Wo

Seine liebste und ständige, hunderttausendfach gestellte Frage ist: „Wo?“
Und meine auch, denn er versteckt Dinge bzw., wie er sagt, er räumt auf. Seit etwa einer Woche suche ich seinen Sonnenhut, erfolglos. (Sachdienliche Hinweise oder wilde Vermutungen werden gerne entgegengenommen.) Durch Zufallsfunde der letzten Tage sind dagegen wieder aufgetaucht:

Die Holzeisenbahn in der geschwungenen Rücklehne des Korbsessels.
Die Memory-Karten zwischen den CDs.
Ein kompletter Satz Würfel in meinen Schuhen.
Das Polizeiauto in der Werkzeugkiste.
Beide Bälle im Flurschränkchen.
Omas Brille ganz hinten beim Nähgarn.
Mein Durchschlag in seiner Küche.
Die Container aus dem Containerschiff im Bücherregal.
Seine Malsachen, der Memorykoffer und die Playmomännchen in meinem Schreibtisch.
Das kleine gelbe Auto in der Waschmaschine.

Zweijährige, die aufräumen, sind eine großartige Vorbereitung auf Alzheimer.

Sommersprossen

Nach einem Wochenende in der Jugendherberge hatte ich das dringende Bedürfnis, Brot aller Arten aus meinem Speiseplan zu streichen. Es wurde ersetzt durch Obst und Joghurt am Morgen, mittags gab es Salat in der Mensa. Das Salatbuffet ist appetitlich, vielfältig und lecker, die Umstellung war kein Verzicht, sondern Genuss, und nach knapp zwei Wochen im Kaninchenmodus fühlte ich mich deutlich besser als vorher. Dann kam Ehec, und die Mensa – wir wohnen immerhin in einem der Bundesländer des Bösen – strich Tag für Tag mehr aus dem Salatangebot. Erst gab es keine spanischen und deutschen Gurken und Tomaten mehr, dann unabhängig von der Herkunft gar keine Blattsalate, Tomaten und Gurken mehr, dann überhaupt nichts, was man nicht vernünftig schälen kann oder was nicht aus der Erde oder aus Dosen kommt. (Wieso man Gurken nicht einfach schält, habe ich mich von Anfang an gefragt, aber gut.) Statt Grünzeug gab es Farbiges, Möhren, Bohnen, Mais waren die neuen Basics, ergänzt um neue Schmankerl, die sonst nicht Teil des Mensaangebots sind, wie jede Menge Sämereien und Sprossen. Über die habe ich mich gefreut und meine Salatteller entsprechend bestückt. Viel Möhren, viele Keimlinge, viele Sprossen.
Die neuesten Entwicklungen entbehren nicht einer gewissen Komik.

Juni

Wenn die meisten Freunde Wissenschaftler oder Freiberufler sind, scheitern abendliche Verabredungen nicht mehr daran, dass jemand schon „was vor“ hat, sonderndass alle „noch arbeiten“ müssen. Gestern, kinderfreier Samstagabend, haben wir es trotzdem geschafft. Vier müde erwachsene Leute um einen Tisch, nur eine kam kam gut eine Stunde später nach, „bist Du fertig geworden?“, „Nein, aber mein heutiges Pensum geschafft.“ Eine Weile geht es noch um die aktuellen Aufgaben, wir hängen gedanklich noch am Schreibtisch, an der Deadline oder am beängstigenden Berg des Großprojekts, dann entspannen wir langsam. Ein Sommerabend draußen, sollte man viel öfter haben, morgen soll es gewittern, hoffentlich ist der Sommer dann nicht schon vorbei. Pizza ohne Rucola, aber die Tomaten auf den Crostini essen wir mit, lebe wild und gefährlich. Was kann man eigentlich noch essen? Erdbeeren kann man nicht schälen, aber essen muss man sie, ohne Erdbeeren geht es nicht, da sind wir uns einig. Rhabarber, sagt einer, oh, Rhabarberkuchen, ja, „gibt es schon Rhabarber?“, fragt er, „die Rhabarberzeit ist um“, sagt sie, und wir gucken alle einen Moment ins Leere, betreten, keiner von uns hat dieses Jahr Rhabarber gegessen, vorbei, verpasst.