Die Sache mit den Namen

In den Kommentaren zu diesem Beitrag hat es sich ja bereits angedeutet – das mit der Aussprache der Namen klappt bei dieser WM nur so mittel. Auch das mit den Namen, denn die gesamte Berichterstattung ist, unter uns gesagt, ganz schlimm. Zwischen den Spielen wird vorzugsweise der deutsche Bus gezeigt, in der Halbzeit eines Spiels von, nur so als Beispiel, Argentinien und Bosnien-Herzegowina kommt ein launiger Bericht über einen Schweizer Fan, während vor dem Schweiz-Spiel dann mal wieder der deutsche Bus gezeigt wird. Hauptsache, es passt nicht und hat wenigstens 8 Punkte auf der nach oben offenen Irrelevanz-Skala. Auch interessant, wenn in der Halbzeitpause irgendeines Spiels ohne deutsche Beteiligung der deutsche Co-Trainier interviewt wird. Zu solchen entscheidenden Fragen wie der nach seiner Bräune („Sind Sie viel draußen?“), man fasst es nicht. Noch weniger zu fassen sind Kommentare wie die über den Südländer an sich (der halt etwas unorganisiert sei, auch dazu ein knappes Statement unter dem Eintrag unten; und das wird nicht etwa in den Foren von obskuren Online-Foren behauptet, sondern vom offiziellen Reporter im öffentlich-rechtlichen Fernsehen). Es ist schlechterdings nicht zu ertragen.IMG_1567 Und während des Spiels? Taktik findet nicht statt. Die Chef-Kommentatoren von ARD und ZDF nehmen sich da wenig. Stating the obvious, sonst nichts. Das höchste der Gefühle ist die Benennung einer Viererkette. Leute, sowas erkenne sogar ich! Also erklärt mir der Lieblingsitaliener zwischen den Spielen, was nun diese falsche Neun ist, wie sich die defensiven Mittelfeldspieler nach hinten fallen lassen können, wie man früher verteidigt hat und was mit der diametral wegkippenden Sechs ist.
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Was machen also die Leute in den Reporter-Kabinen da, wenn so etwas sie nicht interessiert? Oder sie davon ausgehen, dass es hier draußen bei uns keine Sau interessiert? Und sagt mir nicht, dass das zu kompliziert sei; zu jedem Curling-Spiel der vergangenen Olympischen Spiele gab es mehr Regelwerk-Erklärungen und Taktik-Informationen als bei dieser Fußball-WM insgesamt! Taktik (angeblich, ich habe das nicht überprüft) und Kameras aus allen Richtungen werden dann in die Online-Auftritte der Sender verschoben, dabei haben sie wahnsinnig viele Sendeminuten nicht nur mit Bildern, sondern auch mit dem O-Ton ihrer eigens dafür engagierten Sprecher zu füllen. Was tun diese Sportjournalisten dann also während der Spiele? Sie erzählen etwas über die Spieler. Aber nicht über ihre Position auf dem Feld oder über das, was sie da gerade im Mannschaftsgefüge tun oder tun sollten, sondern zum Beispiel über ihren Werdegang. Die Zahl der Kinder, die ihnen heute im Stadion zujubeln dürfen. Anekdoten zu irgendwelchen Einsätzen in der 78. Minute bei einem Ligaspiel vor fünf Jahren. Trinkspieltauglich: die Benennung der deutscher Mannschaftskameraden in ihren aktuellen Vereinen. („Antonio Candreva, Vereinskamerad von Klose bei Lazio Rom“, you name it. Immer.) Also, sie nennen die Namen und lesen die Informationen ab, die sie dazu auf ihren Tablets haben oder die ihnen noch so einfallen. Ansonsten: das, was man sieht. 90 Minuten lang (oder 90+5 bei dieser WM) nur die Namen zu nennen und Anekdötchen zu erzählen, meine Güte, das kann doch nicht befriedigend sein! (Für den Hörer ist es das nicht. Aber doch gewiss auch nicht für den Reporter! Das glaube ich nicht – puh, wenn ich mir vorstelle, ich dürfte in 90 Minuten Literatur-Seminar alle Autoren-Namen sagen und alles, was mir zu den Titelbildern einfällt, aber bloß! nichts! zu Erzähltechnik, Handlung oder Figurenkonstellation. Don’t mention the plot! Hilfe.)
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Ok, nehmen wir an, der Reporter findet das irgendwie doch befriedigend, 90 Minuten lang ausländische Namen und Vereine auf dem Spielfeld zu verschieben. Wenn es das ist, dann verstehe ich noch immer nicht – noch lange nicht und eigentlich erst recht nicht -, warum man sich nicht wenigstens darauf vorbereitet. Bei ARD und ZDF gibt es doch Datenbanken und Spezialisten, und wenn nicht, ist das ganze Stadion voller Muttersprachler, von denen man kurz mal einen zur Seite nehmen könnte. Warum also ist es nicht möglich, sich um die Aussprache der Namen zu bemühen? Also, die in der jeweiligen Sprachen ungefähr vorgesehene? Es ist möglich, und wenn es nicht geschieht, ist das in meinen Augen (oder Ohren) ein Zeichen von Desinteresse. Es geht nicht darum, dass fremdsprachige Wörter schwierig auszusprechen sein können, ich möchte auch nicht über Schwierigkeiten mit Fremdsprachen lästern, wenn das nicht der Job ist (Thank you for travelling, das meine ich nicht). Aber eben: sie nennen nur die Namen, die Namen stellen das Herz (oder das dürre Skelett) ihrer Berichterstattung dar. Und die Grundregeln der Aussprache scheinen dabei einfach egal zu sein. Entweder werden manche Namen konsequent falsch ausgesprochen, oder der Reporter variiert sich so durch. Wenn man einen Namen an drei Stellen betonen kann, kommt jede Variante mal dran, am Ende stimmen dann 33%. Und ich finde das nicht belanglos, für mich ist das eine Form der Respektlosigkeit, der mangelnden Wertschätzung der jeweiligen Spieler (und/oder Länder). Ist das übertrieben? Mal ein Beispiel aus einer anderen Sportart. Bei den Mannschafts-Europameisterschaften der Leichtathleten am vergangenen Wochenende überraschte die junge Diskuswerferin Shanice Craft, die das deutsche Team in dieser Disziplin vertrat, und wurde zweite. Der Reporter gratulierte artig und fragte sie dann, smalltalkend, wie er denn ihren Namen aussprechen solle – wie das deutsche Wort „Kraft“ oder eher englisch, Cräft? Soweit, so korrekt. Wenn man es nicht weiß (und vergessen hat, sich vorher zu informieren), einfach mal jemanden fragen, der Ahnung hat, im Zweifel den Namensträger selbst. Shanice Craft lächelte tapfer und sagte, die englische Aussprache sei ihr lieber „und auch richtig“. Ok, sagte der Reporter, „Cräft“, und fügte an: Als Zweitplatzierte der Europameisterschaften dürfe sie sich das auch aussuchen. Bitte? Man muss sich das Recht, vernünftig ausgesprochen zu werden, erarbeiten? Unter den Medaillenrängen geht da leider nichts und jeder darf so viel vor sich hin verhunzen, wie er lustig ist? Unter anderem das meine ich mit Respektlosigkeit. IMG_1569In Deutschland gab es ja mal ausführliche Diskussionen um den Namen des brasilianischen Fußballers Grafite. Ein Reporter sagte dann irgendwann, ganz im Geiste des eben aus dem Gedächtnis zitierten Leichtathletik-Journalisten, „Grafiet, oder Grafitschi, wie er selbst gerne ausgesprochen werden möchte“. Nein, nochmal: Der heißt so. Das ist keine kapriziöse Idee eines Sportlers mit Star-Allüren, dass er „gerne so genannt“ würde. Der Name wird im brasilianischen Portugiesisch (der meisten Regionen, so einfach ist das nicht, leider) eben so ausgesprochen. Gilt übrigens auch für den Spieler Dante. (Als ich noch einen etwas komplizierteren Namen hatte, hat mir auch mal jemand eine andere Aussprache vorgeschlagen – „aber so geht das doch auch, eigentlich.“ Nein, geht es nicht. Glaubt den Leuten doch einfach, sie werden schon wissen, wie sie heißen.)

So. Es hat mich etwas davongetragen. Eigentlich wollte ich nämlich gar nicht schimpfen, sondern was erklären. Nämlich die Aussprache von einer Gruppe von Namen, von denen es überdurchschnittlich viele gibt bei dieser WM, die spanischsprachigen. (Die italienischen Namen würden auch einen Erklärtext verdienen, aber wir haben nach dem letzten Gruppenspiel noch einen kleinen Kater. Der Lieblingsitaliener antwortet aber bestimmt bald wieder gerne auf linguistische Fragen zu seinem Team, Sie können solange schon mal mit „Stracciatella“ üben.)
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Also. Erklärteil. Ich erkläre nun ein paar Grundregeln zur spanischen Aussprache und insbesondere zur Betonung spanischer Wörter, mit denen sich die meisten Namen der spanischsprachigen Teams lösen lassen. (Disclaimer: Ich mache das bewusst nicht mit der Fachterminologie, und vollständig ist der Erklärteil auch nicht.)

  1. Sagen Sie erstmal das, was da steht. Ohne Extras.
    Beispiel: Der Trainer von Chile heißt Jorge Sampaoli. Man hört immerzu „Sampajoli“. Da ist aber gar kein J. Einfach Sam-Pa-O-Li. Auch wenn das dann so ähnlich wie Sankt Pauli klingt, das ist schon ok so.
  2. Sagen Sie erstmal das, was da steht. Ohne Verluste.
    Spanisch ist ja nicht Französisch, lassen Sie die Endungen ruhig dran. Bei Luis und Javier und del Bosque darf man auch die letzten Buchstaben noch hören.
  3. Dann aber auch: Sagen Sie nicht genau das, was da (anscheinend) steht.
    • ñ. Den besonderen spanischen Buchstaben ñ kennen Sie zum Beispiel von „el niño“, das klingt einfach wie nj. Beispiel: Camilo Zúñiga klingt in der Mitte wie Zúnjiga.
    • ll. Anders als im Deutschen ist z.B. das doppelte L kein L mehr, sondern – regional unterschiedlich – ein Laut, der wir „lj“ klingt oder wie „j“ oder auch wie „sch“. Beispiel: Der Trainer von Argentinien heißt Alejandro Sabella. Man hört hier meist „Sabella“, wie das italienische „bella“. Sagen Sie stattdessen „Sabelja“ oder „Sabena“ oder, wenn es wie am Río de la Plata klingen soll, „Sabescha“. [Hier bitte die Kommentare lesen. Italiener in Buenos Aires. Es bleibt kompliziert.]
    • s. Und das S bitte stimmlos. Sabella also nicht wie die Kurzform von Isabella, sondern mit scharfem S: ßabelja, ßabeja oder ßabescha. So etwa. (Gilt auch für den oben genannten Spieler Zúñiga. Wenn Sie sich vorwiegend südamerikanisch fühlen: ßúnjiga. Sind Sie eher in Europa zu Hause: Statt ß ein Lispel-Z vorweg, Rest bleibt gleich.)

    Beim ll und beim c/z wurde schon deutlich, dass es ein paar grundlegende Unterschiede zwischen dem europäischen Spanisch und dem der meisten lateinamerikanischen Länder gibt. Das macht aber nichts, man versteht und akzeptiert auf beiden Seiten des Atlantiks die verschiedenen Varianten. Ob Sie also, beispielsweise, bei za  /ce / ci / zo / zu das c/z wie ein englisches th lispeln (Spanien) oder wie ein stimmloses s sprechen (viele Regionen Lateinamerikas), ist Ihre Entscheidung. Und das j? Wie das ch in Dach. Ale-Chandro. H bleibt stumm, und wenn Sie ein Zungenspitzen-R können, rollen Sie drauflos, wenn nicht, macht das auch nichts.
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  4. Grundregeln Betonung:
    Mit der Betonung der Namen wird von den Kommentatoren lustig herumexperimentiert. Fernández, Fernández und Fernández kamen etwa gleich oft vor, auch Suárez, Suárez und Suárez waren zu je einem Drittel auf dem Feld. Die Chance, den jeweiligen Namen richtig zu betonen, lag damit bei gut 30%. Das geht besser. Und zwar so:
    Im Spanischen wird normalerweise die vorletzte Silbe betont. Beispiele: Cuadrado, Ospina, Muslera, Torres. Gilt auch für Vornamen: Fernando, Pablo, Arturo.
    Ausnahme a) Das Wort endet auf einem Konsonanten (außer -s oder -n). Diese Konsonanten sind meist -r, -z oder -l. Dann wird die letzte Silbe betont. Beispiel: Vidal. (Endbetont: Vidal.)
    Ausnahme b) Ein Akzent sieht etwas anderes vor, dann wird die Silbe mit dem Akzent betont. Immer.
    Und Ausnahme b) übersticht Ausnahme a).
    Das ist bei Namen ziemlich häufig, denn spanische Namen enden recht oft auf -ez. Bei -z am Ende greift eigentlich Ausnahme a), die aber dann häufig durch Ausnahme b) – nämlich einen auf der vorletzten Silbe platzierten Akzent – wieder aufgehoben wird. Beispiele: In aller Munde: Suárez. -z am Ende heißt eigentlich Betonung auf der letzten Silbe (das wäre *Suarez). Auf dem a ist aber ein Akzent, und der Akzent ist stärker als die Regel der Endbetonung, also bitte die Silbe mit dem Akzent betonen: Suárez. Nach gleichem Prinzip funktionieren Gutiérrez, Fernández, Gonlez, Hernández oder rez. Die Betonung sitzt praktischerweise immer da, wo der Akzent steht. (Immer.) Beim Trainer Uruguays, Óscar Tabárez, greift die Akzent-Regel gleich zweimal: Weil die Wörter auf -r bzw. -z enden, müssten Vor- und Nachname endbetont sein. Die Akzente ändern dies aber und schieben die Betonung jeweils auf die vorletzte Silbe, also Óscar Tarez. Anderes Beispiel: Bei Cáceres müsste die Betonung ganz regulär auf der vorletzten Silbe sein (wie bei Torres), aber der Akzent zieht sie auf die vorvorletzte Silbe: ceres. Natürlich kann der Akzent die Betonung auch auf die letzte Silbe ziehen, wenn die eigentlich unbetont wäre, so wie bei Fredy Guarín.

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Morgen beginnen die Achtelfinals mit sechs spanischsprachigen Ländern, aber ohne Suárez. Viel Spaß beim Zuhören – und Macnelly Torres fragen Sie dann vielleicht selbst nochmal, wie sein Vorname korrekt ausgesprochen wird. Am besten auch dann, wenn er nicht den Pokal nach Hause bringt und sich die richtige Aussprache seines Namens ehrlich verdient hat.

Und jetzt würde ich mich freuen, wenn mir jemand die Namen der Niederländer erklärt. Ich stolpere doch sehr, wenn ich diese – zu meinem Aussprache-Glück fast leere – Doppelseite aus dem Panini-Album vorlesen muss. Jordy Clasie? Jasper Cillessen? Wie habe ich mir das vorzustellen?

Guten Morgen, du Vielfrag [10.12.2013]

„Was heißt Kyrie Eleison?“

[Aber auch:
„Was heißt www Punkt de?“
„Wie wachsen Weintrauben ohne Kern?“
„Was heißt züchten?“
„Können wir auch einen Weintraubenbaum pflanzen?“
„Warum kann man hier nicht mit Geld aus Chile bezahlen?“
„Warum haben Wellensittiche Angst, wenn man hinten an ihrem Schwanz langgeht?“
„Sind Omi und Opi verheiratet?“
„Können wir auch mal heiraten?“
„Wer von Euch kommt in den Rollstuhl, wenn Ihr alt seid?“
„Warum werden Leute kleiner, wenn sie älter werden?“
„Denken wir an Gott?“
„Wo ist die 10?“]

Vom Unübersetzbaren

Mir wurde gerade ein Link zu einer Sammlung unübersetzbarer Wörter diverser Sprachen zugeschickt. (Ich glaube übrigens, zumindest Teile davon kürzlich woanders gesehen zu haben – im SZ-Magazin vielleicht? In der ZEIT?) Die Liste enthält unter anderem aus dem Deutschen Waldeinsamkeit (da gibt es doch bessere Beispiele, gibt es nicht?), aus dem Spanischen sobremesa und aus dem Italienischen culaccino, was das Beispiel ist, das ich schon woanders mit gleicher Illustration gesehen zu haben meine. (Unübersetzbarkeit – was geht mit solchen Verbketten?) Ich habe nun aus dem Stegreif auch keine Übersetzung in einem Wort (das ist wohl gemeint) für einen Begriff wie culaccino, wollte aber trotzdem eigentlich schon im ersten Satz „Sammlung vermeintlich unübersetzbarer Wörter“ schreiben. Denn so hübsch solche Listen sind, so viel die gelisteten Wörter auch über die Mentalität und die Prioritäten der zu den jeweiligen Sprachen gehörigen Kulturen zu verraten scheinen, wäre doch zu fragen, inwiefern sie tatsächlich „unübersetzbar“ sind.
Bei einem der großartigen Wolfenbütteler Übersetzer-Workshops für Lyrik(er), an denen ich teilnehmen durfte, ging es – natürlich, wie immer bei Lyrik-Übersetzung – am Rande einmal um die Frage, ob Lyrik überhaupt übersetzbar sei. Diese Frage wird gerne auch als Vorwurf formuliert, wenn man sich an Gedichtübersetzungen versucht. Ob das überhaupt gehen könne, und ob man nicht wenigstens ein echter Dichter sein müsse für sowas. Und mithin das ganze Unterfangen pure Anmaßung. Nun, Dichter, auch einer der Berufe, für die man seine Eignung nicht in einer staatlichen Prüfung mit Zertifikat nachweist. Aber ich schweife ab. Was jedenfalls einer der beteiligten Lyriker und Übersetzer zu dieser Überlegung sagte, war: „Ein Gedicht ist so lange unübersetzbar, bis es jemand übersetzt.“
Was für ein wunderbarer Satz.
Der Link wurde mir übrigens wegen Punkt 5 auf der Liste zugeschickt:
Russian: Pochemuchka
Someone who asks a lot of questions. In fact, probably too many questions. We all know a few of these.“
Pochemuchka ist allerdings sehr hübsch. Als meine lieben Leser wissen Sie natürlich bereits, dass so ein Wort gewiss auf jede Liste gehört, die etwas auf sich hält; Sie wissen aber auch, dass das mit der Unübersetzbarkeit allerdings so eine Sache ist. Liebe Russisch-Übersetzer, liebe Listen-Ersteller: Ohne von Ihrem Problem zu wissen oder mehr als 20 Wörter Russisch zu können, habe ich die fragliche Vokabel schon mal für Sie übersetzt und zumindest hier im Blog als festen Begriff auf Deutsch etabliert. (Gut, jetzt kommt der Einwand mit der kritischen Masse, um von „etabliert“ reden zu können, aber hier ist er. Pochemuchka.)
Ein Wort ist so lange unübersetzbar, bis es jemand übersetzt. Nehmen Sie pochemuchka also von Ihrer Unübersetzbarkeitsliste und schreiben Sie stattdessen den Vielfrag in Ihr Vokabelheft. Und denken Sie dabei an meinen kleinen Jungen.

 

Hieronymustag

Heute, am 30. September, ist der Gedenktag des Heiligen Hieronymus. Alle, die zufällig Hieronymus heißen, können also heute Namenstag feiern (herzlichen Glückwunsch dazu), vor allem aber begehen die Übersetzer diesen Tag als den ihren, denn Hieronymus ist Schutzpatron der Übersetzer.
Isabel hat sich bereits zu diesjährigen Veranstaltungen aus diesem Anlass geäußert. Ich nutze die Gelegenheit auch, um auf eine Veranstaltung in drei Wochen hinzuweisen: Am 25. Oktober liest und spricht die Spanisch-Übersetzerin Susanne Lange im Literarischen Zentrum Göttingen in der schönen und jetzt schon verdienstvollen Reihe „neu_übersetzt“. Es geht um ihre monumentale Neuübersetzung des ebenso monumentalen Don Quijote, und ich darf den Abend moderieren. Diese Übersetzung wurde ausnahmsweise von den Medien ziemlich aufmerksam wahrgenommen, und außer bei der Ansicht des Originals oder Lektüre der Übersetzung der zwei Bände selbst kann man auch beim Anhang und den Kommentaren ab und zu ehrfürchtig verstummen. Mit Verstummen wird man Literatur und Literaturübersetzung natürlich nun nicht gerecht, und für ein abendfüllendes Gespräch mit einer Übersetzerin ist Verstummen schon gar der völlig falsche Ansatz. Darum fange ich gleich heute, am Hieronymustag, mit den Fragen an. Und ich frage erst einmal Sie und Euch: Was würde Euch denn interessieren an so einem Abend? Welche Fragen zum Quijote, zu Susanne Langes Großprojekt oder zum Übersetzen ganz allgemein würden Sie denn interessieren?
(Keine Sorge, ich bereite mich dann schon ordentlich vor und mache mir sowieso auch meine eigenen Gedanken – aber: „El andar en tierras y comunicar con diversas gentes, hace a los hombres discretos.“ Und ein bisschen klüger, und den Abend vielleicht noch interessanter.)

 

 

Mit Bleistift denken

Isa erzählt ein bisschen von Zwischenstationen auf dem Weg zu ihrem Beruf als Literaturübersetzerin. Vor allem aber zeigt sie uns dabei ein altes, gründlich bearbeitetes Blatt, eine Manuskriptseite, auf welcher der Ausgangstext von den Anmerkungen, Übersetzungsüberlegungen und Pfeilen völlig umrankt und überwuchert wird. (Unlesbar war er vor dieser gründlichen Bearbeitung auch schon, für mich jedenfalls.) Wunderschön. Ich liebe solche Skizzentextblätter. Einmal habe ich mir von einer Studentin das Blatt mit ihren vielfarbigen Überlegungen um ein zu interpretierendes Gedicht herum schenken lassen, einfach weil ich dieses gekritzelte Denken so gerne anschaue. Schön.

Reimen

Ich habe gerade mal wieder einen Übersetzungsauftrag, es geht um alte, volkstümliche Lieder aus Spanien, zum Teil auf Sephardisch. Die Texte sind nicht immer streng rhythmisch, und ihre Reime sind eher unregelmäßig verteilt und ganz überwiegen assonant. Auf Deutsch wären es „unreine Reime“, im Spanischen sind solche Reime aber nicht despektiertlich „unrein“ – und tunlichst zu vermeiden – sondern schlicht eine andere Art Reime, die genauso viel wert sind und oft gezielt einzusetzen sind als integraler Bestandteil bestimmter Gattungen. Ich übersetze sie trotzdem wenn möglich mit „reinen Reimen“, da Assonanzen im Deutschen eher wie klägliches Versagen des (Nach-)Dichters klingen. Ich brüte also über mehrere Hundert Jahre alten Versen und versuche sie in ein klingendes, angemessenes Deutsch zu bringen, da tritt Isa nebenan eine Limerick-Lawine los. Sie sucht Säuisches in strenger Form und heiterem Sinn. Säuisch kann ich ja nicht, dafür bin ich viel zu bieder, aber bei Limericks kann ich schlecht widerstehen. Also reime ich Limericks, schreibe sie nebenan in die Kommentare, kehre dann brav zu mir nach Hause zurück und habe doch fortan beim Übersetzen einen Limerick-Sound im Ohr. Das kann ganz gut sein, in meinen Übersetzungskursen habe ich manchmal lange Texte als Limerick übersetzen zu lassen – als Fingerübung und um sich von der Wörtlichkeit zu lösen. Meine sephardischen Lieder sind allerdings keine Limericks, das Reimzentrum ist nun aber gelockert und formuliert so manchen Vers entspannt um, Hauptsache die Pointe sitzt. Dann ist da aber gar keine Pointe und ich muss zurück auf Anfang. Aber wer könnte einem Wels am Haken widerstehen, wenn auf wälzen und Laken gereimt werden soll? Eben.
Oder der Schluss von diesem Lied:

„Dámelos tú por amor
Sabrás, la mi querida
Que por tí me muero yo.“

Entweder macht man daraus einen Schlager, das passiert auch gern von allein (etwas weiter oben ist von sieben Städten die Rede, durch die er ging. Über sieben Brücken, und über den Wolken, da wird dann Marmorstein und Eisen sein.) Die folgenden Zeilen sind da doch eine vollkommen angemessene Übertragung, scheint mir:

„Aus Liebe gib sie mir,
[…]
ich sterbe doch für dir
die Sprache stirbt gleich mit
dann sterben wir zu dritt.“

Für eine Gernhardtisierung der Übersetzungen. Und jetzt mach ich aus dem Lied noch einen Limerick, so kann das ja nicht stehen bleiben.

Mehr Rhetorik!

Gestern war schon der zweite kinderfreie Abend die Woche, und nachdem wir Montag bei Rosemarie Tietze und Tolstoi in der wunderbaren neuen Literaturreihe „neu_übersetzt“ waren, gingen wir gestern Billard spielen. In der Kneipe lief Championsleague, und ich gewann wie Schalke 3:1. Highlight des Abends waren aber die Kommentare der Sky-Reporter: Sammer sprach vor dem Spiel von „nerval“, jemand war, glaube ich, in einer „nerval schwierigen Situation“ (muss es nicht „nervesk“ heißen?), und dann hörten wir während des Spiels (der Name des Kommentators wurde leider nicht mehr eingeblendet) ein großartiges Zeugma, eines der schönsten, die mir seit langem begegnet sind:
„Schalke spielt vorne mit Mut und Raul und Farfán.“

Wundervoll. Ich nehme es gleich in meine Beispielliste rhetorischer Figuren. Was für ein hinreißendes Zeugma, Fußball, welch Quell der Freude!

gute kostprobe

Eine Packung italienischen Brotersatzes, viersprachig beschriftet. Nehmen wir den Serviervorschlag aus dem deutschen Text:

PIADINA ROMAGNOLA – BACKWAREN
Fuer eine gute kostprobe: Gut im Gegenhaftend erwärmen oder auf eine warme Platte legen, mit Schinken und käse fuellen, Stracchino, Butter, Marmelade oder was die fantasie eingibt.

Nachdem wir in der Küche erfolglos unser Gegenhaftend gesucht haben, half ein klärender Blick auf den italienischen Text:

Scaldare in una padella antiaderente o una piastra già calda […]

Gegenhaftend! Eine wörtliche Übersetzung der einzelnen Bestandteile des italienischen Adjektivs, eine padella antiaderente ist eine beschichtete Pfanne, bzw. eine Pfanne gegenklebend, kurz: ein Gegenhaftend.

Als Stracchino nehmen Sie einfach das, was Ihre fantasie eingibt.

Veranstaltungshinweis: Alissa Walser und Pablo de Santis

Morgen Abend, also Montag, 27. September 2010, unterhalte ich mich ab 20 Uhr im Literaturhaus Frankfurt mit der deutschen Autorin Alissa Walser und dem argentinischen Schriftsteller Pablo de Santis. Wir werden sicher über ihre Bücher und besonders ihre neusten Romane sprechen, Am Anfang war die Nacht Musik bzw. El Enigma de París / Das Geheimnis von Paris, vor allem soll es aber um die Erfahrungen der beiden als Stadtschreiber im jeweils anderen Land gehen. Im Rahmen des Programms Rayuela war Alissa Walser für einen knappen Monat in Misiones in Nordargentinien, Pablo de Santis ist noch in Frankfurt. Ich bin gespannt, was (sich) die beiden zu erzählen haben.
Das Literaturhaus sieht sehr imposant aus und hört sich bei den von dort übertragenen Veranstaltungen auch so an.
Es gibt bestimmt noch Karten.