(Apropos Knutschen als Tagestipp, nämlich.)
Auf dem Pflaster sieht man die weißen Logos der „Madres de la Plaza de Mayo“, die hier bis Anfang 2006 jeden Donnerstag ihre Protestrunden gedreht haben. Sie sind immer im Kreis gegangen, weil ihnen während der Diktatur verboten worden war, vor dem Präsidentensitz zu stehen und zu demonstrieren. Wenn man nicht stehen darf, muss man laufen, und so sind sie gelaufen, etwa drei Jahrzehnten lang jeden Donnerstag.
Wir sind heute umgezogen, die neue Wohnung ist klein, aber ordentlich, hell und unsere. Meine Küche! Mein Bad! Und mein Bett! Das ist nicht selbstverständlich, die letzten Nächte habe ich mit B auf einer Matratze im Sprechzimmer geschlafen und dieses dann morgens früh schnell wieder geräumt.
Die Wohnung liegt in einem Gebäude in der Av. Rodriguez Peña / Corrientes, also an der Ecke zu der Straße mit den vielen Buchläden, von der ich berichtet hatte. Buchläden, Theater, auch sonst jede Menge Kioske, Cafés und Läden. Kein Traumboulevard, aber sehr belebt und voller Kuriositäten. Wir sind nun etwa 5 Blocks vom Obelisken entfernt.
Wie das mit den Cuadras ist, habe ich ja schon mal erwähnt, und da die Stadt in den zentralen Viertel in sich fast rechtwinklig kreuzenden Avenidas gebaut ist, ist es üblich, außer dem Straßennamen immer auch die nächste Querstraße als Referenz anzugeben. Wir wohnen also Rodriguez Peña con Corrientes; da eigentlich alle die Reihenfolge der wichtigsten Querstraßen sowohl in West-Ost- als auch in Nord-Süd-Ausrichtung im Kopf hat, hilft diese zweite Angabe bei der Orientierung, man hat eine Vorstellung, auf welcher Höhe der meist sehr langen Straßen man sich befindet.
Percanto fand es in Deutschland immer amüsant, dass die meisten in zweistelligen Hausnummern wohnen, es gibt sogar einstellige! Da hier in jeder Cuadra ein neuer Hunderter beginnt (auch wenn das letzte Haus vorher keine -99 war), gelangt man natürlich recht schnell in Tausender-Nummern. Wie in den meisten Ländern stehen auch hier keine Namen an der Tür oder am Briefkasten, man muss also die Nummer des Apartments wissen: Stockwerk plus ein Buchstabe für die Wohnung. Wir sind 6to I, es geht bis P – mindestens 16 Wohnungen pro Stockwerk also, ich muss mal gucken, ob es eigentlich die Wohnung „Ñ“ gibt.
Das Gitternetz aus sich kreuzenden Längs- und Querstraßen wird an einigen Stellen wie am Obelisken und an der Plaza de Mayo noch von großen Diagonalen durchschnitten. Das macht die Kreuzung Corrientes / 9 de Julio etwas abenteuerlich, denn dort treffen die Straßen sternförmig auf eine große Verkehrsinsel, und allein die 9 de Julio ist ja schon 21-spurig. Die meisten der anderen Straßen sind Einbahnstraßen, was das Überqueren etwas einfacher macht, man muss nur gerade an Ecken mit Diagonalen gut gucken, wer von wo kommt. An den wenigen Straßen mit beiden Fahrtrichtungen stehen darum auch oft Leuchthinweise an den Kreuzungen, „beide Richtungen! Links und rechts gucken!“
(In Chile stand in den Bussen am Ausstieg immer „guck nach hinten!“ Ich hab lange nicht kapiert, warum ich mir über die Schulter gucken soll beim Aussteigen, nach hinten meinte aber natürlich nicht „bitte im Bus Schulterblick„, sondern war die Erinnerung, auf der Straße Richtung Heck vom Bus zu schauen, von wo durchaus Verkehr kommen konnte, da die Busse nicht immer am Rand der Fahrbahn hielten.)
Um über die 21 Spuren der Av. 9 de Julio zu kommen, muss man übrigens nicht rennen, zügig gehen schon, aber es gibt zwischendurch mehrfach Inseln. Wenn ich schnell gehend loslaufe, wenn meine Ampel gerade grün wird (bzw. weiß, die Fußgänger haben eine weißes Männchen für „Grün“), schaffe ich es genau bis zur Mitte. Um abschätzen zu können, ob man noch losgehen kann oder ob die lauernden Haie hinter dem Zebrastreifen gleich losbrausen, blinken manche der Ampeln, kurz bevor sie umspringen. Andere Fußgängerampeln auf der 9 de Julio sind dreigeteilt: eine rote stehende Figur, eine weiße gehende, und als letztes ein runterzählender Countdown – noch 12 Sekunden, um rüberzukommen, noch 11, noch 10.
Es ist wahnsinnig viel Verkehr, wobei die meisten Wagen Taxen zu sein scheinen, aber die öffentlichen Verkehrsmittel werden auch viel genutzt. Und insgesamt ziemlich gut organisiert. Vor meiner ersten Reise nach Buenos Aires wurde ich vor den „wilden“ Fahrern gewarnt, aber nach einem Jahr Peru empfand ich es hier als sehr gesittet. Wahrscheinlich auch in diesem Punkt mit Italien vergleichbar. In peruanischen Großstädten dagegen brettern Busse auch mal über den Bürgersteig, wenn dort ein potentieller Passagier einzusammeln ist, Einbahnstraßen sind reine Kulanz und Taxen auch optisch überhaupt nicht von anderen Autos zu unterscheiden. Reine Vertrauenssache. Vorfahrt hatte der ältere oder der größere Wagen, das war stets eine Entscheidung von Millisekunden, die aber auch nicht immer gut ausging. Und ich habe dort z.B. erst nach mehreren Wochen herausgefunden, dass es in dem Kabelgewirr über der Straße ja auch Ampeln gibt, das war dem Verkehrsfluss nicht unbedingt anzumerken.
Ich ärger mich ja ein bisschen, dass ich in Peru nicht Auto gefahren bin (z.B. mit E.s altem Käfer, bei dem die Tür mit einer Plastiktüte festgebunden war und das Bodenblech fußgroße Löcher hatte. Nicht unpraktisch, denn so kann man die Schlaglochlage verfolgen und notfalls auch mal per Fuß bremsen. Ein normaler Mittelklassewagen dort.), denn wäre ich dort gefahren, könnte ich es jetzt. Allerdings würde ich dann wahrscheinlich auch bei jeder abschüssigen Strecke den Motor ausmachen und rollen lassen, um Benzin zu sparen, und das kommt in Deutschland ja meist nicht so gut an.
Buenos Aires hat die älteste U-Bahn Lateinamerikas (die „Subte“ für Subterraneo), Nostalgikern ist die hellblaue Linie A zu empfehlen, mit zweiteiligen Holzfenstern und Glaskugellampen in den Waggons. Ich bin dieses Mal allerdings noch nicht gefahren, für einen Kinderwagen sind es zu viele und zu enge Treppen. Aber unter dem Café an der Ecke hört man die rote Linie rumpeln.
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Sie haben mir heute den vollen Ticketpreis für meine Flüge nach Chile erstattet, Grund auf dem Beleg: „Ausfall wegen Erdbeben“.
Das war schon relativ knapp. Die Städte im Süden, wo die unsere Studenten im Auslandssemester sind, sind wohl recht wenig betroffen, hoffen wir das Beste.
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Die neue Wohnung hat Deckenventilatoren. Baby B stand vorhin fasziniert unter dem im Wohnzimmer, guckte nach oben, imitierte das Geräusch und ließ sein Strickkrokodil kreisen. „Ich wär halt ein Ventilator.“
Überhaupt wird er gerade zum Stadtkind, in jedem Fahrstuhl (die meisten älteren sind noch in besseren Zeiten aus Frankreich importiert und haben zwei Türen oder Schiebegitter, meist passt es knapp mit dem Wagen) strahlt er mich an, macht „wwwwwiiiii“ und zeigt auf die Knöpfe. Wwwwiiiii und hoch, bitte.
So, SO vielen Dank für deine Berichte und Geschichten!
Oh, ich freu mich, dass es so gefällt! Sehr!Und über jede Antwort freu ich mich auch 🙂
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Dann füge ich meinen Dank für die täglichen Berichte dazu. Sehr interesssant. Man spricht dort spanisch, oder? Käme man mit Englisch auch durch?
Delta Airlines fliegt weiter nach Chile und mein Freund T. hat seinen nicht angetretenen Flug von gestern nicht mal ein bißchen erstattet gekriegt.
dann trau‘ ich mich auch mal und bedanke mich herzlichst für Ihre Reise und die wunderbare Art, wie wir daran teilhaben dürfen 🙂
@Saxana und Joriste, danke! Ja, hier spricht man Spanisch – argentinisches Spanisch, ziemlich anders als das europäische. In Argentinien kommt man aber auch gut mit Englisch durch (glaube ich). Für Notfälle gibt es dann Leute wie mich, die auf dem Markt mühsam vom Englischen ins Spanische und zurück übersetzen, um dann nach dem vermittelten Gespräch zwischen Händler und Tourist festzustellen, dass das Touristenpaar aus Braunschweig kommt. @Hermano #1 Wo geht der Flug denn genau hin? Denn der Flughafen Santiago war bis heute Mittag noch gesperrt, erster Flug von hier aus heute am späten Abend. Meiner wäre um 8.30 früh gewesen, Glück gehabt! Und wo wollte T. hin? In den Norden? Süden? Im Norden ist wohl nicht viel, aber natürlich eine miese Situation zum Reisen. Und Surfen bei Tsunami-Warnung, naja.Heute war schon wieder ein schweres Nachbeben in der Region Concepción und Maule, und wieder Tsunami-Alarm für die ganze Küste.Kein Reisewetter.Ich hatte auch befürchtet, nichts zu bekommen („höhere Gewalt“ oder aber „wir fliegen bis Mendoza in Argentinien und dann mit dem Bus über die Anden“, das haben sie nämlich Montag und Dienstag mit Angehörigen gemacht, die unbedingt nach Chile wollten. Und wenn ich das „Angebot“ abgelehnt hätte, Pech gehabt. War aber ganz problemlos, musste mir nur ein paar Stempel abholen.)