Wohnen, Update

„Kann man denn da wohnen?“
Ja. Heute Nacht habe ich allerdings um 5 Uhr die Wohnungstür von innen abgeschlossen und habe nicht vor, das zu ändern.
Percanto kam um diese Zeit vom Tango aus der Landeshauptstadt nach Hause und stand halb bedröppelt, halb wütend in der Schlafzimmertür: Fahrrad geklaut. Aus dem Keller heraus. Als er kam, stand die Haustür sperrangelweit offen und er schaute sicherheitshalber in den Keller; wir hatten nämlich schon einmal Übernachtungsbesuch dort unten, der uns auch noch hübsch alles vollgekotzt hatte. Penner fand er heute Nacht nicht, sein Fahrrad allerdings auch nicht.
So ein Mist. Erstens war es ein gutes Rad, zweitens überhaupt, und drittens ist es ein großartiges Gefühl, dass nachts einfach jemand in Dein Haus spaziert.



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Wohnen

Gestern Abend hat eine Mitsängerin den halben Chor bekocht, Anlässe gab es diverse, einer war ihre neue Wohnung. Wir saßen auf Umzugskisten oder selbst mitgebrachten Hockern, aßen mit schwerem Silberbesteck weihnachtlichen Hasen mit hausgemachten Semmelknödeln und waren von Essen und Wohnung sehr beeindruckt. Drei Zimmer in einer Fachwerk-Altbauwohnung, anders als unsere eigene Fachwerk-Altbauwohnung aber ohne Laminat und Papp-Zwischenwände mit hässlichen 80er-Jahre-Türen in Normhöhe (bei 3,50m-Decken), sondern komplett mit Dielenböden und den ursprünglichen, oben halbrunden Türen samt angeschliffenen Glasscheiben – wunderschön.
Gestrichen waren die Wände in einem erstaunlichen Mintgrün (Schlafzimmer), Zartgelb (Arbeitszimmer) und abgetöntem Blau (Wohnzimmer), Wohnzimmerdecke in einem noch dunkleren Blau, Tendenz Flieder, alle Absätze, Türen, Rahmen weiß. Dazu alte oder extrem moderne Möbel, im blauen Salon standen außer den unausgepackten Kisten nur ein Sekretär, ein Flügel und ein knallgrünes Sofa.
Die Mitsängerin erklärte uns die doch überraschenden Farben der Wände: Keine Ikea-Inspiration, kein Feng-Shui: Sie ist Historikerin und hat sorgfältig genau die Farbtöne ausgewählt, die üblich waren, als das Haus im 18. Jahrhundert gebaut wurde. Stimmt – diese Farben kannte ich aus Goethes und Schillers Wohnhäusern in Weimar. Eine Konsequenz, die ich mitsamt den Brüchen (Sofa) sehr schön finde.

(Und die eigene Wohnung erscheint umgehend schrabbelig und lieblos – im Vergleich zum Eingangsbereich des Hauses, der in einem Durchgang zu den Hinterhöfen liegt und darum Pennern Nachtquartier und Sprayern Platz für Graffiti bietet, ist allerdings auch sie fast „Schöner Wohnen“. Als ich heute Vormittag das Haus verließ, kam eine Kleinfamilie vorbei, das Kind schaute mich und unsere Haustür an, fragte im Weitergehen die Eltern: „Kann man denn da drin wohnen?“ Man kann. Trotzdem der heiße Wunsch nach weißen Flügeltüren.)

Verschiedene Erkenntnisse zu Geistis

Aus Anlass meiner Kündigung bei Brotjob 1 (ich habe ein Stipendium! Ich habe ein Stipendium!) hier ein altes Posting, was ich noch bearbeiten wollte und dann vergessen habe. Jetzt unbearbeitet und mit einem halben Jahr Patina.
* * *
Letzte Woche haben die Putzfrauen in der Bibliothek aus irgendeinem Grund mitten am Tag alle Glastüren geputzt. Ich saß mit dem Rücken zu einer Frau, die eine große Scheibe wienerte und sich wirklich sehr bibliotheksleise verhielt. Dennoch konnte ich mich nicht auf meinen Text konzentrieren, weil ich mich so unwohl gefühlt habe: Da zu sitzen und zu lesen, während sie dort arbeitet.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich darauf gekommen bin, dass das was ich da tue, auch Arbeit ist. Auch wenn ich keine Gummihandschuhe dabei trage.

Den Studenten im allgemeinen und uns Geisteswissenschaflern im besonderen wird gerne unterstellt, wir würden in den Tag hineinleben, bis Mittag schlafen und danach, wenn wir Literaturwissenschaftler sind, quasi zu unserem Vergnügen Romane lesen und das Studium nennen.
Nach einigen Erfahrungen im (Niedriglohn-)Arbeitsleben (vgl. dazu die Kampagne „Mileurista = Tausendeurist“) komme ich zum Schluss, dass das Zeitmanagement tatsächlich eines der Geisteswissenschaftler-Probleme ist, allerdings ganz anders, als das Klischee will.

In meinem Brotjob 1 sitzt neuerdings eine Azubine im Zimmer nebenan, sie lernt Sachbearbeiterin (vulgo Sekretärin, oder?) und soll für die nächsten Wochen in unserer Abteilung arbeiten und lernen. Ich bin deshalb gebeten worden, sie bei interessanten Fällen zu mir zu holen und bei Fragen ihrerseits zu helfen und zu erklären, ihre Arbeit aber nicht zu erledigen, außerdem solle ich gelegentlich Aufgaben abgeben. Die Azubine trägt kurioserweise den Namen eines sehr schlanken Baumes, nennen wir sie hier Frau Fichte; ihr Körper entspricht dem Bild aber gar nicht, sie ist, wie sagt man das pc, „gewichtsmäßig herausgefordert“ und bewegt sich betont langsam. Sie geht aber relativ regelmäßig aus dem Büro und dem Gebäude, und ich habe mich immer gefragt, wo sie hin will, bis mir gestern aufging, dass sie einfach Pause macht. Da wir anderen drei v.a. Beratung machen und eigentlich immerzu jemanden im Zimmer oder am Telefon haben, ist „Pause“ eine ganz neue Idee. Gut, sie soll Pausen machen!
Mein Morgen bei Job 1 sieht normalerweise so aus, dass ich Menschen berate, lange Gespräche in allen verfügbaren Sprachen oder notfalls mit Zeichensprache und Bildchen führe und versuche, sie einen Schritt weiter zu bringen auf dem Weg hin zu Kommunikation und Integration. Außerdem führe ich Papierkrieg mit verschiedenen Ämtern und Einrichtungen, beantworte Mails und Telefonate, schicke Briefe nach Tunesien, in den Gaza-Streifen oder Kamerun, und zwischendurch renn ich immer die Wendeltreppe in den 2. Stock hoch, um im Postraum Pässe und Anträge zu kopieren.
Alles ganz normal. Ich gehe zwar nicht erst, wenn ich mit allem fertig bin, aber doch auch nicht, bevor nicht alle Leute, die vor der Tür warten, einmal bei mir waren. Dienstschluss ist darum ein dehnbarer Begriff. Wie gesagt, alles ganz normal und kein Grund, sich zu beschweren.
Am Ende des gestrigen Tages mit Frau Fichte wurde mir plötzlich die grundsätzliche Differenz zwischen einem Geisteswissenschaftler üblicher Prägung und einem Azubi oder ehemaligen Azubi üblicher Prägung klar.
Ich hatte seit etwa 20 min Schluss und musste dringend zu Brotjob 2, hatte gerade noch einen Brief zugeklebt, der ebenfalls dringend weg musste. Natürlich könnte ich ein weiteres Mal die Wendeltreppe zum Postraum im 2. Stock hochlaufen und mache das üblicherweise auch mit der Post der Zimmernachbarn. Ich war aber wirklich in Eile und fragte, während ich packte, Frau Fichte, ob sie noch einmal hochgehen würde.
Frau Fichte: „Ja.“
Percanta: „Schön. Wären Sie so nett und würden den Brief hier mit in den Postraum nehmen?“
Frau Fichte [guckt mich lange an]: „In den Postraum? Naja… SO hoch wollte ich eigentlich nicht gehen. Nur in den ersten Stock.“
Percanta: „Ach, Frau Fichte, wenn Sie es dennoch irgendwie einrichten könnten, wäre ich Ihnen wirklich sehr verbunden.“
Sie hat dann nachgegeben.

Daraus abgleitete Erkenntnisse am Abend:
Geisteswissenschaftler lernen im Studium vor allem dies:
Dass es normal ist, zu frei definierbaren Zeiten zu arbeiten. Frei definierbar heißt vielleicht im Studium auch mal „irgendwann anfangen“, heißt aber insbesondere, keinen Endzeitpunkt zu haben. Um von Überstunden zu reden, müsste man ja erst mal die normale Arbeitszeit definieren, was üblicherweise wegfällt. Also ist mehr arbeiten ganz normal.
Dass man zwar lange studiert, aber dafür weder als Praktikant noch im Job Geld verlangen kann. Wir machen ja etwas, was Spaß macht, und andere Germanisten/ Romanisten/ Historiker gibt es wie Sand am Meer.
O-Ton eines Telefonats, in dem meine Dienste als Übersetzerin angefragt wurden: „Mein Chef hat gesagt, ich soll erst mal fragen, ob Sie es umsonst machen.“ Äh – nein?! Inzwischen nicht mehr. Es sei denn, ein Verlag haut mich übers Ohr.
Frau Fichte dagegen ist es glaube ich völlig klar, dass sie für das, was sie tut, auch Geld verlangen kann. Und wieviel.
Wir müssen das erst mühsam lernen.
Und aufhören und Nein sagen und nach Hause gehen auch.
* * *
So, jetzt lese ich weiter und nenne es „Arbeit“.

aus dem Tagesgeschehen

Wenn die geneigten Leser mir vielleicht noch für zwei Stunden die Daumen drücken mögen? Die Kommission berät und entscheidet in diesen Augenblicken über meinen „Plan B“.
Danke.

(And now to something completely different: Schnee, auch hier.)

Edit 19:13 Uhr:
„Antrag in vollem Umfang gebilligt.“
Das heißt: Stipendium! Und das heißt: Sekt!
Und zwar für Euch, Danke allen Glück-Wünschern!


Wein

So richtig ist der Funken nicht übergesprungen bei der Lesung von Antje Rávic Strubel. Große Heiterkeit auf beiden Seiten löste allerdings die Anmoderation aus. Die niedliche, lockige Germanistikstudentin stellte Rávic Strubel dem Publikum vor, berichtete von Leben, Büchern und Erfolgen und kam schließlich zu den Preisen: „… außerdem bekam sie 111 Flaschen Wein“, stutzte, guckte ins Publikum, zuckte mit den Schultern: „Was auch immer man damit macht.“
(Publikum und Autorin halfen mit Vorschlägen aus.)

Wetter auch

…erreicht in Böen Orkanstärke mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu. Wetter auch, und dann pflegt mein Vater dies zu zitieren: „O wie ist der Mann zu loben, der solch unvernünftges Toben/ Schon im voraus hat bedacht und die Häuser hohl gemacht!“

Korrekt

J. ist inzwischen 18 Monate alt und fröhlicher Besitzer eines großen Wortschatzes. Wenn er einen Silberlöffel im Mülleimer versenkt, kommentiert er das im Tonfall seiner Mutter mit „Ach nee, ne“, er weiß, dass der Hund (sein Opa hat ihm „Wauwau“ abtrainiert und „Hund“ beigebracht) im Bilderbuch „angeleint“ ist und bestellt an der Fleischtheke selbständig „Lami“ und „Dieschen“ (dass die Radieschen nicht bei der Wurst liegen, bekommen wir später). Sein Sprachzentrum funktioniert auch nachts ausgezeichnet, weshalb seine Mutter jetzt bei den Schlafliedern schummelt – einige Texte provozieren noch aus dem Halbschlaf Fragen. Blümelein geht, Äugelein nicht.
Beim die ganze Liederzeremonie abschließenden „Müde bin ich, geh zur Ruh‘, schließe meine Äuglein zu“ kommt aus der dunklen Tiefe des Gitterbettchens ein „Augeln? Mami, AugeLn?“, und um nicht nachts in linguistische Diskussionen zu treten, schließen wir jetzt Augen, nicht Äuglein.

(Findet Sprachschützerin Google übrigens auch. „Meinten Sie „Augen zu“?“)

Das Gold-im-Mund-Paradoxon

Großartig, die neue Woche mit einem Paradoxon zu beginnen. Ich kam mir trotzdem ein bisschen dämlich vor, als ich heute Morgen ins Büro gestolpert kam:
„Tut mir leid, ich bin zu spät, weil ich viel zu früh aufgestanden bin.“
Doch! Wirklich!
Ich bin so früh aufgestanden, dass ich nicht nur mit dem Herrn Gemahl frühstücken konnte, sondern auch noch angefangen habe, Dinge zu tun, für die ich sonst niemals vor dem Brotberuf am Montag Zeit habe. Das morgige Seminar planen, Mails beantworten und diese einen Unterlagen suchen. Und ohne meine übliche Hetze am Morgen war es dann plötzlich halb und ich hatte noch den Handtuchturban auf dem Kopf. Und war 10 Minuten zu spät bei der Arbeit.
Morgen ignorier ich den Wecker wieder.