Ohrschellen

Die (neuen, grasgrünen, gutklingenden) Kopfhörer haben den Vorteil, dass sie – hinten in den Computer und oben in die Ohren gestöpselt und mich solcherart mit Bach oder Miss Li verbindend – mich daran hindern, mal kurz aufzustehen um dies oder das nachzugucken, wegzulegen oder aus dem Regal zu nehmen. Nicht mitten im Agnus Dei jedenfalls.
Der Nachteil: Sie haben keine Internet-Kindersicherung. Also bleibe ich geduldig sitzen und gucke halt Mails, bis das Agnus Dei um ist. Oder schreibe einen Limerick. Oder so.
(Noch 4 Monate. Mir ist schlecht. Die Bibliotheksaufsichten grüßen mich inzwischen alle.)

es könnte dessen alleiniger Eifer sein

Gleich noch mehr studentischer Zungenschlag, diesmal aus einer Übersetzungsübung bei einer Kollegin einer benachbarten Philologie.
Vorbemerkungen:
a) Die Aufgabe war es, einen fremdsprachigen Text ins Deutsche zu übertragen.
b) Der Student studiert die Sprache des Ausgangstextes.
c) Die Muttersprache des Studenten ist Deutsch.
d) Der Ausgangstext ergibt Sinn.
Hier das Ergebnis der schriftlichen Hausaufgabe:

„Folglich könnte der Weise einzig im Geld Anhäufen glänzen. Indes scheint es, dass es die Eigenschaft von diesem das Zusammenrechnen (zusammenzurechnen) ist, Geld Anhäufen und Rechnen, der geld-reiche Gewinn gehört zum Zusammenrechnen, es könnte dessen alleiniger Eifer sein, gleichwie jenem oder diesem, und nicht allein einfach, wie die anderen, den Gewinnen, sondern auch dass der andere Gewinn dieser genommen wird. Oder weißt du nicht, dass die einen der Zinsen gibt, diese früheren, die anderen, gleichwie den Nachkommen jener dieser?“

Du, Frau Percanta?

Mein netter und engagierter Erstsemesterstudent Ö., der das Verstehen eines Zusammenhangs zwischen zwei theoretischen Ansätzen schon mal mit einem beglückten „cool“ kommentierte, kommt nach dem Seminar kleinlaut zu mir:
„Frau Percanta, ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen, dass ich Sie immer duze. Das ist nur, weil Du so jung bist.“

Good morning, good mooooorning!

Morgens bin ich ein Wesen zwischen Mumie und Zombie, sicher ein Anblick schrecklich und gemein. (Verifizieren kann ich das erst nach dem Duschen, wenn ich die Augen lange genug aufhalten kann, und dann ist das Schlimmste ja schon überstanden).
Seit ein paar Tagen ist mein Doktorvater in Deutschland, gestern haben wir uns bei der Verteidung eines Kommilitonen gesehen und für Montag ist ein geplantes Treffen angesetzt, dann mit mitzubringendem Kapitel. Am Abend waren der frischgebackene Doktor, die Kollegen, Kommilitonen und seine/unsere Prüfer gemeinsam essen, sehr fröhlich, weinselig und nett. Allein die Anwesenheit meines Doktorvaters in der Stadt und dass gestern in etwa halbstündigen Intervallen irgendjemand meinen Abgabetermin erwähnte, katapultierte allerdings die Adrenalinmenge in meinem Blut in Bereiche jenseits aller zulässigen Höchstwerte.
Das Festessen endete gegen Mitternacht, ich war um halb 2 im Bett und um 5 wieder wach. Und ich meine WACH. Von 5 bis zwanzig nach 5 versuchte ich wieder einzuschlafen, die Augen blieben aber nicht lange genug zu. Neben mir schnorchelte Percanto und mein Kopf formulierte ganz alleine schon mal Kapitelsätze vor sich hin. Von meinem Schlafunvermögen ist eigentlich die Zeit zwischen 4 und 8 Uhr früh ausgenommen, aber heute morgen war ziemlich schnell klar, dass das nichts mehr würde. Also bin ich aufgestanden, war munter wie sonst frühestens um 10 und habe – nur um Eindruck zu schinden, natürlich – um halb 6 schon mal die Mail meines zukünftigen Zweitgutachters beantwortet. Dann Frühstück vorbereitet, Waschmaschine gefüllt (nein, nicht angeworfen, dann hätten die Nachbarn wieder so geweint), geduscht und einen Geburtstagskuchen für Freundin A. gebacken. Um kurz nach 7 wankte Percanto aus dem Schlafzimmer und versuchte mich wiederzuerkennen. „Was machst Du denn hier? Ich habe übrigens geträumt, dass irgendjemand immer sagt, ich soll aufhören zu schnarchen.“
Und einen halben Tag später die Kollegin in der Mensa: „Ich möchte auch was von Deinen Drogen haben, bitte.“
Dieser Wirkstoff stellt ein Risiko beim Autofahren, Bedienen von Maschinen oder festen Halt erfordernden Tätigkeiten dar. Wie das mit dem Formulieren aussieht, werden wir erst später wissen.
 

Verschiedene Erkenntnisse zu Geistis

Aus Anlass meiner Kündigung bei Brotjob 1 (ich habe ein Stipendium! Ich habe ein Stipendium!) hier ein altes Posting, was ich noch bearbeiten wollte und dann vergessen habe. Jetzt unbearbeitet und mit einem halben Jahr Patina.
* * *
Letzte Woche haben die Putzfrauen in der Bibliothek aus irgendeinem Grund mitten am Tag alle Glastüren geputzt. Ich saß mit dem Rücken zu einer Frau, die eine große Scheibe wienerte und sich wirklich sehr bibliotheksleise verhielt. Dennoch konnte ich mich nicht auf meinen Text konzentrieren, weil ich mich so unwohl gefühlt habe: Da zu sitzen und zu lesen, während sie dort arbeitet.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich darauf gekommen bin, dass das was ich da tue, auch Arbeit ist. Auch wenn ich keine Gummihandschuhe dabei trage.

Den Studenten im allgemeinen und uns Geisteswissenschaflern im besonderen wird gerne unterstellt, wir würden in den Tag hineinleben, bis Mittag schlafen und danach, wenn wir Literaturwissenschaftler sind, quasi zu unserem Vergnügen Romane lesen und das Studium nennen.
Nach einigen Erfahrungen im (Niedriglohn-)Arbeitsleben (vgl. dazu die Kampagne „Mileurista = Tausendeurist“) komme ich zum Schluss, dass das Zeitmanagement tatsächlich eines der Geisteswissenschaftler-Probleme ist, allerdings ganz anders, als das Klischee will.

In meinem Brotjob 1 sitzt neuerdings eine Azubine im Zimmer nebenan, sie lernt Sachbearbeiterin (vulgo Sekretärin, oder?) und soll für die nächsten Wochen in unserer Abteilung arbeiten und lernen. Ich bin deshalb gebeten worden, sie bei interessanten Fällen zu mir zu holen und bei Fragen ihrerseits zu helfen und zu erklären, ihre Arbeit aber nicht zu erledigen, außerdem solle ich gelegentlich Aufgaben abgeben. Die Azubine trägt kurioserweise den Namen eines sehr schlanken Baumes, nennen wir sie hier Frau Fichte; ihr Körper entspricht dem Bild aber gar nicht, sie ist, wie sagt man das pc, „gewichtsmäßig herausgefordert“ und bewegt sich betont langsam. Sie geht aber relativ regelmäßig aus dem Büro und dem Gebäude, und ich habe mich immer gefragt, wo sie hin will, bis mir gestern aufging, dass sie einfach Pause macht. Da wir anderen drei v.a. Beratung machen und eigentlich immerzu jemanden im Zimmer oder am Telefon haben, ist „Pause“ eine ganz neue Idee. Gut, sie soll Pausen machen!
Mein Morgen bei Job 1 sieht normalerweise so aus, dass ich Menschen berate, lange Gespräche in allen verfügbaren Sprachen oder notfalls mit Zeichensprache und Bildchen führe und versuche, sie einen Schritt weiter zu bringen auf dem Weg hin zu Kommunikation und Integration. Außerdem führe ich Papierkrieg mit verschiedenen Ämtern und Einrichtungen, beantworte Mails und Telefonate, schicke Briefe nach Tunesien, in den Gaza-Streifen oder Kamerun, und zwischendurch renn ich immer die Wendeltreppe in den 2. Stock hoch, um im Postraum Pässe und Anträge zu kopieren.
Alles ganz normal. Ich gehe zwar nicht erst, wenn ich mit allem fertig bin, aber doch auch nicht, bevor nicht alle Leute, die vor der Tür warten, einmal bei mir waren. Dienstschluss ist darum ein dehnbarer Begriff. Wie gesagt, alles ganz normal und kein Grund, sich zu beschweren.
Am Ende des gestrigen Tages mit Frau Fichte wurde mir plötzlich die grundsätzliche Differenz zwischen einem Geisteswissenschaftler üblicher Prägung und einem Azubi oder ehemaligen Azubi üblicher Prägung klar.
Ich hatte seit etwa 20 min Schluss und musste dringend zu Brotjob 2, hatte gerade noch einen Brief zugeklebt, der ebenfalls dringend weg musste. Natürlich könnte ich ein weiteres Mal die Wendeltreppe zum Postraum im 2. Stock hochlaufen und mache das üblicherweise auch mit der Post der Zimmernachbarn. Ich war aber wirklich in Eile und fragte, während ich packte, Frau Fichte, ob sie noch einmal hochgehen würde.
Frau Fichte: „Ja.“
Percanta: „Schön. Wären Sie so nett und würden den Brief hier mit in den Postraum nehmen?“
Frau Fichte [guckt mich lange an]: „In den Postraum? Naja… SO hoch wollte ich eigentlich nicht gehen. Nur in den ersten Stock.“
Percanta: „Ach, Frau Fichte, wenn Sie es dennoch irgendwie einrichten könnten, wäre ich Ihnen wirklich sehr verbunden.“
Sie hat dann nachgegeben.

Daraus abgleitete Erkenntnisse am Abend:
Geisteswissenschaftler lernen im Studium vor allem dies:
Dass es normal ist, zu frei definierbaren Zeiten zu arbeiten. Frei definierbar heißt vielleicht im Studium auch mal „irgendwann anfangen“, heißt aber insbesondere, keinen Endzeitpunkt zu haben. Um von Überstunden zu reden, müsste man ja erst mal die normale Arbeitszeit definieren, was üblicherweise wegfällt. Also ist mehr arbeiten ganz normal.
Dass man zwar lange studiert, aber dafür weder als Praktikant noch im Job Geld verlangen kann. Wir machen ja etwas, was Spaß macht, und andere Germanisten/ Romanisten/ Historiker gibt es wie Sand am Meer.
O-Ton eines Telefonats, in dem meine Dienste als Übersetzerin angefragt wurden: „Mein Chef hat gesagt, ich soll erst mal fragen, ob Sie es umsonst machen.“ Äh – nein?! Inzwischen nicht mehr. Es sei denn, ein Verlag haut mich übers Ohr.
Frau Fichte dagegen ist es glaube ich völlig klar, dass sie für das, was sie tut, auch Geld verlangen kann. Und wieviel.
Wir müssen das erst mühsam lernen.
Und aufhören und Nein sagen und nach Hause gehen auch.
* * *
So, jetzt lese ich weiter und nenne es „Arbeit“.

aus dem Tagesgeschehen

Wenn die geneigten Leser mir vielleicht noch für zwei Stunden die Daumen drücken mögen? Die Kommission berät und entscheidet in diesen Augenblicken über meinen „Plan B“.
Danke.

(And now to something completely different: Schnee, auch hier.)

Edit 19:13 Uhr:
„Antrag in vollem Umfang gebilligt.“
Das heißt: Stipendium! Und das heißt: Sekt!
Und zwar für Euch, Danke allen Glück-Wünschern!