Unser Kind findet Sport super, bewegt sich gern, interessiert sich für die Unterschiede zwischen den Ballsportarten, übt auf dem Balkon Basketball (mittelgute Idee – wussten Sie, dass man Bälle komplett und für immer verlieren kann, wenn sie vom Balkon fallen? Ich dachte, irgendwo da unten müssten sie ankommen und dann kann man sie wieder hochholen, aber nein.), Handball übt er im Flur, Fußball überall, und am Ende spielen wir meist so etwas wie Calvinball.
„Fußball ist geil, oder?“, sichert er sich immer wieder ab, ich versuche etwas an der Wortwahl zu ändern, sonst sind alle einverstanden.
Inzwischen weiß er auch, dass man nicht alle Akteure gleich gut finden muss, manche Mannschaften finden wir besser als andere. Aber andere Leute finden wieder andere gut. Kompliziert. Dass der eine anders gekleidete Spieler trotzdem in der Mannschaft mitmachen darf, der andere aber nicht, dafür eine Pfeife hat und Schiedsrichter heißt, führt ebenfalls immer wieder zu Diskussionen; wahrscheinlich hat er den Eindruck, bei einem normalen Fußballspiel stehen einander mindestens fünf gegnerische und ungleich große Gruppen gegenüber. Überhaupt, Mannschaften: In diesem Punkt ist er sehr vielen Einflüssen ausgesetzt und sofort bereit, sich der Begeisterung für den einen oder anderen Club anzuschließen. Mit sanftem Druck versuchen die Männer der Familie, ihn für ihre Vereine zu begeistern, mit seinen drei Jahren hat er Trikots vom VfB Stuttgart, den Boca Juniors, vom SSC Napoli und Barrio Hansa, von Argentinien und Italien, außerdem Socken von St. Pauli. Erstaunlich wenig kommt bisher von den anderen familiären Vereinen Werder Bremen, FC Barcelona und VfL Wolfsburg (ja, auch dieser Verein hat Fans). Er trägt alle Trikots gerne und freut sich über Gleichgesinnte, insbesondere findet er aus Gründen Labbadia gut („zeig mir den nochmal!“), aus anderen Gründen findet er Balotelli blöd, und schon sind wir mitten im schönsten Erziehungs- und Prägungs-Schlamassel. Erziehung ist Beispiel und Liebe, und Lernen funktioniert außer über Nachmachen auch über das Erkennen von Mustern und das Ableiten von Regeln, Übergeneralisierungen gehören dazu: Labbadia findet er gut, weil er seinen Vornamen hat, klare Sache. Balotelli fand er nicht etwa wegen des Tors gegen Deutschland „blöd“, sondern weil der Lieblingsitaliener wohl mal nach einem Interview geschimpft hatte. Mit dieser Meinung ist er wohl konsensfähig, allerdings hat B. auch hier nach Mustern gesucht, ist auf die falsche Spur geraten hat und dann auch bei Cacau, Ya Konan oder Drogba und völlig unvermittelt bei einem Herrn im Bus gefragt, ob die „ganz blöd“ seien, „ja, oder?“ Hilfe, da setzt einen ein ungefähr trinationales und gefühlt völlig globalisiertes Kind auf einmal dem Rassismus-Verdacht aus. „Naja, sie reden halt nach, was sie zu Hause hören“, sagte eine Dame dazu. Ja, natürlich, aber so einfach ist das nicht. Hier greift eben auch das Prinzip der Regel-Ableitung, das oft genug („ein Schaf, zwei Schäfen“) zu falschen Ergebnissen führt. Zu dramatisch falschen Ergebnissen. Wir verbrachten die nächste Zeit damit zu betonen, wie toll z.B. Cacau sei und wie nett der Herr im Bus. Dass äußere Merkmale eines Menschen überhaupt nicht mit irgendwelchen Eigenschaften korrelieren, ließen wir unauffällig auch immer wieder einfließen. Womit wir beim nächsten sportlichen Schlamassel waren: Wenn die äußeren Merkmale nichts darüber aussagen, ob jemand toll oder blöd ist, warum mögen wir dann die ganzen Leute mit dem einen Trikot, die anderen aber nicht? Also. Die sind ja auch nicht blöd. Wir wollen nur nicht, dass die gewinnen. Dünnes Eis, ganz dünnes Eis.
Und nein, die Mannschaft, die immer gewinnt, ist auch nicht immer blöd. Nicht darum jedenfalls. Die sind nur blöd, wenn sie sich dann über all die anderen lustig machen, weil die nicht gewinnen. Nachtreten ist nicht schön, das macht man nicht. Charakterbildung über Fußball.
„Also, Fußball ist geil, oder? Aber die mit dem Bild mit den Zähnen, die magen wir nicht, die sind ganz blöd“, sagt er. Ich lass das mal so stehen.
Stuttgart ? Wolfsburg ?? (Pauli ist schlimm genug.)
Bis auf Werder Bremen sind glaub ich alle genannten Vereine biographisch begründet. (Ja, es gibt Menschen, die in Wolfsburg aufwachsen.)
Ich möchte doch sehr betonen, dass Werder Bremen der Verein ist, der der Region unserer Heimatstadt (nicht Geburtsstadt) zugehörig ist, liebe Schwester. Von wegen nicht biographisch begründet…
Und ein Trikot gibt es wegen der Werbung auf selbigem nicht. Vielleicht ist nächste Saison ein vertretbarer Aufdruck drauf.
Ich fürchte, der Sponsor hat einen Vertrag für 3 Jahre. (Und angeblich war der Absatz an Fan-Trikots VOR dem Bedrucken mit dem neuen Sponsor zu Beginn der Saison so groß wie nie…) Ich dachte, Werder wäre einfach der allgemein kompatible Verein der Wahl, wenn man irgendwie aus dem Norden, aber nicht aus HH kommt. Dass es kilometermäßig wahrscheinlich der nächste ist, war mir nie aufgefallen.
Seinem eigenen Geburtsort nach müsste er wohl – Landkarte ausmessen – Hannover-Fan werden? Und ab nächster Saison eventuell Braunschweig. Nun ja.