Fremdsprachen [oder: Wie wir uns bei Bauchentscheidungen mit vermeintlichen Vernunftgründen selbst in die Tasche lügen]

Beim Übergang auf das Gymnasium musste ich entscheiden, ob ich als zweite Fremdsprache Französisch oder Latein lernen wollte. Verschiedene Aspekte beeinflussten meine Entscheidung, ohne dass ich sie wirklich reflektiert hätte – nicht ohne Wirkung waren aber sicherlich der im Nachbarhaus wohnende Lateinlehrer, familiäre Traditionen und das mit vorfreudiger Begeisterung einhergehende bildungshungrige Gefühl, Latein zu können wäre irgendwie cooler als Schüleraustausch mit Aix en Provence.
Tatsächlich als Argumente verstand und vertrat ich anstelle dieser diffusen Gefühligkeiten aber dies: Ich wählte Latein statt Französisch, weil ich fand, dass Franzosen bekloppt zählen. Quatre-vingts? Vier mal zwanzig?! Ihr sagt im Ernst vier mal zwanzig? Eine Sprache mit solchen Zahlen wollte ich nicht lernen. Die mithin ganz vernünftige und rationale Entscheidung gegen Französisch und für Latein traf ich MCMLXXXIX.

16 Gedanken zu „Fremdsprachen [oder: Wie wir uns bei Bauchentscheidungen mit vermeintlichen Vernunftgründen selbst in die Tasche lügen]

  1. bei mir war es genau umgedreht: Latein? Eine Sprache die kein Schwein mehr spricht? – Was zum Teufel soll ich damit? – Bin dann trotzdem Latein als 2. Fremdsprache genommen worden. Mein Vater fand: „Mutter aller romanischen Sprachen“ und so. Bullshit. Ich leite mir mein (weniges) übriggebliebenes Latein aus dem französischen (als dritte Sprache eisern bis zum Abi durchgezogen, weil ich wusste ich brauche es) und dem spanischen (erlernt weil der damalige Liebste (und heutige, noch immer sehr geschätzte Vater meines Sohnes) halt nur spanisch, portugiesisch oder italienisch anzubieten hatte) ab. F**k Latein. Braucht kein Mensch, ausser er will Arzt oder Apotheker werden.

    Ach ja, oder in der Twitter-Timeline damit angeben 😉

  2. Oh, ich habe Latein tatsächlich so geliebt, wie ich gehofft hatte. (Jetzt kommen lauter Nerd-Geständnisse.) Ich habe als Siebtklässlerin mit Enthusiasmus daran gearbeitet, Latein auch SPRECHEN zu können, das aber nicht geschafft. Dennoch fand ich es super und habe es bis in die Abiprüfungen mitgenommen. Eigentlich wird Latein wahrscheinlich zu spät toll, wenn die meisten schon abgesprungen sind. Die Oberstufenlektüre habe ich wirklich gemocht. Und bei meinem letzten Lateinlehrer hätte ich sogar in der Projektwoche Tibetisch gelernt. Was heißt hätte.
    Schade war nur, dass es mit Französisch nicht mehr geklappt hat, ich wollte es als 3. Sprache machen, da waren wir aber zu wenige. Stattdessen gab es Spanisch, und das war auch nicht verkehrt. Dennoch, für Französisch, das eben alle anderen an der Schule hatten, war es dann an der Uni zu spät. Also Portugiesisch dazu. (Die sind mit den Akzenten genauso bekloppt wie Französisch.) Und nun fehlt mir, lebensbedingt, ausgerechnet Italienisch. Tja. Wie man es macht.
    Ich bin Romanistin, da finde ich Latein sogar sinnvoller als für Apotheker, aber darum geht es gar nicht, ich mochte es einfach und mag es noch. Und von wegen Mutter der Sprachen („aller“ lass ich mal raus): im Spanischkurs – der Französisch- und Lateinklasse gemeinsam – war schon deutlich, dass die Lateiner mehr von Sprache an sich verstanden hatten.
    Unsere Studenten müssen heute auch kein Latein mehr machen. Ich will ihnen da auch keine Steine in den Weg lernen, zumal das Latinum in einem Semester (oder in den Ferien) auch wirklich nichts bringt außer Nervereien. Da kann man sich auch abends den Duden durchlesen, um besser Deutsch zu sprechen. Aber wirklich Latein… doch. Nicht nur zum Angeben.

  3. Ich habe schon in der fünften mit Latein angefangen, weil ich Angst davor hatte, in Englisch so komisch lispeln zu müssen, das fand ich peinlich. Außerdem nehme ich an, dass meine Eltern Einfluss auf mich genommen haben, meine Mutter ist Romanistin.
    Latein habe ich gehasst. Dann kam in der siebten Englisch dazu, und ich wechselte nach dem ersten Halbjahr die Schule und ging auf eine Schule, in der alle in der fünften mit Englisch angefangen hatten und in der siebten mit Latein. Musste ich also „kurz mal eben“ zwei Jahre Englisch nachholen. Das fiel mir erstaunlich leicht, ich hatte das schnell aufgeholt.
    Der Vorsprung in Latein war genauso schnell verpufft.
    Dann kam in der neunten Französisch dazu, und ab der elfen dann leider nicht mehr, weil der Französisch-Grundkurs ausgerechnet von meiner Mutter unterrichtet wurde. Das war mir zu doof, und so hatte ich leider nur zwei Jahre Französisch. Schade, ich würde eigentlich gern Französisch sprechen könnten. So reicht es gerade mal, um mich mehr schlecht als recht durchzuradebrechen.

  4. Boah, für die Romanistik braucht man kein Latinum? Bei uns brauchte man sogar ein Latinum, um Japanologie zu studieren. Begründung: die Japanologie gehörte zur Fakultät für Orientalistik und Altertumswissenschaften. Total logisch also.

  5. Nicht mehr. Als ich angefangen hatte brauchte man es noch, teilweise sogar das große, das große Latinum dann irgendwann nur noch für höhere Weihen. Jetzt ist es gerade für alles bis incl. Master an unserer Uni ganz abgeschafft worden. Dafür werden bei den meisten der studierten Sprachen heute höhere Vorkenntnisse verlangt, die sind bei Nicht-Schulfächern ja nicht selbstverständlich.

  6. Die Gründe sind mir alle viel zu vernünftig. Bei uns ging es in der 5. mit Englisch los, das konnte ich damals Dank Zweisprachigkeit schon.Also einfach. In der 7. kam Französisch und ab der 9. konnte man freiwillig noch Latein machen. Machte ich und hielt sogar bis zum großen Latinum durch. Warum? Der tollste Junge meiner Klasse machte das. Ganz einfach.

  7. Ich habe in der Mittelstufe Französisch gewählt, weil ich fand, daß ich mit Deutsch schon eine tote Sprache konnte, die mir später einmal nicht viel nützen würde. Das sprach man ja nirgends! In der Lateinklasse waren auch nur die Langweiler und der Lehrer war total bescheuert. Meine sämtlichen Lateinkenntnisse stammen daher aus Asterix (was immer noch ausreichte, um den Akademikernachbarn zu beeindrucken, der bei jeder Gelegenheit seine humanistische Bildung raushängen liess: ein gezieltes „timeo Danae et dona ferentes“ wirkte da Wunder, wenn er uns Kindern ein Eis von der Tanke mitbrachte).

    Inzwischen ärgere ich mir ein Loch in den Bauch über diese Entscheidung. Es wäre vermutlich unfassbar viel einfacher, Spanisch und Italienisch zu lernen, wenn ich Latein in der Schule gehabt hätte. Französisch habe ich seit dem Abi noch zwei-, drei Male in im Urlaub gebraucht und dann erst wieder vor ein paar Jahren so richtig, als ich Kunden in Genf hatte. Zu dem Zeitpunkt waren meine Schulkenntnisse allerdings ziemlich verflogen und ich musste ganz schön ackern, um wieder reinzukommen. Aber das gilt wohl für alles: „use it or lose it.“

  8. Immer diese Themen, die bei mir so ganze Fässer von Zeug aufmachen, aber ich versuche, mich halbwegs kurz zu machen.

    Ich hatte Französisch, weil ich es deutlich sinnvoller fand, eine Sprache zu lernen, die auch noch gesprochen wird. Außerdem war ich mit meinen Eltern jedes Jahr in Frankreich im Urlaub, und wollte endlich verstehen, was die da sagen. Also die Franzosen, nicht meine Eltern.

    Dann später auch Französisch-LK, ich konnte zum Abitur also so richtig schön fließend Französisch mit toller Grammatik und großem Wortschatz. Das verpufft leider sehr schnell, ein Jahr später hatte ich das Gefühl, ich kann nichts mehr, als ich dann aber ein Wochenende in Paris hab ich gemerkt, dass meine Grammatik jetzt zwar eher so mittel war und ich den Wortschatz vom passiven wieder ins aktive schubsen musste, es letztlich aber noch alles irgendwie da war und auch schnell wieder an die Tagesoberfläche kam.

    Nach vier Frankreichurlauben in den letzten sechs Jahren bin ich auch wieder sicherer und plappere gerne mit den Franzosen. Das ist bestimmt nicht alles schön, aber es reicht und ist wohl doch mehr als der Standardtourist so drauf hat.

    Latein habe ich an der Uni im Crashkurs gemacht, man hatte dann das uni-interne Latinum für Bonn, das zumindest fürs Studium reichte. Weil, Musikwissenschaft, Soziologie und Kunstgeschichte – da brauchte man früher noch Latein für, also vor allem für Musikwissenschaft (übrigens auch für Anglistik). Die Lateiner hätten’s aber auch nicht besser gehabt, die Kunstgeschichtler fanden nämlich Englisch doof und wollten statt dessen neben Latein eine romanische Sprache ODER Niederländisch. Man hätte also in der Kombination eh drei Sprachen gebraucht, weil es die Institute zumindest damals mit den Absprachen nicht so hatten.

    Jedenfalls sechs Wochen Crashkurs in den Semesterferien, vier Stunden pro Tag. Hat super Spaß gemacht, kein Witz. Ich mag Sprachen und ich fand Latein auch echt interessant. Ich weiß auch nicht, ob es an einer grundsätzlichen Begabung lag oder an meinen Französischvorkenntnissen, aber ich konnte mir ziemlich viel ableiten. (Am leichtesten hatte es übrigens die Rumänin in unserem Kurs.)

    Dann noch ein Semester Caesar lesen an der Uni und irgendein andere Lektürekurs und dann mit Ach und Krach die Klausur bestanden – aber wirklich nur ganz knapp. Ich muss aber irgendwie immer so aktiv gewesen sein, dass mich der Dozent bei der Ankündigung zu einem aufbauenden Lateinkurs im nächsten Semester noch fragte: „Da kommen Sie doch bestimmt auch?“ „Yeah, right“, hab ich da so gedacht.

    Nee nee, ich bin schon froh, dass ich Französisch kann und nicht mehr Lebenszeit mit Latein verschwendet habe. Ich find auch dieses „Da kann man sich dann alles von ableiten, dann wird das später viel einfacher“ immer ein bisschen albern, denn erstens muss man die Sprachen trotzdem noch lernen (was viele dann einfach nicht mehr tun, was können die dann, „theoretisch Spanisch“?) und zweitens kann ich mir mit Deutsch, Englisch, Französisch, und ein bisschen Restintelligenz immer ziemlich viel ableiten. Vielleicht könnte ich mit Latein noch mehr, aber ich zweifle diesen propagierten immensen Vorteile doch ein bisschen an.

    (Der letzte Absatz klingt härter als er gemeint ist. Ich bin für so was einfach zu pragmatisch und lerne lieber eine Sprache direkt als über den Umweg einer anderen Sprache.)

  9. Sehr schön. Eigentlich wollte ich nur eine (wahre!) Anekdote zum Entscheiden erzählen und dabei den Witz mit den Ziffern loswerden. Aber sag „Latein“ und du hast im Handumdrehen eine Diskussion. (Weitermachen. Ich freu mich, dass hier so viel los ist.)

  10. Ich hatte Französisch, Latein gab es an der Schule gar nicht. Keine Wahl. Punkt. Und Latein brauchte man ja sowieso nur wenn man einen medizinischen oder juristischen Beruf ergreifen wollte (ich erinnere mich, dass einige abgingen, weil sie Tierärztin od. Staatsanwältin werden wollte, als ob man das zu dem Zeitpunkt schon weiß).

    Französisch war dann auch eher anstrengend. Musste aber sein. Dann war ich einige Zeit in Frankreich und Französisch war auf einmal so toll, dass ich es studieren wollte.

    Eingeschrieben. Zur sog. Orientierungswoche. „Ihr müsst hier das Latinum machen“. „Argh. Ich dachte Jura und Medizin?!?“, „Nein die brauchen es nicht, was ist denn Dein zweiten Fach?“ „Geschichte“ „Dann brauchste das Latinum doppelt“.

    So habe ich viel Zeit meines Studiums mit Caesar und Cicero, mit den Galliern und Verres und mit dem Ablativus absolutus verbracht. Um dann irgendwann, als ich mich sicher genug fühlte, eine offizielle Ergänzungsprüfung zum Abitur ablegen zu müssen. Das Puzzeln und Übersetzen für mich war ok, sozusagen live in der mündlichen Prüfung, dann auch noch so einen verquasten philosophisch/politischen Text von Cicero nicht so.

    Naja, noch heute leite ich mir lateinische Begriffe aus dem Französischen ab, aber Strukturen und Grammatik fallen mir durch die Schinderei schon leichter.

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  12. Und was ist mit Altgriechisch? Ich hätte immer gerne Altgriechisch gekonnt, weil es so komplett sinnlos ist und deshalb die letzte Distinktion. Ich weiß nicht, aber vielleicht würde einen das auch zu besserem Deutsch bringen, so dass man nicht schreiben würde, dass man irgendetwas noch brauchte für.

  13. Englisch als erste Fremdsprache (gab keine Alternative), dann Französisch, aber mit Bauchschmerzen. Latein hätte ich gerne noch dazu genommen, wurde aber nicht angeboten- dafür hab ich meine Schwester abgehört und mit auf diesem Wege zwei oder drei Vokabeln angeeignet. Für das ein oder andere klugscheißerische Zitat reicht es trotzdem. Die meisten Leute bemerken eh nicht, wenn man da die Fälle verwurschtelt.

  14. Ich hatte Latein als erste Fremdsprache. Einfach weil eine etwas ältere Freundin das gemacht hat (alles was sie machte war cool in meinen Augen. Ein Glück, dass sie nicht Russisch wählte) Die Entscheidungsgrundlage war also blödsinnig, aber ich habe es nie bereut, obwohl ich manche Lateinstunde schrecklich fand. Mein Glück war, dass wir Deutsch und Latein beim gleichen Lehrer hatten und uns damit, in beiden Fächern parallel, eine sehr solide Grammatikbasis aufbauten. Davon habe ich später beim Fremdsprachenlernen profitiert. Ich lerne auch eine neue Fremdsprache immer nur mit und über die Grammatik.

    Mit 5 Jahren hatte ich entschieden, ich lerne später „ausländisch“ – also französisch. Weil ich sehr beeindruckt davon war, dass meine Mutter tatsächlich ausländisch konnte. Ich hatte ja einige Zeit den Verdacht, sie tut nur so. Später dann wurde mir klar, sie kann das ja tatsächlich.

    Insofern war Latein erste Fremdsprache eigentlich kontraproduktiv, habe ich aber dann als 3. Fremdsprache nachgeholt, was dann auch noch zum LK gereicht hat. Und zu einem wunderbaren Studienjahr in Paris, aber das ist nun wirklich eine andere Geschichte….

    Latein hilft auch beim Fremdwörterverwenden. Ich habe so Spezialisten im Job: Ich baue hier einen Obulus. ??? einen Obelisken natürlich.

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