Halbes Schwein

Man merkt es Ju und Ja an, dass sie viel vorgelesen bekommen, viele Bücher angucken und dass ihre Eltern viel mit ihnen reden. Ihren Peter und der Wolf haben sie gut im Kopf, und auch die neuste Lektüre hinterlässt sichtbare Spuren, so zuletzt das wunderbare Bilderbuch Komm, Emil, wir gehn heim von Hans Traxler.
Beim Abendessen klärte mich Ju (3) auf: „Hühnchen kommt vom Huhn, die Wurst kommt vom Schwein und Fleisch kommt auch vom Schwein.“ Er dachte kurz nach. „Mami, essen wir auch Kühe?“ Seine Mutter erklärte, dass ja, dass Menschen Tiere und so auch Kühe essen, Steak zum Beispiel käme von der Kuh, das sei Rindfleisch.
Ju nickte und wendete sich wieder an mich, „Steak kommt von der Kuh“, informierte er mich. „Wir essen nämlich Tiere. Aber wenn wir ein Schwein essen, dann schneiden wir das vorher durch.“ Er dachte noch einmal nach. „Sonst quiekt das nämlich im Bauch.“

Von der Symbolik des Raums

Bei der Arbeit wird, wie berichtet, gebaut. Ein glänzendes neues Zentrum für kleinere Geisteswissenschaften soll entstehen, in der Mitte zwischen den alten Gebäuden, hell, luftig, mit Bibliothek und Seminarräumen, mit Medienausstattung und Büros und an die alten Gemäuer angeschlossen. Für die Anschlusstelle wurde zunächst ein Teil unseres Gebäudes abgerissen und – zum Glück noch vorher – ein Teil der Mitarbeiter mitsamt ihrer Büros in andere Gegenden der Stadt ausgelagert.
Nun sollen die Kollegen ihre provisorischen Büros dort drüben wieder aufgeben, ein Teil soll in die alten, abgerissenen Trakte zurückkehren, ein anderer Teil die für uns bestimmten Räume im funkelnagelneuen Zentrum beziehen.

Das ist in vielerlei Hinsicht toll. Nicht zuletzt gibt es uns Geisteswissenschaftlern Gelegenheit nachzudenken, und dafür sind wir ja da. Nachdenken über den „spatial turn“, über Lotmans Raumtheorie, über Bourdieus Überlegungen zum symbolischen Raum. Wir können uns noch einmal die Annahme vergegenwärtigen, dass Raum nie einfach gegeben ist, sondern produziert wird. Räume sind kulturell konstituiert und symbolisch aufgeladen. Natürlich spricht der König vom Balkon aus zu den Unter-Gebenen, wer eine Grenze übertritt, verlässt einen Raum und wird ein anderer, von der Beletage aus kann man bequem auf den Pöbel hinabblicken und die Büros im Hauptflur strahlen Prestige aus, Hauptflur, Hauptperson, während wir unter dem Dach, die wir in den alten Schwesternzimmern hausen, den Habitus von Dienstboten nicht recht ablegen können. Über all dies sollte man wirklich dringend öfter nachdenken, und unser weiser Arbeitgeber gibts uns Gelegenheit dazu. Dafür sind wir zu Dank verpflichtet.
Die ausgelagerten Kollegen haben also umgehend ihre Ersatzbüros aufzugeben, sie sollen zum 1. März das neue Zentrum beziehen.
Vielleicht möchten Sie sich ein Bild vom Zentru
m machen (die Fotos sind von heute Nachmittag, 1. Februar), dieses neue Herzstück unseres Arbeitsplatzes befindet sich genau hier:



Es ist immer schön, wenn man sich darauf verlassen kann, dass in so einem großen Betrieb alle Handlungen und Anweisungen miteinander koordiniert sind, dass die eine Hand stets weiß, was die andere tut.
Und in puncto symbolischer Raum unterstreichen die neu geschaffenen Büros natürlich aufs Vortrefflichste die Bedeutung, die den Geisteswissenschaften in der Gesellschaft zugemessen wird.