Die Confitería Ideal, ein etwas blätterndes Jugendstil-Prachtstück. Die sich einst über zwei Stockwerke erstreckende Konditorei ist heute Tangosalon, und im oberen Stock finden auch nachmittags Milongas statt. In der Confitería Ideal war ich schon seit meinem ersten Aufenthalt nachmittags tanzen, mittags gibt es Tango-Unterricht, dann je nach Wochentag ab 15 oder 16.30 Uhr Tanz, wo auch die Angestellten umliegender Büros ab und zu in ihrer Pause vorbeischauen, sonst sind aber vor allem Rentner und Touristen dort. Nicht die glitzernde, aufgeheizte nächtliche Tangoszene, aber mit eigenem Charme. Und wenn ich sonst schon nicht tanzen war dieses Mal, so doch wenigstens heute in der Confitería. Wir gehen alle zusammen, Baby B. bleibt im Wechsel bei mir oder bei anderen Gästen, und wir tanzen auch einmal zu dritt, was uns wiederum in ein beklatschtes Foto-Objekt einiger junger Touristen verwandelt. Zum Teil sind die gleichen Leute da, die ich von den ersten Jahren hier kenne. Eine ältere Dame tanzt erst mit Percanto und hütet dann für eine Tanda Baby B. – eine Tanda eine Folge von drei Tangos des gleichen Orchesters, danach wird eine gänzlich andere Musik als Cortina, Gardine, angespielt, man dankt seinem Tanzpartner und setzt sich und hat dann bei der nächsten Tanda Gelegenheit, mit jemand anderem zu tanzen. Diese Dame kommt mir ebenso bekannt vor wie der winzige alte Herr mit den roten Lackschuhen, am Ende sind sich auch Percanto und die Dame sicher, in einem anderen Jahr schon mal in der Confitería miteinander getanzt zu haben. Der alte Herr mit den roten Schuhen und der etwas irritierenden Disney-Krawatte weicht eine Weile nicht von Perantos Seite, er ist so begeistert von seinem Milonga-Stil, dass er Percanto nachdrücklich um Einzelunterricht bittet. Sie haben Daten ausgetauscht, später bestürmt der Herr auch mich, ich solle mit Percanto reden, dass der ihn anruft, er will unbedingt tanzen wie er! Das ginge bei seiner Novia zu Hause, bei seiner Freundin, die haben genug Platz, und ich solle einfach mitkommen, ich würde dann einen Wein bekommen, während Percanto ihnen seinen Milonga-Stil beibringt. Toll sei der, toll.
Das Ambiente ist familiär und trotz der korrekt gekleideten Kellner und des traumhaften und gerade wegen seiner leichten Angeschlagenheit besonders reizvollen Raumes etwas improvisiert. Als ich das letzte Mal hier war, war der Raum aber noch schrammeliger, sie hatten damals keine Tischdecken, es wirkte an mehr Ecken als heute, als sei man eigentlich hinter die Bühne oder einen sonstwie abgesperrten Bereich geraten, und an der Kaffeetheke hat man immer erst gefragt, ob sie eigentlich auch noch Cafébetrieb haben. Der brummt zwar auch dieses Mal nicht, es ist eher leer, aber der Salon wirkt doch etwas aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst. Die Tango-Etikette wird nicht übertrieben streng eingehalten, die DJane albert zwischendurch mit B. herum, am Rande der Tanzfläche üben zwei Paare Führen und Haltung.
Wir trinken Cortados und ich würde eigentlich gerne eine Mokkatasse mit orangefarbener Confitería-Borbonen-Lilie für meine Sammlung klauen. B. erledigt das, indem er sich an der langen Tischdecke hochzieht und dabei die Tassen runterreißt; die mit dem abgebrochenen Henkel darf ich ganz offiziell mitnehmen.
40 Tage Buenos Aires [32]
Tag 32, Donnerstag, 18. März 2010: Gespiegelte Nachmittags-Milonga in der Confitería Ideal, Suipacha.
Ich werde Dich nie wieder um etwas bitten; Du hast soeben alle meine Wünsche mit einem sehr schönen Text erfüllt, der sämtliche Klischees wie Scylla und Charybdis elegant umsegelt! Danke, Percanta!
PS Ich hätte die Tasse auch geklaut.
Liebe Elbnyhmphe, wenn sich die Wünsche dann erfüllen (so versteh ich das jetzt?), dann sollte man doch vielleicht noch viel mehr wünschen? Freut mich.