1986, es war Frühling, es wurde Sommer, und alles war über und über mit Löwenzahn bedeckt. Und wir durften ihn nicht pflücken, durften nicht im Sand spielen, bei Regen nicht raus und später im Jahr nicht in die Brombeeren.
Viel später erzählt mir eine Grundschullehrerin, ich hätte den 27. April (oder das, was in der Erinnerung der 27. April ist, es war der Tag nach Bekanntwerden der Katastrophe, es muss also etwas später gewesen sein) im Klassenschrank verbringen wollen, hätte darin zusammengekauert gesessen und nicht rauskommen mögen, weil draußen alles kaputt geht. Daran erinnere ich mich nicht. Aber an den Löwenzahn, den Sand, die Beeren, den Regen.
Und an die Angst, Begleiter meines kindlichen Ich über Jahre.
Und später dann immer wieder der Gedanke an die Eltern: Auf welche Art geht man eigentlich als Eltern kaputt, wenn die Kinder keinen Löwenzahn mehr pflücken dürfen, weil sonst, und wenn sie sich lieber im Klassenschrank verstecken wollen, weil sonst. Welche multiplizierte Angst setzt sich den Eltern nachts auf die Brust, und wer lässt ihnen das Licht an am Bett und sagt ihnen, Du brauchst keine Angst zu haben, wir sind noch auf, Du hörst uns im Wohnzimmer.
Und dann hat man ein Kind und ist Eltern und dann ist es der 11. März, oder der 12., es ist immer der Tag danach. Es ist das gleiche Gift, was dort strömt. Es ist die gleiche Angst. Bis sie den ganzen Weg über den Pazifik geweht wurde, hat sich auch die Angst abgeschwächt. Aber sie war die ganze Zeit da. Und sie hat neue Bilder.
Dieses Jahr wird er wohl im Sand spielen dürfen, hier, dieses Jahr darf er wohl in Pfützen springen, hier, und die verbotenen Löwenzahne blühen weit weg. Dieses Jahr.