40 Tage Buenos Aires [23]

Tag 23, Dienstag, 9. März 2010: Geisterhaus, Av. Corrientes Nähe Pueyrredón.

Die schönen Altbauten in dieser Stadt werden jeden Tag weniger. Manche der prachtvollen Eckhäuser mit Erkern und Türmchen und Statuen auf den Simsen, mit alten Balkonen und französischen Aufzügen, 4m hohen Decken und Stuck stehen komplett leer und verfallen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie durch ein modernes Apartmenthaus oder einen Bürokomplex ersetzt werden, der die Straße wieder ein wenig verwechselbarer macht.
Manchmal fehlt in der geschlossenen Reihe Fassaden ein Haus wie ein ausgefallener Zahn, und manchmal hat dieses abgerissene Haus dort über der Baustelle seinen Abdruck hinterlassen.

Das Geisterhaus auf dem Fotos war einmal viel niedriger als die benachbarten Gebäude, schmalbrüstig und nur zwei Zimmer tief. Wenn man das Bild groß klickt (der Ausschnitt ist etwas groß, aber sonst wird nicht klar, worum es sich handelt), kann man die Details erkennen: Die nach Biedermeier aussehende Tapete im Wohnzimmer, die Kacheln in der Küche, den Schornstein, die Treppen – und das im kleinen Zimmer neben dem Wohnzimmer sieht aus wie ein Kronleuchter, aber wie kommt dieser Abdruck an die Außenwand?
Mich beschleicht immer ein komisches Gefühl, wenn ich mit Baby B in der Karre einem alten Rollstuhlfahrer entegegenkomme, oder wenn er tapsend an der Hand läuft und dabei auf eine alte Frau am Rollater trifft, der Anfang und das Ende scheinen sich so zu gleichen. Bei den Häusern ist es vielleicht ähnlich. Erst war es eine Skizze, eine maßstabsgetreue Zeichnung, auf der das Wohnzimmer eingetragen war, die Treppen, der Kronleuchter vielleicht und der Schornstein. Und wenn alle Menschen gestorben oder ausgezogen sind und der Kran schon weg ist und unten im Erdgeschoss nicht viel mehr als ein großer Laster mit Schutt auf der Ladefläche steht, dann bleiben kaum noch Spuren der dort verbrachten Leben und sieht es wieder so aus wie anfangs beim Architekten, eine Skizze mit Tapetenresten, ein Schatten, ein Geisterhaus.

4 Gedanken zu „40 Tage Buenos Aires [23]

  1. Der Kronleuchter könnte ein Stuckschnörkel gewesen sein.Sowas wie hier: http://www.putz-stuck-lerchl.de/images/galerie/13-stuck.jpgaber umgedreht und zehnmal opulenter.Für noch mehr Geisterhäuser und im Mauerwerk festgehaltene Baugeschichte kann ich Köln-Ehrenfeld empfehlen. Da sieht man immer noch halbe Mauern aus dem Krieg in Hinterhöfen und Brandmauern mit den Ansatzpunkten von alten Kaminen, Häusern, Treppenhäusern und Grundrissen der zerstörten Nachbargebäude.

  2. Hallo,ich lese Deine Beiträge nun auch schon seit einigen Tagen und muss sagen, es ist, als könnte man mit Dir für ein paar Minuten in Urlaub fliegen..Sehr schön.

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