Aus gegebenem Anlass den ganzen Tag immer wieder über Tätowierungen nachgedacht. Nicht für mich, bewahre. Aber über das Tätowieren an sich und über Motive und Motivationen, und dank Coolcats auf den Körper gebrachtem Satz „fear regret, not failure“ beziehungsweise „on n’est vieux que lorsque les regrets ont pris la place de nos rêves“ insbesondere über den Zusammenhang von Reue und Tätowierungen. Es gibt bestimmt hochdramatische Motivationen (den Namen eines geliebten Menschen, den man verloren hat), den Wunsch, einen besonderen Moment festzuhalten (die 5 olympischen Ringe auf den Körpern der Teilnehmer der Olympischen Spiele), Liebeserklärungen natürlich, das ist wohl ein Klassiker der populären Motive, die „Gaby“ im Herz oder wo auch immer. Oder ästhetische Statements – Verschönerung oder Signal. Im Prinzip kann ich das alles nachvollziehen, theoretisch. Aber machen? Wie vollzieht man den Schritt von vorstellen zu planen zu machen? Ein Schulfreund, der sich „Let love rule“ auf den Arm tätowiert hat, erzählte mir, dass Tattoos süchtig machen. Wenn man eins habe, wolle man ein weiteres. Und noch eins. Und plane bereits das nächste.
Damit das erste vieler Probleme, die sich bei mir – neben einer grundsätzlichen ästhetischen Abneigung – auftun: Wenn man sich für ein Motiv entschieden und es sich eingraviert hat und dann ein neues will – dann muss das doch zum ersten passen. Vom Stil, von der Platzierung. Aber will man das Gleiche zwei Mal? Für mich wären zwei oder mehr unterschiedliche Tattoos vermutlich schon darum ein Ding der Unmöglichkeit, weil ich bereits ein blau-weiß geringeltes Shirt zu einer blauen Hose mit Waffelpiqué für unzumutbaren Mustermix halte und mein Baby heimlich wieder umziehe, wenn Percanto Streifen mit Punkten kombiniert hat oder mehr als zwei Farben (einschließlich Weiß).
Dann: Wie sich für DAS richtige Motiv entscheiden, wenn es denn unbedingt ein Tattoo sein muss? Woher weiß man, dass es genau dieses Bild oder dieser Satz sein soll? Vielleicht ist einem dieser Satz später so fremd wie ein „Abi 2001“-Schild auf der Heckscheibe, besonderer Moment hin oder her? (Nein, hatte ich nicht, weder Abi 2001 noch eine Heckscheibe.) Oder so peinlich und fern wie die Bilder aus der Teddybärenphase mit zwölf? Oder man findet einfach ein noch schöneres? Okay, dann tritt vermutlich der obere Fall ein, und man lässt sich ein weiteres Tattoo stechen, solange Platz ist. Aber bereut man dann nicht doch das ältere Bild, den älteren Text, die ältere Ästhetik?
Was natürlich das Hauptproblem einschließt: Wie soll man sich in alles in der Welt für so etwas Irreversibles entscheiden? Woher weiß man, dass es DAS ist? Ich weiß ja nicht mal sicher, ob es wirklich Pistazieneis sein soll, obwohl die Erfahrungen damit gut sind.
Ich habe auch Ohrringe, in jedem Ohr einen, was mich ungefähr zwei Jahre Probieren (Plastikperlen und ausgeliehene Ohrringe mit Tesafilm an die Ohrläppchen kleben) gekostet hat. Und nun trage ich seit 17 Jahren Ohrringe, jeden Tag, meist total revoluzzerhafte Perlen, und habe es nicht bereut (wenn auch hinterfragt). Insofern kann auch ich irreversible Entscheidungen treffen. Die irreversibelste Entscheidung von allen ist natürlich Baby B. Und zugleich mein größtes Glück, weshalb mir die Irreversibilität immer noch den Atem verschlägt vor Dankbarkeit. Und wenn ich seinetwegen eine Art natürliches Pigment-Tattoo behalten sollte, bitte, geschenkt.
Dennoch schaffe ich es nicht, den Schritt oder die Schritte zur Tätowierung nachzuvollziehen. Wie entscheidet man das? Und das Nachdenken über Tattoos bestätigt mir nicht nur meine eigene Spießigkeit (wobei Arschgeweihe vielleicht auch eher Nachweis von Spießertum und Angepasstheit sind denn Zeichen von Flippigkeit oder ausgeprägter Individualität), sondern auch meine Unentschlossenheit in einigen Belangen. Nach einem halben Jahr in dieser Wohnung hängen noch immer keine Bilder, weil ich nicht sicher bin, welches wo hängen sollte. Dabei können wir jederzeit einen neuen Nagel in die Wand schlagen, und wenn wir zu viele Löcher in der Tapete haben, können wir umziehen, was vermutlich noch viel früher geschehen wird. Vielleicht sogar bevor ich mich durchgerungen habe, den wundervollen kleinen König endlich über den Esstisch zu hängen. Überflüssig zu erwähnen, dass der Künstler entscheiden musste, welches der in die engeren Wahl gekommenen Bilder ich bekomme, oder? Und obwohl ich glaube, dass er richtig entschieden hat (obwohl natürlich die Gescheiterte Hoffnung und Ein kalter Tag auch großartig sind, und natürlich die Maria), trotzdem würde es mir überaus schwer fallen, jemandem meinen Körper zum Bemalen zu überlassen. Ohne Möglichkeiten der Retusche.
Zusammengefasst kann ich weder entscheiden noch jemand anderem alle Entscheidungen überlassen. Zusammengefasst bin ich spießig und bieder und feige. Zusammengefasst denke ich zu viel an mein zukünftiges Ich und weniger an mein gegenwärtiges. Zusammengefasst hätte ich, um auf Coolcats tätowierten Text und somit den Auslöser dieser Überlegungen zurückzukommen, in puncto Tattoos eher Angst, die Tat zu bereuen als das Unterlassen. Aber hey, zusammengefasst brauche ich mir wenigstens einige Gedanken zu meinem Dekolleté nie zu machen. (Hihi.)
Damit das erste vieler Probleme, die sich bei mir – neben einer grundsätzlichen ästhetischen Abneigung – auftun: Wenn man sich für ein Motiv entschieden und es sich eingraviert hat und dann ein neues will – dann muss das doch zum ersten passen. Vom Stil, von der Platzierung. Aber will man das Gleiche zwei Mal? Für mich wären zwei oder mehr unterschiedliche Tattoos vermutlich schon darum ein Ding der Unmöglichkeit, weil ich bereits ein blau-weiß geringeltes Shirt zu einer blauen Hose mit Waffelpiqué für unzumutbaren Mustermix halte und mein Baby heimlich wieder umziehe, wenn Percanto Streifen mit Punkten kombiniert hat oder mehr als zwei Farben (einschließlich Weiß).
Dann: Wie sich für DAS richtige Motiv entscheiden, wenn es denn unbedingt ein Tattoo sein muss? Woher weiß man, dass es genau dieses Bild oder dieser Satz sein soll? Vielleicht ist einem dieser Satz später so fremd wie ein „Abi 2001“-Schild auf der Heckscheibe, besonderer Moment hin oder her? (Nein, hatte ich nicht, weder Abi 2001 noch eine Heckscheibe.) Oder so peinlich und fern wie die Bilder aus der Teddybärenphase mit zwölf? Oder man findet einfach ein noch schöneres? Okay, dann tritt vermutlich der obere Fall ein, und man lässt sich ein weiteres Tattoo stechen, solange Platz ist. Aber bereut man dann nicht doch das ältere Bild, den älteren Text, die ältere Ästhetik?
Was natürlich das Hauptproblem einschließt: Wie soll man sich in alles in der Welt für so etwas Irreversibles entscheiden? Woher weiß man, dass es DAS ist? Ich weiß ja nicht mal sicher, ob es wirklich Pistazieneis sein soll, obwohl die Erfahrungen damit gut sind.
Ich habe auch Ohrringe, in jedem Ohr einen, was mich ungefähr zwei Jahre Probieren (Plastikperlen und ausgeliehene Ohrringe mit Tesafilm an die Ohrläppchen kleben) gekostet hat. Und nun trage ich seit 17 Jahren Ohrringe, jeden Tag, meist total revoluzzerhafte Perlen, und habe es nicht bereut (wenn auch hinterfragt). Insofern kann auch ich irreversible Entscheidungen treffen. Die irreversibelste Entscheidung von allen ist natürlich Baby B. Und zugleich mein größtes Glück, weshalb mir die Irreversibilität immer noch den Atem verschlägt vor Dankbarkeit. Und wenn ich seinetwegen eine Art natürliches Pigment-Tattoo behalten sollte, bitte, geschenkt.
Dennoch schaffe ich es nicht, den Schritt oder die Schritte zur Tätowierung nachzuvollziehen. Wie entscheidet man das? Und das Nachdenken über Tattoos bestätigt mir nicht nur meine eigene Spießigkeit (wobei Arschgeweihe vielleicht auch eher Nachweis von Spießertum und Angepasstheit sind denn Zeichen von Flippigkeit oder ausgeprägter Individualität), sondern auch meine Unentschlossenheit in einigen Belangen. Nach einem halben Jahr in dieser Wohnung hängen noch immer keine Bilder, weil ich nicht sicher bin, welches wo hängen sollte. Dabei können wir jederzeit einen neuen Nagel in die Wand schlagen, und wenn wir zu viele Löcher in der Tapete haben, können wir umziehen, was vermutlich noch viel früher geschehen wird. Vielleicht sogar bevor ich mich durchgerungen habe, den wundervollen kleinen König endlich über den Esstisch zu hängen. Überflüssig zu erwähnen, dass der Künstler entscheiden musste, welches der in die engeren Wahl gekommenen Bilder ich bekomme, oder? Und obwohl ich glaube, dass er richtig entschieden hat (obwohl natürlich die Gescheiterte Hoffnung und Ein kalter Tag auch großartig sind, und natürlich die Maria), trotzdem würde es mir überaus schwer fallen, jemandem meinen Körper zum Bemalen zu überlassen. Ohne Möglichkeiten der Retusche.
Zusammengefasst kann ich weder entscheiden noch jemand anderem alle Entscheidungen überlassen. Zusammengefasst bin ich spießig und bieder und feige. Zusammengefasst denke ich zu viel an mein zukünftiges Ich und weniger an mein gegenwärtiges. Zusammengefasst hätte ich, um auf Coolcats tätowierten Text und somit den Auslöser dieser Überlegungen zurückzukommen, in puncto Tattoos eher Angst, die Tat zu bereuen als das Unterlassen. Aber hey, zusammengefasst brauche ich mir wenigstens einige Gedanken zu meinem Dekolleté nie zu machen. (Hihi.)
Meine zwei Tattoos beziehen sich auf gravierende Änderungen in meinem Leben. Die Motive sind spontan entstanden — und sobald ich wusste, welche ich haben möchte, habe ich ein Jahr gewartet, bis ich sie mir habe stechen lassen. Weil ich wusste, dass ich sie für den Rest meines Lebens tragen werde, wollte ich mir eine ordentliche Bedenkzeit geben. Den Rat gebe ich auch jedem, der über ein Tattoo nachdenkt.Das eine Tattoo ist inzwischen knapp 14 Jahre alt, das zweite sieben. Beide gefallen mir immer noch, und ja, ich denke natürlich auch seit Jahren über ein drittes nach. Wobei ich netterweise (?) im Moment nichts Lebensveränderndes habe, was per buntem Bild festgehalten werden muss. Ich glaube (Achtung, steile Theorie), Tattoos sind wie Kinderkriegen: Entweder man mag’s oder nicht. Es wird wahrscheinlich keine logischen Gründe geben, jemanden davon zu überzeugen, sich tätowieren zu lassen oder schwanger zu werden. Aber wenn man dieses Verlangen in sich trägt, denkt man gar nicht großartig darüber nach.PS: Ich finde coolcats Tattoo wunderwunderschön, würde mir aber nie einen Satz oder auch nur ein Wort in einer Fremdsprache tätowieren lassen, weil ich die ganze Zeit Panik hätte, mein Leben lang mit einem Rechtschreibfehler rumlaufen zu müssen 🙂
Eigentlich wollte ich hier etwas kommentieren. Und als ich aus dem Feedreader hier ins Blog rüber komme, stelle ich fest, dass Anke schon jedes Wort gesagt hat. Nur, dass es hier zehn und fünf Jahre sind, nicht 14 und sieben. Obgleich auch das einen Rhythmus hat. Faszinierend.
ich denke nicht, dass man das grundsätzlich diskutieren kann. einerseits ist es einfach eine frage des typs und der lebenseinstellung, andererseits ist es eine sehr persönliche sache die man, oder die zumindest ich, vor niemandem rechtfertigen oder auch nur erklären muss. und in einem punkt denke ich genau wie anke: kinderkriegen ist genau so irreversibel wie ein tattoo, mit noch viel bedeutungsvolleren und noch viel unvorhersehbareren folgen. die frage „wie um alles in der welt“ etc. ist also auch nur eine des eigenen standpunkts innerhalb der ganzen bandbreite von „irreversibilität“.
ach, immer dieser scheiß mit den zwei identitäten. ringelmiez ist ungefähr die gleiche wie coolcat, sie wissen ja.
@Anke und @Coolcat, die „steile These“ zu Kinderkriegen und Tattoos finde ich gut. Auf den Gedanken, dass ich bei Kindern überhaupt kein Problem mit der Endgültigkeit habe, sondern im Gegenteil immer wusste, dass ich welche bekommen möchte, so sicher, wie ich sonst wenig wusste, bin ich ja selbst auch schon gekommen. Vielleicht hat man „es“ drin – oder eben nicht. Und @Coolcat, ich wollte Dich nicht kritisieren und Dich um Himmels willen auch nicht zu irgendwelchen Rechtfertigungen bringen – natürlich nicht! Ich habe nur überlegt, warum Dein (schöner!) Satz für mich in Sachen Tattoo eine so ganz andere Wirkung hat.
„Arschgeweih“ und „bedeutungsvoller Satz“ sind natürlich zwei grundverschiedene Dinge.Ich gehe ab und zu in ein Fitnessstudio eines alternativen Wohnbezirks einer deutschen Grosstadt,- benutze also Gruppen-Umkleidekabinen.Da seh ich viele Frauen jenseits der sorgenfreien jungen Jahre….und dann bin ich ehrlich gesagt froh darüber, nie tätowiert worden zu sein…Sicherlich spielt hier die Bedeutung des Tattoos eine entscheidende Rolle, und man solltes seinen Körper halt -verdammt nochmal- bitteschön immer lieben und ehren….;-)…..aber ich geh ja leider u.a. ins Fitnessstudio weil das nicht immer der Fall ist…..und so turne ich fleissig weiter…und bin froh, wenigstens kein Tattoo zu haben.
Also früher, Frau Peurcanta, also als ich halb so alt war wie Sie jetzt, da war das gar kein Problem: Tätowierungen sah man auf Seefahrern unterer Mannschaftsgrade, Hafenarbeitern und Karussellbremsern. Sie lasen die Bildzeitung, rauchten Gold Dollar (Autos und Fernsehen waren nicht wirklich ein Thema). Wir belächelten sie wie wir auch die Bodybuilder belächelten. Und wenn diese Mode Vergangenheit sein wird, dann wird sie wieder belächelt werden. Und zum Vergleich mit dem Kinderkriegen: Das müssen Sie langfristig sehen. Kinder bringen ihr bisheriges Leben zum Einsturz, wachsen zur Persönlichkeit heran, fressen Sie auf und brauchen Sie 18 Jahre später (fast) nicht mehr. Dann beginnt Ihr Leben noch einmal. Nur das alte Tatoo ist immer noch da – oder besser nicht?!Gibt es Ausnahmen? Ja, natürlich: Meine Liebe zu Frau Groeners Schreibe ist unkaputtbar, glaube ich jedenfalls . Ja, doch.
„Peur-Canta“, Herr Handfeger? Nu, Sie haben sicher recht, auch damit. Durchaus.
Komisch, dass niemand auf die Idee kommt, dass manchen Leuten der Schmerz gefällt, ich will gar nicht so weit gehen von Masochismus zu reden. Was den Schmerz angeht haben Kinderkriegen und Tatoos gravieren lassen schon entfernt etwas miteinander zu tun, auch darin, dass es sich um etwas Lustvolles handelt. Die Irreversibilität ist nur eine Folge, die in Kauf genommen wird.Der Unterschied zwischen Kinderkriegen und Tatoos eingravieren lassen ist: das erste ist die Lust auf das Leben, der Schmerz lässt sich dabei leider nicht vermeiden. Das zweite ist die Lust auf den Schmerz, das macht süchtig.