die Rezensionen sind aber nur partiell online verfügbar und werden darum hier nicht verlinkt; die Bandbreite reicht von großem Lob im aktuellen Spiegel bis zu einem üblen Verriss in der Süddeutschen am Dienstag.

Ich drücke ihm heute einfach die Daumen.