Alles, was man wissen will

Das moderne Wissen, so wird gemunkelt, sei weniger ein Faktenwissen als das Wissen um die Orte, an denen man nachgucken kann. Kompetenzorientierung heißt das Zauberwort, oder eines der vielen Zauberwörter. Fakten sind höchstens noch interessant in Form von „unnützem Wissen“, also als irgendwie schräge Informationen zu abseitigen Themen, die man dann in einem Partygespräch locker einstreuen kann, während sich für mathematische Formeln, Kommaregeln oder Geschichtsdaten so recht keiner mehr erwärmen mag. Den erlernten Beruf von Queen Elizabeth II zu wissen ist möglicherweise noch irgendwie cool, die benötigte Zutatenmenge von einer Springform von 23 cm Durchmesser auf eine von 28 cm umrechnen zu können zwar schon ziemlich nerdig, jedoch im Einzelfall nicht unpraktisch, Ablautregeln aber interessieren keine Sau. (Wahrscheinlich interessieren Geisteswissenschaften sowieso keine Sau, wenn sie nicht in greifbarer und nutzerfreundlicher Form von Buchmessen, Literaturpreisen oder Großausstellungen daherkommen, oder sobald sie nicht einfach nur das Schöne, Gute, Wahre beschreiben, was man aber andererseits natürlich auch ohne Fachwissen kann, weshalb Wissenschaft, naja, also. Sie wissen schon.)
Gleichzeitig herrscht eine merkwürdige Diskrepanz darüber, was man eigentlich wissen sollte. Oder könnte. Oder was interessant sein könnte. Um die Suche nach den kleinsten Teilchen in der Physik wird doch auch populärwissenschaftlich ein ziemliches Theater gemacht, während die kleinsten Bestandteile der Sprache außerhalb der Fachkreise niemanden zu bekümmern zu scheinen. Gleichzeitig beschäftigen sich Bücher mit Angeberwissen für Partys meinem Eindruck nach fast ausschließlich mit im weitesten Sinne geisteswissenschaftlichen Feldern (glänze mit Wissen aus Philosophie, Kunstgeschichte, Musik oder Literatur, ergänzt um historische Zusammenhänge!), während dort Naturwissenschaften nicht so gefragt zu sein scheinen. Sind Naturwissenschaften an sich interessant, aber große Mysterien, während Geisteswissenschaften zwar keinen relevanten Beitrag für die Gesellschaft leisten, einen durch Verwendung ein paar einschlägiger Stichworte aber selbst interessanter erscheinen lassen? So ganz kriege ich das nicht aufgelöst. Und im Kinderzimmer ist es ja auch wieder umgekehrt, natürlich gibt es auch ein paar Bücher über Kunst oder „Kinder entdecken Komponisten“, aber die Renner sind doch eindeutig Dinosaurier, Vulkane oder Raumfahrt.
Und was tun, wenn man nach Faktenwissen dürstet, sogar schon weiß, wo man sowas nachgucken könnte – Bücher, „im Computer“, jemanden fragen -, aber weder lesen kann noch jemanden zum Löchern zur Verfügung hat? Dann bleibt noch das Vertrauen in sich selbst. Ganz im Sinne des Wahlspruches, man dürfe keiner Statistik trauen, die man nicht selbst etc., und in schöner Tradition des kleinen Bären, der sich und dem kleinen Tiger einfach selbst einen Wegweiser nach Panama baut – irgendjemand muss es ja tun-, sollte man sich auch mal auf sich selbst verlassen. So auch Nuno. Wie viele Beine Spinnen, Heuschrecken, Hunde oder Vögel haben, haben wir bereits mehrfach besprochen und in der Natur durch Nachzählen der Gliedmaßen bestätigt. Bei Asseln und Krebsen müssen die Bestätigungen noch das ein oder andere Mal am lebenden Objekt wiederholt werden, und Tausendfüßler halten einfach nie still, was das ganze mühsam macht. Ansonsten sind sind die Grundlagen in diesem Gebiet gelegt. Heute kam Nuno jedoch ohne erkennbaren Zusammenhang auf die Frage, wie viele Beine eigentlich nochmal Pferde hätten. Vorne zwei, hinten zwei, an der Seite zwei. Wie viele sind das insgesamt? Es war gerade keines zur Hand, doch bevor ich ihm einfach eine schnöde Zahl hinwerfen konnte, fiel Nuno schon ein, wie er sich dieses Wissen auch ohne Pferd als Anschauungsobjekt und ohne sich auf mich und mein Halbwissen zu verlassen beschaffen könnte. Gott sei Dank hatte er selbst ja kürzlich ein Pferd gemalt: Da konnte man nachschauen! Gesagt, getan. WP_20131012_002

Die Zeichnung belegt einwandfrei: Pferde haben vier Beine.
Kompetenzorientierung? Faktenwissen? Es ist jedenfalls immer gut, sich einen kleinen Vorrat an selbstgemalten Bildern anzulegen, falls man mal etwas nachschlagen muss.

Ein Gedanke zu „Alles, was man wissen will

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