Jasper

Heute Nacht ist er geboren, um 4.45 Uhr, während ich neben seinem schlafenden Brüderchen lag und gerade (um 4.47) auf den Wecker seiner Eltern schaute. Ich hatte ‚Rufbereitschaft‘, wenn es losginge würden sie mich anrufen, um J. zu hüten. Am Morgen hatten wir noch mit der kugelrunden Mutter Geburtstag gefeiert, die meinte, irgendwas täte sich, dableiben sollte ich aber nicht, bisher sei ja alles Fehlalarm gewesen, außerdem fände sie weder gemeinsam Geburtstag noch den 13. richtig toll – es würde also bestimmt noch dauern.
Um halb 3 klingelte mein Handy, das seit sechs Wochen nie ausgeschaltet und immer in Reichweite ist, so lag es auch heute Nacht neben dem Wecker. Da ich anders als andere Familienmitglieder keine Rufbereitschaftsroutine habe, erst eine gute Stunde im Bett war und gerade in der ersten Tiefschlafphase seit zwei Tagen, reagierte ich unsouverän: Zuerst stellte ich den Wecker aus. Beim erneuten Klingeln klappte ich das Handy auf, klickte mich durch alle Programme und stellte auch die Weckfunktion am Telefon aus. Dann legte ich das Handy zur Seite, seufzte über die kurze Nacht und schaute auf die Uhr – halb 3 – – – um sofort zu realisieren, dass es natürlich nicht der Wecker war, sondern der lang erwartete Anruf, also mit zitternden Fingern den werdenden Vater zurückgerufen, ja, bitte kommen, Fruchtblase ist schon gesprengt. Beim Telefonieren Schlafanzug gegen Hose und Strickjacke ausgetauscht und in die Stiefel gestiegen, Percanto gebeten, mir ein Taxi zu rufen und zugleich schnell noch ein paar Dinge wie Kontaktlinsen in die fertig gepackte „Kliniktasche“ geworfen. Heute Vormittag entdeckte ich, dass ich sowieso ja alles Wichtige vorgepackt, in der Nacht aber so sinnvolle Dinge wie meine Federtasche und zwei Paar Handschuhe dazugelegt habe.

Der Taxifahrer wollte erst „noch mal anhalten, damit Sie sich in Ruhe sortieren können“ und verdoppelte beim Stichwort „Geburt“ plötzlich die Geschwindigkeit, das Haus war dunkel, aber alle Türen standen offen, um den kleinen großen Bruder nicht zu wecken. Papa gedrückt, er ist ins wartende Taxi gesprungen und seiner Frau ins Krankenhaus hinterhergefahren. Ich habe mir in der dunklen Wohnung mein Lager hergerichtet und lag dann mit Herzklopfen da und lauschte und wartete. J. wurde zwei Mal kurz wach, ließ sich aber durch Streicheln der entgegengestreckten Hand und leises Summen beruhigen. Zwischendurch habe ich auch geschlafen und beim zweiten Trösten gemerkt, dass ich, den Kopf ans Gitterbett gelehnt, längere Zeit statt seines Ärmels die Stoffmaus kraulte. Eigentlich hatte ich mich auf einen langen Tag Warten eingestellt, aber schon um kurz nach 6 schlich sich der nun zweifache Vater in die Wohnung, zerzaust und glücklich. Jasper.
Das Brüderchen erwachte kurz darauf, unterhielt sich mit Papa und Stofftieren, „Hallo, alles dunkel“, „Schnuller weg, Maus besser küssen“, animierte zum Singen „Papi Schafe hüt?“ und fand es unglaublich komisch, dass ich schon da war. Und zwar mit „Schlafanzug an!“
Zum Frühstück in der Küche zwischen all den Geburtstagskerzen und Karten von gestern kam auch der Nachbar von oben, jetzt also, endlich. Mutter und Babylein sind noch im Krankenhaus, so wurde der große Bruder stellvertretend bewundert, alle ergriffen, bleich und ein wenig sprachlos. Mit J. auf dem Arm dann eine Weile am Fenster gestanden und geschaut, wie es hell wurde draußen.
Auf dem Heimweg sind mir lauter ahnungslose Menschen begegnet und drei Schornsteinfeger in vollem Ornat.
Morgen gucke ich mir das Menschlein an; Vater und Sohn sind jetzt mit dem Fahrrad in die Klinik gefahren. „Geht und tragt es in die Welt“, sagte er, und das tue ich, glücklich, müde, gerührt.
Willkommen, kleiner Jasper!