Motorisiert

Nebenan (und nicht nur da) gibt es gerade eine ganze Reihe „Medienoutings“, es geht darum, warum man wann im Leben nicht gelesen hat oder was für ein Nichtverhältnis zu Zeitschriften besteht oder dass man keine Filme guckt. Ich hätte auch etwas zu Leselücken zu sagen oder zu meiner Filmkarriere, und dass ich mit Zeitschriftenartikeln nicht die Kolumne in der Brigitte meine, habe ich meinen Studenten gerade letzte Woche erklärt. Heute aber zu einer anderen Geschichte voller Auslassungen in meinem Leben: Das Autofahren. Mein Bruder#1 formulierte es freundlich so, dass ich nicht so viel Benzin im Blut habe wie er. Ich würde einfacher sagen, ich kann nicht Auto fahren. Womit wir schon mitten im Bereich der Halbwahrheiten sind. Denn ich habe wie fast alle meines Jahrgangs Autofahren gelernt, sogar als eine der ersten meines Schuljahrgangs, und damit gingen die Probleme los: die Aufmerksamkeit. Ich war eines der ersten Mädchen, die Führerscheinprüfung hatten. Bis dahin war alles gut, kleine Unsauberkeiten wie mit dem rechten Hebel am Lenkrad blinken wollen, wenn es nach links gehen sollte und dann mit laufenden Scheibenwischern noch in der ersten Linkskurve den Wagen abwürgen waren bereits überwunden, es lief gut, ich konnte sogar einparken. Und fiel trotzdem durch. Und das war natürlich bei den ersten Prüfungen hochinteressant. Denn damit war ich nicht eine der ersten mit Führerschein, sondern die allererste, die durchgefallen war. [Natürlich war das auch nicht wahnsinnig interessant, das ist nur negative Egozentrik, aber ich habe es so empfunden. 96 Mitschüler, die „OHA!“ sagen.] Und von da an war ich unsicher und nervös. Im zweiten Anlauf (den ich vor allen geheim gehalten hatte) bestand ich, aber ich bin nie ein Autofahrer geworden. Ab und zu nahm ich das Auto meiner Eltern, überlegte vorher akribisch, wo man am Zielort parken kann, und war immer froh, wenn das Auto und ich wieder zu Hause waren. Am Studienort hatte ich kein Auto, im Ausland habe ich mich leider nicht getraut. Wäre ich in Peru Auto gefahren, wäre ich heute entweder tot oder aber Stock-Car-Rennen-tauglich – großes Versäumnis. In dem Land, wo das KO-Kriterium bei Vorfahrtsregeln „Größe und Alter des Wagens gehen vor“ (nur wieder: in welcher Gewichtung bei Erfüllung beider Kriterien?) ist, wo man bergab den Motor ausmacht, die Ampeln im Kabelgewirr über der Straße sowieso nicht sichtbar sind, wo Lastwagen auch mal einen Kleiderschrank als Führerhäuschen haben und man durch die Löcher im Bodenblech prima die Tiefe der Schlaglöcher im Blick hat, da wäre ich vielleicht furchtlos und geländetauglich geworden. Zumal mir als Radfahrerin das peruanische Blinken sowieso ganz natürlich gewesen wäre: Links rum? Dann linken Arm raushängen (lässig). Rechts rum? Linke Hand aufs Dach legen. Hätte, hätte. Zurück in Deutschland zog ich wieder in eine Unistadt ohne Autobedarf, wegen stetiger Entwöhnung bin ich auch bei den Eltern nicht mehr vorne links ins Auto gestiegen, und in den neuen großen Wagen mit Flugzeugcockpit dann schon gar nicht. Und so gingen die Jahre ins Land. Irgendwann hätte ich mir nicht mal mehr zugetraut, bei einem Notfall die Fahrerrolle zu übernehmen. Ich wäre eine sichere Kandidatin für Aberkennung des Führerscheins wegen mangelnder Nutzung gewesen, und eine Nachprüfung hätte ich nicht im Ansatz bestanden (allein, weil ich nicht hingegangen wäre.) Und dann kam der Lieblingsitaliener. Der Lieblingsitaliener hat ein Auto, was ja für mich nichts heißt, ich kann auch in diesem Auto wunderbar auf dem Beifahrersitz sitzen. Wenn der nicht besetzt ist. Denn so hat er mich zum Autofahren gezwungen, nach einigen unverbindlichen Anläufen à la „wir könnten ja mal üben, auf irgendeinem Parkplatz“. Wir haben zusammen das Kind weggebracht (er fuhr, natürlich), er wartete im Auto, und als ich wiederkam, war nur noch der linke Platz frei und er saß sehr entspannt und freundlich lächelnd rechts. „Du fährst.“ Er hat nicht nur ein Auto, er hat auch großes Vertrauen. Und gute Nerven, die ich schon an der 2. Ecke verlor, als mich ein Bus anhupte. Nach dieser Überrumpelung musste ich immer mal wieder fahren, von Routine war ich allerdings weit entfernt, die Fahrten endeten mal mehr, mal weniger verschwitzt, ich war tapfer, meine Mitfahrer waren tapfer, aber wirklich glücklich war ich nicht. Allein mit dem Kind wäre ich noch immer nicht gefahren, dafür fuhr ich bei Wind und Wetter weiterhin mit dem täglich schwerer werdenden Kind im Sitz mit dem Rad den Berg hoch und runter, inzwischen auch mit Helm, aber das ist eine andere Geschichte. Dann vergaß der Lieblingsitaliener bei einer Konferenz seine Brille. Er sagt, diesmal war es kein Trick, aber just in dieser Woche mussten wir zu diversen, nicht mit dem Rad oder Bus zu erreichenden Orten im Umland. Also saß ich wieder links. Und es ging.

Inzwischen fahre ich, inzwischen akzeptiert auch der Sohn, dass Mami lenkt, inzwischen schaffe ich es in die enge Garage aus den späten 60ern, inzwischen fahre ich auch alleine mit dem Auto zu Zielen, wo ich noch nicht genau weiß, wie die Parkplätze aussehen. Auf der Autobahn war ich seit der Fahrstunde nicht mehr, aber es wird besser und mein Radius größer. Bisher hat mich auch niemand als Betrügerin vom Lenkrad weggezerrt, und meine Nervosität, wenn ich z.B. vor den Büros meiner Kollegen rangieren muss oder die Ampel am Berg rot ist, ist fast verschwunden. Vorgestern war ich nun auf völlig fremdem Terrain. Da der Lieblingsitaliener müde, matt und marode mit Grippe im Bett lag, musste ich den Fox in die VW-Werkstatt zum Reifenwechsel fahren. Was heißt musste: ich habe es angeboten! Freiwillig! Ich kam mir sehr souverän vor, als ich bei VW auf den Hof fuhr, ich habe unfallfrei vor den Augen mindestens Hunderter Autoprofis geparkt, und ich habe an der Theke ganz lässig gesagt, dass ich einen Termin zum Reifenwechsel habe. Bis dahin hat niemand was gesagt, keiner hat mich ausgelacht oder ungläubig die Fahrzeugpapiere sehen wollen. Ich ging als Autofahrerin durch. Fast. Denn dann ist mir ein kleiner Fehler unterlaufen: Wo das Auto denn stehe, fragte die Dame. „Da drüben“, sagte ich immer noch lässig, „der VW.“ „Der VW, ah…“, sagte die VW-Angestellte, aber da hatte ich es schon gemerkt und schnell Details wie Farbe, Typ (den ich wusste!) und Kennzeichen hinterhergeschoben. Es war knapp, aber ich durfte das Auto hinterher doch wieder mitnehmen. (Noch knapper war es vermutlich bei der älteren Dame, die mit mir zusammen auf die winterfest gemachten Autos wartete und dann auf den Hof stürzte und rufend und schimpfend ein Auto zum Stehen brachte. Das sei IHR Auto! Wo der junge Mann damit hinwolle? Er solle SOFORT aussteigen! Er wolle das Auto nur in die Werkstatt fahren, sagte der KFZ-Mechaniker, sie sei doch zum Reifenwechsel da…?) Ich übe jedenfalls weiter, und wenn es weiter so gut klappt, lenkt Mami das Auto bald auch ohne Fahrradhelm.