Erzieherische Maßnahme

Unser Briefträger erzieht uns. Oder er versucht es, und mit jedem seiner Versuche werde ich grantiger und unwilliger, und das zeigt vielleicht, wie schwierig Erziehung ist. („Erziehung ist Beispiel und Liebe, sonst nichts“, steht am Kühlschrank meiner Mutter.) Wir wohnen nun in der neuen Wohnung. Auf Bitte der sehr netten Tochter unserer verstorbenen Vermieterin belassen wir den Namen der Vormieterin und ehemaligen Besitzerin einstweilen an Tür und Briefkasten, wir warten noch auf ihren Nachlass, der mit einem uns unbekannten Unternehmen aus dem Ausland geschickt wird und darum wahrscheinlich nicht vom Nachsendeauftrag bei der Deutschen Post erfasst wird.
Ein solches Handeln scheint von den dort angestellten Beamten nicht im Dienstablauf vorgesehen zu sein.

Schon bevor wir dort wohnten, hatte uns jemand, heute wissen wir: der Briefträger, das Namensschild der Vormieterin abgebaut und in den Briefkasten geworfen. Auf dem ersten Brief, der ebenfalls vor unserem Einzug ankam, stand handschriftlich vermerkt: „Bitte Briefkasten beschriften!“ Taten wir, ist ja in unserem Interesse. Also klebten dann provisorisch auf einem Zettelchen drei Namen am Briefkasten: „Percanto“, „Percanta“ und „Frau Vormieterin“. Einen Tag später war der Name der Vormieterin mit Kugelschreiber durchgestrichen, aber noch lesbar. Zwei weitere Tage später habe ich alle Schilder ordentlich gemacht, die ganze Klingelanlage wirkt so säuberlich, also unsere Namen („Percanto / Percanta“) getippt und in die dafür vorgesehenen Fächerlein geschoben. „Frau Vormieterin“ schrieb ich auf einen gesonderten Zettel und klebte den daneben. Mit zwei Stück Tesafilm, sicherheitshalber.
Diese Renitenz scheint unseren Briefträger nun richtig wütend zu machen: Heute morgen war „Frau Vormieterin“ mit einer ganzen Krickelkrakelwolke aus blauem Kugelschreiber durchgestrichen, übergemalt, unsichtbar gemacht.

Ich werde unserem Briefträger wohl mal einen Brief schreiben müssen.

Kisten, Kruscht und frische Farbe

Wir sind umgezogen, wir haben tatsächlich alles in die neue Wohnung geschafft und um die Kistentürme auch noch einen schmalen Gang zum Drumherumlaufen. Ein paar Fenster sieht man auch schon hinter den Bücherstapeln. Eigentlich hatten wir größere Mengen Sperrmüll und normalen Müll und Altkleider und Papier und Atommüll aussortiert, aber es ist immer noch unfassbar viel, was wir über die Jahre so angesammelt haben.
Noch nicht aufgetaucht ist bisher außer unseren beiden Lieblingstassen der Telefonanschluss – und damit natürlich kein Internet, darum auch nur Notbloggen aus der Uni. Da bin ich auch gerade umgezogen, und die Unifarbe riecht viel stärker als unsere im neuen Zuhause, dafür habe ich hier weniger Kartons. Was nicht zuletzt auf meinen lieben Kollegen und Büronachbarn zurückzuführen ist, der meine Dinge vorsortiert hat: die Guten in sein Töpfchen und die Schlechten auf den Flur. Aber ich hatte mich ja gerade beschwert, dass ich zu viel Kruscht habe. Reduzieren lassen durch Diebstahl, Vandalismus und Umzugsschäden, das ist das neue Zauberwort.
Bald wieder mehr, zum Beispiel zur Frage: Wie viele Teekannen braucht ein Friese?

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Stau


Ferienende, Semesterbeginn, Schwangerschaftshalbzeit, letzte Woche im alten Zuhause. Es staut sich ein bisschen, alles.
Überhaupt ist die letzten Wochen sehr viel passiert, zu viel und zu fordernd zum bloggen (anscheinend), klauende Kollegen und zickende Nachmieter, lauter Dinge, die man nicht dringend braucht, aber immerhin komme ich inzwischen wieder dazu, Belangloses zu schreiben, ein Anfang. Belanghaftes dann vielleicht auch wieder. Dann.

Heute habe ich 13 Kisten gepackt, einen Müllsack gefüllt und eine Alpapierkiste, Percanto hat zwei Kisten gepackt, die aber bestimmt ordentlicher als ich meine. Heute waren die Treppenhausmaler da und haben die Tür lackiert und mir Farbe verkauft, und der Möbeltransporterverleiher war da und hat die Größe des benötigten Wagens geschätzt und in den Kleiderschrank geguckt, zum Glück auf Percantos Seite, die ist ordentlicher. Nicht da war die Post, und die Zeitung auch schon wieder nicht. Nachsendeauftrag läuft aber erst ab nächster Woche, also kann ich unter „E abmelden“ und „Krankenkasse“ und „Techem“ auch „mal wieder bei der Zeitung anrufen“ schreiben.
Dann bin ich mit dem Rad, wo schon wieder die Gangschaltung kaputt ist (bevor ich die Sachen unauffindbar einpacke, sollte ich die Quittung der letzten Gangschaltung raussuchen), durch einen strahlend goldenen Vormittag gefahren und habe mich darauf gefreut, gleich das zappelnde Wesen in meinem Bauch zu sehen. Bei meiner Ärztin habe ich das Baby vermessen lassen, seine Händchen, Füße und seinen Bizeps bewundert und seine Zunge gesehen. Nieren hat es auch, und Rippen und Wirbel und ein gleichmäßig mit 150 Schlägen pulsierendes Herz. Großes Glück. Ganz großes Glück.
Heute hat sie nicht mehr wegen der geringen Gewichtszunahme geschimpft, und einen Bauch habe ich jetzt ja endlich, sie jedenfalls fand das auch.
Als ich kurz in der Uni war, waren dort neue Sachen ins Büro geschwemmt worden, Einlegeböden für Karteikästen und ein Simpsons-Radiergummi, aber noch immer nicht alles, was mir gehört. Ich habe noch schnell die Chefin vom Ganzen überfallen und sie um eine Einschätzung der Situation gebeten, schwierig, eigentlich gehörte der liebe Kollege in die Psychiatrie. Wir schlafen nochmal drüber. Im Gegenzug hat sie mich überfallen und gefragt, ob ich nicht ab Mittwoch auch die Einführung in spanische Linguistik übernehmen will. Ob sie vielleicht auch für französische Landeskunde jemanden braucht?, fragte ich, oder portugiesische Didaktik?, schon, aber Linguistik hätte ich doch wirklich studiert, und zwar – das war der Bezirz-Teil, klar – ausgezeichnet, sonst würde sie mich ja nicht fragen. Schwupp hatte ich zwei Einführungen im Arm und auch dafür bis morgen Zeit, mir das zu überlegen.
Jetzt habe ich Milchreis gekocht mit dem letzten Topf, den ganzen alten Kakao weggeworfen und weiter gepackt und sortiert und die Nachbarn gefragt, ob sie mit der Entscheidung weiter gekommen sind, ob sie unsere Küchenmöbel wollen (sind sie nicht), und Beate hinterhertelefoniert, ob sie ihren Herd zurückwollen, aber Beate ist nicht da.
Und da es jetzt streng auf Mitternacht zugeht, sollte ich vielleicht mal anfangen, mir zu überlegen, was genau ich 14 Wochen lang mit zwei verschiedenen Seminargruppen unternehmen will. Und was ich morgen Nachmittag den kleinen Erstsemestern repektive den Senioren am Vormittag dazu erzähle. Und das Buch lesen, was wir zuerst behandeln. Und mich mit der neuen Literaturwissenschaftseinführung vertraut machen.
Und mir, bevor ich dann abends zum Streichen in die neue Wohnung fahre, vielleicht besser aus dem Kopf schlagen, auch noch ein Fach zu unterrichten, mit dem ich mich seit 5 Jahren nicht befasst habe. Oder?

Ein gemütlicher Abend zwischen 50 Umzugskartons


Genauer: 48 Umzugskartons, leer, und 2 Umzugskartons, gepackt.

Für die Kartons ist es der dritte Umzug, deshalb muss ich aufschriftenkompatibel packen. Angefangen habe ich mit „Glas“ (haben wir), „ZERBRECHLICH!“, haben wir auch, und „Glas, Eckvitrine“, haben wir nicht.
Zwei Kartons sind allerdings nicht viel für einen Abend, und ich werde mir morgen einen Stapel identischer Anzeigenblättchen organisieren. Denn Geschirr einpacken geht vermutlich schneller, wenn man dafür nicht die gestrige ZEIT und die heutige FAZ von Freunden verwendet.
(Hat jemand das Sudoku im ZEIT-Magazin gelöst?)
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FÜR IHRE VERGANGENHEIT AUFWANDSMELDUNG!

Ich verstehe ja nichts von Geld und Aktien und Lehman und Krediten, aber hey, das Angebot hier klingt doch seriös und vertrauenswürdig. Auch im Lichte der unten genannten. Mein Mailprogramm meinte auch, es sei von einem „Freund und Bekannten“. Da mach ich glaub ich mal was. Schließlich wurde everything perfekt gemacht.

Lieber Freund,

Es ist mir eine große Freude, erreichen Sie nach unserem erfolglosen Versuch auf unser Geschäft Transaktion. Nun, ich möchte nur mit diesem Medium zu danken Ihnen sehr für Ihre frühere Hilfe, um mich in der die Mittel erhält.

Ich bin verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, dass ich es gelungen, in der die Mittel erhält mit Hilfe eines neuen Partners aus Südamerika Mr.Alfredo Gomez
Castillo.Everything wurde perfekt gemacht, weil wir einen Deal mit einem der Lady Accountant, der arbeitet, mit dem Bundesministerium der Finanzierung (FMF), und sie erzeugte eine enorme Hilfe zu us.My neuen Partner initiiert diese Idee und alles erarbeitet erfolgreich.

In Anerkennung Ihrer früheren Hilfe für mich in der die Mittel erhält, habe ich beschlossen, kompensieren Sie mit der Summe von 800.000,00 (USD) in einer Kasse des Entwurfs.

Dies ist aus meiner eigenen Aktien. Ich habe diese einfach zu zeigen, Dankes an Sie für Ihre freundliche Unterstützung und Hilfe, auch wenn wir keinen Erfolg haben könnte wegen bis zu einem gewissen unvorhersehbaren Umständen. Zur Zeit bin ich in Paraguay für Investitionen mit eigenen Aktien im Rahmen der Beratung von meinem Partner.

Im Lichte der oben genannten, Sie sind daher zur Kontaktaufnahme mit meiner persönlichen Sekretär in Cotonou Benin Republik Sein Name ist Bob Rev Chidi, und senden Sie ihm Ihre Kontaktadresse, wo Sie wollen, dass der Entwurf zusenden zu lassen. Unten ist die
Kontakt Informationen von meiner Sekretärin:

1. Vollständigen Namen :…………………
2. ADRESSE :……………………………
3. SEX :……………………………….
4. AGE :……………………………….
5. BERUF :…………………………
6. E-MAIL-ADRESSE :……………………..
7. TELEFON :……………………
8. MOBILTELEFON :……………………….
9. STATE :……………………………..
10. LAND …………………………….

Rev Bob Chidi E-Mail: ( revbobchidi@gmail.com ) CALL +229 971 35 690.

So fühlen sich frei, nehmen Sie Kontakt mit ihm, um den Entwurf für Sie ohne Verzögerung ok.

Meine besten Grüßen,

Frau Jane Williams.

Kinder, unsortiert

Percanto zeigte den Kindern im Kindergarten – seine Gruppe trägt den schönen Namen „Baustelle“ – mit einem Beamer Fotos von einem gemeinsamen Ausflug. Da man alles didaktisch einführen und keine Gelegenheit zum Welterklären auslassen sollte, gab er die Frage nach dem Unterschied zwischen „Beamer“ und „Kino“ an die Gruppe weiter.
Gemeinsames Grübeln, kurz, dann meldete sich ein Junge: „Im Kino gibt es Popcorn.“

* * *

Am Wochenende war das Familientreffen der gesamten Sippe mit mehr als einem Dutzend Kinder unter 1,50m. Viele der Mädchen trugen modegerecht Röckchen und Stiefel, so auch Sophie, 6, ein sehr schickes Paar brauner Wildlederstiefel. Sie putzte sie mit Hingabe an der Schuhputzmaschine im Keller des Hotels und nötigte Percanto, dort auch seine alten Turnschuhe zu putzen, „aber zuerst eincremen.“
Percanto lobte ihre Stiefel, die seien wirklich besonders schön, geputzt oder ungeputzt.
Sophie beugte sich zu ihm und senkte die Stimme: „Ja, und teuer, der Papi hat auch sehr geschimpft.“

* * *

Beim gleichen Familientreffen, im gleichen Keller, Toilettentrakt. Aus der Herrentoilette kam lautes Kinderweinen, ich näherte mich, hörte keine weiteren Stimmen, sah dafür aber Blut an Tür und Klinke. Ich klopfte kurz und rief „hallo“, es hätte ja auch sein können, dass da außer dem Kind auch der Vater war und eventuell andere Männer. Das Weinen verstummte augenblicklich und ein kleiner, nicht zur Familie gehörender Junge im Anzug, der so gerade an die Klinke kam, öffnete mir. Das Gesichtchen verweint und die Lippe blutig, „ich bin hingefallen“, schluchzte er. Ich nahm ihn in den Arm, tröstete ein wenig und sagte, „komm, wir gehen hoch und suchen Deine Eltern, ja? Zu wem gehörst Du denn?“ – „Zu meiner Mami…“

* * *

Wunderbare Blättergeschichte mit dem Gregorzwilling im Hotel Mama.

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Die Taufe meines zweiten Patenkindes fand im Rahmen eines zunehmend langen und weiligen und unfestlichen „Kinder- und Familiengottesdienstes“ statt. Der Mutter, die eine klassische Sängerin für eine Bach-Arie engagiert hat, war das Unbehangen deutlich anzumerken, tapfer sangen wir uns durch alle Strophen „Danke“ (für diesen schönen Morgen), klatschten auch beim „Spatzenchor“ und seinem „Oh Masala, die Welt ist rund“ mit und klimperten auf Kommando mit den Schlüsselbunden, wurden bei einem Predigtersatz mit zwei Handpuppen, die nicht auf den Punkt kamen, ähnlich unruhig wie die vielen Kinder, und verloren jedes Verständnis, als lange nach dem toten Punkt aus den früh von den Kindergartenkindern nach vorne gebrachten Früchten noch ein „Mandala“ gebastelt werden, dieses mit bunten Seidentüchern verziert und dann von den Kindern unter vielfachem Absingen von „Vom Aufgang der Sonne“ umtanzt werden sollte. Auch bei den beteiligten Kindern waren deutliche Müdigkeitserscheinungen erkennbar. Als einer der wachen Jungen das von den Handpuppen zurückgelassene Mikrophon enterte und in den Schlusssegen (es nahte dann doch ein Ende) mit kippender Stimme ein fröhliches „Hallo hallo!“ rief, sprang eine Furie aus der Bank, riss ihn herunter und drückte ihn mit ihrem Gewicht auf den Boden. Es war wohl seine Mutter. Der Rest der Gemeinde hielt entsetzt den Atem an; Kind und Mikrophon haben den Angriff überlebt.
Ach ja, irgendwann zwischen „Masala“ und „Mandala“ wurden in einem schnellen und überaus unfeierlichen Aufwasch drei Kinder getauft, das war ja der eigentliche Anlass für den Festgottesdienst. Mein Patenkind war neben der etwas penetranten, klatschenden und tanzenden Kindergärtnerin als einziger der ganzen Gemeinde bester Stimmung, zeigte mit fröhlichem „da!“ auf das Wasser im Taufbecken und hat sich mit seinen neun Monaten überhaupt prächtig amüsiert. Sein Bruder dagegen, zweieinhalb Jahre, machte seinen Eltern kurz vor Ende des vermeintlichen Kindergottesdienstes einen konstruktiven Vorschlag: „Papi, unser nächstes Baby taufen wir einfach zu Hause, ja?“