Sandmann, optimiert

Nuno darf das Sandmännchen gucken und meist auch die Zeichentrick-Serie, die danach kommt – Yakari oder Wicki oder Ritter Trenk. Er genießt seine Fernsehkonsumdosis nicht nur, er hat geradezu eine Obsession entwickelt, die mir überhaupt nicht recht ist. Sein Sandmännchen ist ihm für meinen Geschmack etwas zu wichtig geworden. Er nimmt es uns sehr übel, wenn er eine Folge verpasst, egal, was wir stattdessen Ödes oder Schönes gemacht haben. Und kaum aus dem Kindergarten zurück, fängt er an zu fragen,  wann Sandmännchen kommt. Noch nicht. „Noch nicht“ gibt es auch in den Varianten „NOCH NICHT!“ oder „NOCH NICHT – und wenn Du weiter dauernd fragst, GAR NICHT!“
Ich muss immer an ein wirklich bemitleidenswertes Nachbarskind aus meiner Kindheit denken, ein Klassenkamerad meines Bruders. Dieses Nachbarskind war deutlich der ungeliebte ältere Sohn zu Hause, roch penetrant nach Rauch und Weichspüler, trug stets hässliche Pudelmützen (die heute vermutlich hip wären) und fragte immer, immer, immer: „Ist schon fünf Uhr vorbei?!“ Ängstlich, atemlos, verstört. Er durfte auf keinen Fall zu spät nach Hause kommen – sein Heimweg belief sich auf maximal zwei Minuten – und hatte panische Angst davor, die verordnete Heimkehrzeit von fünf Uhr zu verpassen. Ist schon fünf Uhr vorbei? Wann kommt Sandmännchen?
Ich erlaube meinem Kind fernzusehen, denke auch, dass ein komplettes Verbot den Reiz nur steigern würde, aber diese Fixierung auf ein Fernsehprogramm und das Unterordnen von allem anderen kann ich nicht leiden, und meine Gereiztheit in diesem Punkt merkt man mir an. Nun ist Nuno nicht ganz dumm und entwickelt Strategien, die heilige Sandmännchen-Zeit nicht zu verpassen, mich aber nicht zu reizen. So kann er zwar die Uhr noch nicht lesen, er kennt aber inzwischen zumindest die Zeigerstellung für 18.50 Uhr. Und überprüft das ab und zu beiläufig an der Küchenuhr, was wiederum dazu führt, dass mein Kind betont harmlos in die Küche schlendert und ich ihm gleich ein „Nein!“ oder „Noch nicht!“ hinterherrufe. Kürzlich stand er am frühen Abend unter der Digitaluhr – deren Zahlen er lesen, aber keine Verbindung zu seiner Sendung herstellen kann – und sang ganz zufällig die Sandmännchen-Melodie, mit freundlich-fragendem Blick zu mir. Noch nicht!
Noch nicht. Geh wieder spielen. Noch nicht! Die verbleibende Zeit hat er genutzt, auch Fernsehen macht kreativ, und weiter an der Optimierung unseres Sandmännchen-Dialogs gearbeitet. Standardisierte Prozesse lassen sich zeit- und nervensparend gestalten.
Seine Optimierung gestaltet sich wie unten gezeigt: Jeder Dialogpartner verfügt nun über eine Dialogkarte, die er bei Bedarf nur wortlos hochzuhalten braucht. So erübrigen sich Spaziergänge unter die Küchenuhr, anspielungsreiche Gesänge und vor allem gereizte Drohungen, das Fernsehprogramm ganz zu streichen. Ausgefuchst. WP_20140203_020SANTMAN?
NAIN.
Es ist gerade mal 4 Uhr. Hören Sie auf, um die Uhr zu schleichen. Gehen Sie spielen!

2 Gedanken zu „Sandmann, optimiert

  1. Zu meiner Kinderzeit gab es zwei Sandmännchen, nicht gleichzeitig (deren einer es nicht in die Jetztzeit geschafft hat). Und einen Schwarzweißfernseher.
    Digitaluhren waren noch nicht erfunden – oder höchstens Bastelwerk von talentierten Lötern (die es in der näheren Familie nicht gab).
    An eine Fernsehobsession kann ich mich nicht erinnern.

  2. Bei uns gab es ähnliche Probleme mit den Uhrzeiten und wann was zu tun war oder getan werden konnte.

    Wir haben das Problem mittels eines Weckers gelöst. Wenn der klingelte war es Zeit etwas bestimmtes zu tun. Als das Kind nach ein paar Tagen begriffen hatte das auf diesen Wecker verlass war hörte die Fragerei auf 🙂

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