Spätpädagogik

Wenn 25 Erwachsene abends auf Zwergenstühlen um eine oval angeordnete Tischgruppe herumsitzen, jeder buntes Papier, Kleber und Stifte vor sich hat und in der Tischmitte ein wenig MINI-Haribo und Salzstangen stehen, dann ist möglicherweise Elternabend im Kindergarten. Elternabend im Kindergarten heißt, dass man interaktive Kennenlernspiele macht, für die jeder zunächst ein wenig bastelt, zum Beispiel zerschnittene Portraitfotos der Kinder zusammenpuzzelt, auf Tonkarton klebt und dann die Mama des Kleinen sucht, die dann etwas über das Kind erzählt. Vorstellungsrunde in lang also, nächstes Jahr machen wir das vielleicht mit von den Kindern geschnipselten und von ihnen zuvor gezeichneten Selbstportraits, die wir dann dem richtigen Elternpaar zuordnen müssen; das dürfte ein vielversprechender Auftakt für den längsten Elternabend aller Zeiten bieten. IMG_7780Elternabend im Kindergarten heißt nämlich auch, dass es keine Tagesordnung gibt, dafür aber ein pädagogisches Konzept und Methodenwechsel. Jedes Thema wird anders eingeführt, es gibt Lernstationen außerhalb des Stuhlkreises, und anstatt uns einfach zu informieren, erleben wir die Information mit allen Sinnen. Um ein Projekt für ein paar der Vorschulkinder auch nacherlebbar zu machen, bekommen wir zum Beispiel zunächst alle Kopien aus einem japanischen Bastelbuch, die wir uns eine Weile anschauen dürfen. So fremd ist der Erstkontakt zu diesem Thema auch für die Kinder! Denkt mal drüber nach.
Und so geht es den ganzen Abend. Zwischendurch brennt eine Lampe durch, weshalb wir sicherheitshalber die eine Lampenreihe ausschalten und nach etwa einer Stunde im Halbdunkel sitzen. Auch im Halbdunkel werden wir aber bei jedem Thema irgendwie emotional abgeholt. Die Stapel mit vorbereiteten Notizen der Erzieherinnen sind beängstigend dick, und sie arbeiten ihn durch, vollständig. Nur die von einer Mutter geleiteten Wahlen der Elternvertreter handeln wir in etwa 40 Sekunden ab. Ansonsten ist alles ausgesprochen wichtig, Notizen zu den Terminen brauchen wir uns aber nicht zu machen, Termine gibt es in den nächsten Tagen schriftlich. Elternabend im Kindergarten heißt auch, dass es für jede Altersgruppe gesonderte Berichte gibt, wie haben sich die Kleinen eingelebt, wie viele Vorschulkinder gibt es, wie verhalten sich die Mittleren, einzelne haben Schwierigkeiten, sich zu öffnen, Namen werden aber nicht genannt. Insgesamt ist alles wunderbar, was auch der Einschätzung der Eltern vor diesem Abend entsprach. Zwischendurch wird – natürlich nicht ohne kurze Einführung – ein kleiner Film von einem Kindergartentag gezeigt, laienhaft gedreht, Entschuldigung, danach Gelegenheit zu Fragen. Als keine kommen, erläutern die Erzieherinnen von sich aus einzelne Elemente aus dem Film, Gott sei Dank fällt dann doch noch einer Mutter einer Frage ein. Die anderen checken nur halb heimlich in ihren Handys, ob der Mann zu Hause wohl noch wach ist oder ob die Kontodeckung noch für eine weitere Stunde Babysitter reicht.
Elternabend im Kindergarten heißt auch, dass nach zweieinhalb Stunden alle matt den Kopf schütteln. Keine weiteren Fragen, nicht zur Sportkleidung, nicht zum Zirkusprojekt, nicht zum Spielzeugtag, der Flötengruppe, keine Fragen zum Backen, zum Erntedankfest und der Weihnachtsfeier, zum Vorschulprogramm und dem Zahnarztbesuch nicht, auch zu Steckperlen und sogar zu Datenschutz möchte niemand mehr etwas wissen. Alles weitere wird aber auch beim nächsten Elternabend nochmal besprochen.
Am Ende meldet sich eine Mutter und fragt, ob sie jetzt nach Hause gehen darf.

Zahlenkram

Das Kind ist im Zahlenraum über zehn zwar noch nicht ganz souverän zu Hause, also bei allem über elfzehn und zwölfzehn, kann das Alter von Erwachsenen auch nicht immer richtig einschätzen – ich bin wohl 37, die etwas jüngere Freundin 98 (dohooooch!) und Opa 28 -, er findet große Zahlen wie Hundertmillionenfünf aber ganz spannend und rechnet neuerdings auch gerne. Da er sich auch gerne darüber mitteilt, hat er also letztens einem Kindergartenvater vorgerechnet:

„Weißt du was? Ich kann rechnen! Pass auf:
2 und 2 ist 4.
Und 4 und 4 ist 8.
Und 3 und 3 und 3 ist 9.“

„Ja“, sagte der Kindergartenvater, „und weißt du was? Das sind alles Quadratzahlen!“

Ich stand daneben und überlegte kurz, ob ich jetzt mit klugscheißendem Korrigieren und gezieltem Unbeliebtmachen anfange oder mir das für die Schulzeit aufhebe.
(Für Abwarten entschieden.)