Heile Welt der Kinderlieder und Märchen: Liebes Füchslein (1)

Die heile Kinderwelt bekommt früh Risse. Schon lange sprechen wir über den Tod, über den Himmel, über gestörbte Igel und gestörbte Großeltern. Und das Kind kommt mit seinen drei Jahren mit Fragen nach dem Krieg, „Krieg“ hat er irgendwo aufgeschnappt, im Radio berichten sie von Syrien, Israel, Afghanistan, was ist Krieg, Mami? Wofür braucht man Granaten? Und warum machen sich Menschen selbst tot? (Und dann geht es von vorne los: Was ist dann mit den toten Menschen? Warum habt Ihr Deine Omi verbuddelt? Hast Du dann ganz laut geweint? Wann stirbt man, bei 11? Die tote Schnecke lag doch im Wald, sie kann nicht im Himmel sein, hast Du Quatsch gesagt. Was ist die Seele? Und wie hast Du das Huhn für die Suppe tot gemacht, Mami?)
Nachrichten sind nichts für Kinder. Was ist mit Märchen? „Kinder- und Hausmärchen“? Die vermutlich grausamsten Geschichten der Welt. Kinderlieder? Kinderlieder.
Wir haben gerade eine Fuchs-Du-hast-die-Gans-gestohlen-Phase. Singen schon vor dem Frühstück, Singen auf dem Fahrrad, Singen überall und jederzeit. Und Texterklärung! Was ist eine Flinte? Was ist Schrot? Und was ist die rote Tinte? Wir singen, wir singen wieder, wir basteln eine Fuchs-Du-hast-die-Gans-gestohlen-Laterne, mit roter Tinte, Mami, Du musst noch das Blut ausschneiden. Wir spielen in verteilten Rollen, Du bist die Gans, Mami, ich bin der Fuchs, und jetzt bist Du die Gans, die alleine auf dem Bauernhof bleibt, und da kommt der Jäger. Und er erklärt selbst:


„Und dann fliegt der Schrot aus dem Schießgewehr ganz schnell zum Fuchs, Schrot sind kleine, harte Steine, und dann fliegt der Schrot dem Fuchs in den Mund, und dann rutscht er in den Bauch und dann kommt die rote Tinte aus dem Knie vom Fuchs und er stirbt. Und wenn der Jäger ihn dann tritt, stirbt er noch mehr. Aber das macht nichts, er ist ja schon tot, dann ist er nur noch töter.“
Kinderlieder für den Weltfrieden.

Petite Apokalypse

Und dann war da der Moment, als wir alle nach dem letzten Konzert auf dem ziegelroten Kirchenvorplatz standen, die neuerdings auf Konzertreisen eingeführten Proseccodosen noch in der Hand und die Musik fast noch im Mund und lange noch im Ohr. Hinter uns ragte der Kirchturm mit fratzenziehenden Wasserspeiern, über uns die Krone einer alten Kastanie, dazwischen Abendsonne. Norddeutsches Idyll, in das plötzlich ein Vogel fiel. Er stürzte schnurgerade aus dem Laub über uns, durch nichts, durch keine Reaktion, kein Flügelschlagen abgefangen, und blieb nach dumpfem Schlag auf dem Stein liegen. Und er sah, daß sich der Himmel auftat, und den Geist gleich wie eine Taube herabkommen auf ihn.“ Ein Federchen trudelte nach, „alle Augen warten auf Dich, Herre“ und waren auf den grauen Körper gerichet. Eine kleine Ringeltaube, die nicht mehr zurückschaute, denn über dem weißen Ringel am Hals fehlte der Kopf.
Oh.
Und dann ein zaghaftes Stimmchen: „Ist die tot?“
Ziemlich. „Nun aber bleibt Taube, Hoffnung, Liebe, diese drei„, doch war in diesem Fall die Hoffnung vergebens.

40 Tage Buenos Aires [40]


Tag 40, 26. März 2010: Sieh nur, der Mond. Mira, la luna.
Unter dem Obelisken bietet ein Mann einen Blick durchs Teleskop an, einmal ganz nah an den Mond für 2 Pesos.

Heute fliegen wir. Wir haben die hiesige Großmutter nach einem allerletzten Ausflug zum Spielplatz und zur Parrilla verabschiedet, Baby B schläft gerade Siesta und wir haben fast alles gepackt, „der Rest reist oben“, viel Handgepäck. Der Rest sind Formalia, die Wohnung besenrein zurückgeben, alle Schlüssel retour, und dann wir selbst. Remis kommt um 5, Freitag Nachmittag im Feierabendverkehr aus Buenos Aires herauszufahren, könnte zeitaufwendig werden.
Und dann? Dann haben wir diesen Tango im Kopf – „Mein geliebtes Buenos Aires, /wenn ich dich wiedersehe werde / wird kein Schmerz noch Vergessen mehr sein.“
Aber hoert selbst.

(Wenn der verborgene Link schon wieder nicht geht: http://www.todotango.com/spanish/las_obras/letra.aspx?idletra=223)

Mi Buenos Aires querido
cuando yo te vuelva a ver,
no habrá más pena ni olvido.

El farolito de la calle en que nací
fue el centinela de mis promesas de amor,
bajo su quieta lucecita yo la vi
a mi pebeta, luminosa como un sol.
Hoy que la suerte quiere que te vuelva a ver,
ciudad porteña de mi único querer,
y oigo la queja
de un bandoneón,
dentro del pecho pide rienda el corazón.

Mi Buenos Aires
tierra florida
donde mi vida
terminaré.
Bajo tu amparo
no hay desengaños,
vuelan los años,
se olvida el dolor.
En caravana
los recuerdos pasan,
con una estela
dulce de emoción.
Quiero que sepas
que al evocarte,
se van las penas
de mi corazón.

La ventanita de mi calle de arrabal.
donde sonríe una muchachita en flor,
quiero de nuevo yo volver a contemplar
aquellos ojos que acarician al mirar.
En la cortada más maleva una canción
dice su ruego de coraje y de pasión,
una promesa
y un suspirar,
borró una lágrima de pena aquel cantar.

Mi Buenos Aires querido,
cuando yo te vuelva a ver,
no habrá más pena ni olvido.

(Le Pera / Gardel)

„… ein Versprechen / und ein Seufzer / es löschte eine Träne des Schmerzes dieser Gesang.“

Zu tragisch?
Dann nehmen wir das gleiche Motiv, aber modern – der Titelsong der beliebtesten Telenovela des Jahres, „Valientes“, heißt „Volver“, und er wird im Radio rauf und runter gespielt. Eine echte
Latin-Pop-Schnulze.

Aber bevor wir hierher zurückkommen, kommen wir erst nach Deutschland zurück. Ich wünsch uns eine gute Reise und bis morgen!


Probenohr

„Exultate!“ mit Britten, Stanford, Tavener, mit Poulenc und Robin, Mäntyjärvi und Rautavaara – schon schön, streckenweise aber eben auch ganz schön schräg. Nach den (rein musikalischen) Dissonanzen am Probenwochenende bestand meine private Zugabe darin, den Sonntag mit einem nässenden Ohr zu beenden. Das linke Probenohr stand gegen Morgen zunehmend unter Wasser, weitere Symptome gesellten sich dazu, ärztlich verifiziertes Ergebnis: Gehörgangsentzündung.
Es ist wie bei Heiligen: Zu viel Beschäftigung mit dem Höchsten führt zu Stigmata, zu viel Rautavaara – und Poulenc -Akkorde aushören zu Tropfohr.
Alles halb so wild, es tut nicht mal wirklich weh. Für die Pointe wäre mir natürlich ein veritabler Trommelfellriss lieber gewesen. Trommelfellriss nach langem Fis! Aber man kann nicht alles haben.
Veröffentlicht unter Lala

Kleine Nachtmusik

Am Wochenende war ich alleine bei der Chorprobe. „Allein“ heißt natürlich nicht ohne meinen Chor (das wäre allerdings fast passiert, da ich eigentlich erst am kommenden Freitag zum Probenwochenende fahren wollte und dann sehr, sehr einsam hätte meine Töne üben müssen, aber es gibt ja zum Glück gute Freunde, die auf mich aufpassen und mich zum richtigen Zeitpunkt einpacken und zum Singen mitnehmen); alleine heißt, ich war erstmals p.B. ohne Kind beim Proben, erstmals über Nacht ohne mein Baby, gleich volle 46 Stunden am Stück ohne ihn. Quasi amputiert.
Wir haben an den drei Probentage nicht wenig außerordentlich schiefe Töne produziert, von denen einige so sein sollen (ja, das muss so klingen, die spinnen, die Engländer, und die Finnen spinnen natürlich auch, aber sie tun das ganz fabelhaft), während andere der schiefen Töne noch etwas Verbesserung bedürfen, weil dissonant und komisch natürlich nicht gleich dissonant und komisch ist. Einiges könnte ziemlich großartig werden, wenn wir die schrägen Akkorde dann mal an den richtigen Stelle in der richtigen Schräglage produzieren.
Nach drei Tagen und zwei Abenden mit viel Gesang, aber fern vom Herzchen, habe ich es heute sehr genossen, das Babykind ins Bett zu bringen. Da er zuvor schon einmal im einschneienden Kinderwagen eingeschlafen war (es kann nicht immer klappen), hat es eine ganze Weile gedauert, bis er halbwegs bereit war, sich wieder auf Schlafen einzulassen. Bis dahin lag er fröhlich im großen Bett neben mir, zeigte mir alles, da!, da!, da! (denn ich hatte in den beiden langen Nächten ohne ihn bestimmt vergessen, wo die Lampe hing und wo das Mobile), versuchte meinem alten Bären die Nase abzubeißen, fummelte in meinem Mund herum, erzählte von seinem Wochenende und schubste die Spieluhr herum.
Schließlich wurde er ruhiger, sein Köpfchen lag auf meinem Arm und wir beide fast Nase an Nase, er hatte seinen Schnuller im Mund, brummelte vor sich hin und schaute mich an. Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen, stimmte ich leise an, ganz leise, wie jeden Abend, am Himmel hell und klar. Der Wald steht schwarz und schweiget, und Baby B. schwieg auch, sah mich nur an, und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar.
Gemeinsam atmen, ruhig atmen, zweite Strophe.Wie ist die Welt so stille, und in der Dämmrung Hülle, so traulich und so hold, er nahm sich den Schnuller aus dem Mund und schaute mich weiter unverwandt an, als eine stille Kammer, wo ihr des Tages Jammer verschlafen und vergessen sollt. Keine komischen Akkorde, keine aufregenden Arrangements, nur der alte Text und die vertraute Melodie und mein Baby, das mich anschaut, den Schnuller in der Hand. Seht ihr den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen, und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn. Atmen. So legt euch denn, ihr Brüder…“Öh“, sagte mein Kind, und steckte mir seinen Schnuller gezielt in den Mund.
Manche Urteile, gerade wenn sie von gänzlich von Theorie unverbildeten, unvoreingenommenen Kritikern kommen, muss man wohl einfach hinnehmen. Die letzte Strophe mögen Sie sich mit gestopftem Mund gesummt vorstellen, und noch viel, viel leiser. Noch leiser. Man will sich ja nicht aufdrängen.(…in Gottes Namen nieder. Kalt ist der Abendhauch.)
 


(Diesen Eintrag widme ich meinen lieben Regerleins; denen, die dieses Blog schon nach dem letzten Konzert zufällig entdeckt hatten [und unsern kranken Nachbarn auch – gute Besserung nach Hamburg!], und denen, die durch meine Plauderei heute Mittag meinen Internetnamen erfahren haben und mal nachschauen wollten.)

Wie lieblich


Wenn man früh morgens mit dem munteren Baby am Fenster steht, kann man sehen, wie die Stadt das Plakat für das Konzert am Abend nachstellt. Wie lieblich.

Sonntag Abend

Das Konzert gestern endete exakt um 18 Uhr.
„Einiges war schon sehr schön“, so die vorläufige Kritik, und einer der schönsten Momente war vielleicht der, als der Maestro unmittelbar nach dem Verklingen des Schlusstons dezent den Ärmel ein wenig hochschob, auf die Uhr schaute und in den beginnenden Applaus hinein den Chor fragte: „Hat jemand die Hochrechnungen? Ist sie es noch? Ist sie schon weg?“

(Sie ist es noch. Und wir haben noch zweimal die Chance, auch nach dem Schlussakkord noch seriös zu wirken.)

Veröffentlicht unter Lala

Veranstaltungshinweis: Musik

„Wie lieblich“
Doppelchörige Chorwerke und Saxophon-Improvisationen

Werke von Claudio Monteverdi Heinrich Schütz Johann Sebastian Bach Felix Mendelssohn Bartholdy Trond Kverno

Samstag, 26.09.2009 20 Uhr Braunschweig, St.-Andreas-Kirche
Sonntag, 27.09.2009 17 Uhr
Hildesheim, St. Michaelis

und dann nochmal im Oktober:
Samstag, 17.10.2009, 20 Uhr
Tübingen, Stiftskirche
Sonntag, 18.10.2009, 17 Uhr
Darmstadt, Stadtkirche

regerchor Braunschweig
Hanns-Wilhelm Goetzke, Saxophon
Leitung: Karl Rathgeber

Eintrittskarten für die Konzerte in Hildesheim, Tübingen und Darmstadt erhalten Sie an den Abendkassen. Eintrittskarten für das Konzert in Braunschweig erhalten Sie auch an den üblichen Vorverkaufsstellen und bei Ticket Online

Ich geh dann mal proben.

Veröffentlicht unter Lala