12 Tage Santiago [11]

Sonntag, 5. September, „Día del Patrimonio Nacional“, eine Mischung aus Folklore-Festival, Tag des Offenen Denkmals und Langer Nacht der Museen. Ich bin wieder in Santiago und hatte sowieso vor, ins Museo Bellas Artes zu gehen, auf dem Weg dorthin durch den Parque Forstal gucke ich einer Weile einem Kinder-Duathlon zu, dann bleibe ich lange vor dem Museum, wo Livemusik gespielt wird und in Trachten Cueca, der chilenische Nationaltanz, getanzt wird. Zunächst von einer Gruppe in der feineren Trachten, die Stiefel und Ponchos sind Zeichen eines „huaso rico“, eher Großgrundbesitzer als kleine Bauern. Sie sind musikalisch wie tänzerisch ziemlich gut, am Ende fordern sie Leute aus dem Publikum zum Mittanzen auf, und keiner ziert sich, alle hüpfen mit und schwenken weiße Taschentücher. Wer keines hat, zückt zumindest ein Tempo.





Im Anschluss macht eine Folklore-Gruppe mit drei Sängerinnen Soundcheck, die identische geschnittene Minikleider in den Nationalfarben tragen, die erste Cueca ist aber so schrill und übersteuert, dass ich das Spektakel verlasse und ins Innere des Museums gehe. Im Museo Bellas Artes ist die Dauerausstellung bei freiem Eintritt geöffnet, thematisch (Portraits, Körper, Bestand der Gründungszeit des Museums vor exakt 100 Jahren) sortierte Säle mit feinem Parkett, das Gebäude selbst ist schon ein Schmuckstück. Leider darf man, wir mir vor dem letzten hier gezeigten Foto freundlich, aber bestimmt gesagt wird, keine Fotos machen…



(Letztes Bild: Ein Bild, was ich sowieso gerne mag, „La carta de amor“ vom chilenischen Maler Pedro Lira. Da wusste ich schon, dass ich nicht fotografieren durfte, aber die Ähnlichkeit in der Haltung war zu verlockend…)
Im Muesum sind recht viele Leute, vor allem viele Familien mit kleinen Kindern, aber auch junge Pärchen oder Grüppchen Jugendlicher. Ich bin in Deutschland selbst sehr selten im Museum, wie ist das eigentlich bei uns? Sind sonntags viele Familien im Museum? Ich kann es nicht erinnern.
Danach eine große Runde durch die Stadt gedreht (leider habe ich die Handpuppenspieler, die mich vor 5 Jahren jeden Sonntag ins Zentrum zogen, dieses Jahr nicht finden können, vielleicht haben sie aufgehört) und so lange auf der sommerlichen Plaza de Armas gesessen, bis mich eine Taube erwischt hat – das soll, heißt es hier, Glück bringen.

Später auf der Runde habe ich zufällig – da hat diese Stadt 6 Millionen Einwohner und man begegnet sich doch zufällig, ich habe hier auf der Straße auch schon Leute aus meiner Heimatstadt in Deutschland getroffen – meinem Dichter begegnet, wir haben dann zusammen eine weitere Cueca-Darbietung angeguckt, dieses Mal volkstümlicher, die Männer in Sandalen, die Frauen weniger wie vom Land als wie aus „Poblaciones“ gekleidet. Die Stimmung ist noch besser als zu Anfang, zumal diese Gruppe das folkloristischer Drumherum auch intensiv betreibt, ein versauter Witz jagt den nächsten und das Publikum überschlägt sich. Diese Vorführung, sagt mein Dichter, und der weiß bei Folklore, wovon er spricht, sei „autentiquísimo“, so einen wahrhaften 18. September (darauf läuft all das hinaus) hätte in der Hauptstadt noch nicht erlebt, und am Ende lässt er sich sogar zum Tanzen hinreißen – und das, gesteht er mir atemlos, habe er seit der Diktatur und seinem Wegzug aus dem ländlichen Süden nicht mehr getan. Nach wenigen rein vorgeführten Cuecas werden nämlich wieder wir Zuschauer zum Teilnehmen aufgefordert, nicht nur Rhythmus solle man klatschen, sondern Taschentücher zücken und tanzen, und es wird getanzt. Für mich beeindruckt, dass die Jungen genauso mitmachen wie die Alten, die Turnschuhmädchen wie die Herren im Anzug, die blondierte Mami genauso wie der Herr, der über der feinen Hose einen Poncho trägt, und auch die coolen Jungs mit Rocker-T-Shirts, die mit Rastalocken oder Ohrringen wedeln mit Tempos, klatschen und tanzen kunstgerecht mit den als Landfrauen verkleideten älteren Damen.



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